Synopse
Die Löhne aus der lokalen Zuckerrohrfabrik im mexikanischen Veracruz reichen längst nicht mehr zum Leben. Familien müssen sich trennen und suchen Arbeit in den USA. Maria Esther und Miguel sind Gastarbeiter in Kansas City, ohne Aufenthaltsgenehmigung, immer auf der Hut. In der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Protokoll
Die österreichische Community in Mexiko veranstaltet regelmäßig merkwürdige Schnitzelfeste. Wohl ein Versuch, sich der eigenen Herkunft zu vergewissern, etwas so Diffuses wie Heimat fernab derselben zu zelebrieren. In der Ferne neigt man zu Übertreibungen. Fridolin Schönwiese weiß das, als Österreicher, der in Mexiko lebt und auch die USA inzwischen ganz gut kennt. Er pendelt zwischen den Welten. In Mexiko kann er nicht richtig ankommen, aber in Österreich ist er eben auch nicht mehr. So hat das, was er hier einfangen wollte, nämlich „das hybride Dasein an einem Null-, an einem Nicht-Ort“, auch viel mit seiner eigenen Person zu tun.
Als „Meister des Abends“ von Ott vorgestellt, berichtet der Filmemacher ausführlich und passioniert von den Hintergründen des Filmprojekts, vom Drehprozess und von der Begegnung mit den beiden Protagonisten. Über sieben Jahre ist es her, dass er über einen Freund das mexikanische Dorf Tres Valles lernte, das auf besondere Art und Weise mit den USA verbunden ist. Auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Auskommen, inmitten der Wirren und Zwänge einer weltweit verzweigten Ökonomie, ist ein Großteil des Ortes nach Kansas City immigriert – einige legal, die meisten illegal. So auch María Esther und Miguel, deren Geschichte hier exemplarisch für das Schicksal all der Anderen erzählt wird. Insgesamt 28 Mal hat Schönwiese die beiden in ihrem selbst- und doch nicht selbst gewählten Exil besucht, ihnen Foto- oder Videogrüße von den Familien in Mexiko überbracht und ihnen bei ihrem „apathischen Leben zugeschaut“. Dabei war die Tatsache, dass er stets allein drehte, für das gegenseitige Vertrauen von entscheidender Bedeutung.
Ott präzisiert den Zusammenhang von Migration und Ökonomie: Der Alltag der illegalisierten Immigranten habe in den USA ganz andere Ausmaße als in Deutschland, sie seien regelrecht eingebaut in das gesamte wirtschaftliche System. Schönwiese bestätigt die Existenz eines ausgefeilten, äußerst komplexen und sowohl für den US-amerikanischen als auch für den mexikanischen Staat durchaus rentablen Ein- und Auswanderungssystems. Es gebe eine langjährige Tradition, dass Mexikaner zwischen den Grenzen hin- und herwandern und in den USA als illegale Gastarbeiter etwa in der Obsternte eingesetzt werden. Trotz fehlender Papiere können sie Autos kaufen und Mietverträge abschließen. Bei ihrer Ausreise haben sie keine Probleme, Waren nach Mexiko auszuführen. Problematisch wird es allerdings, wenn sie erwischt, ausgewiesen und dann erneut erwischt werden. Ganz abgesehen von den zum Teil lebensbedrohlichen Strapazen der illegalen Grenzübertretung.
Miguel und María Esther führen ein Leben, das Schönwiese oft traurig und wütend zurückließ. Manchmal hat er das dann nicht mehr ertragen können und musste abreisen. Völlig isoliert von der amerikanischen Alltagsgesellschaft befinden sie sich im Zustand einer sich wiederholenden Selbstlüge und tappen stets in dieselbe Falle. Sie befinden sich in einem „Kreislauf der permanenten Suche und Enttäuschung“. Im Grunde genommen ging es dem Regisseur weniger um das Thema der Illegalität als vielmehr um die Frage: „Wie denken diese Leute?“ Es war ihm wichtig, eine Gegenperspektive zum amerikanisch-europäischen Blick auf Migration zu liefern. Aus dem Inneren heraus sozusagen.
Ein Diskussionsteilnehmer äußert den Eindruck, es gebe im Film keinen wirklichen Unterschied zwischen Kansas City und Tres Valles, die Farbigkeit der Landschaft sei hier wie dort von bräunlichen Tönen bestimmt. Schönwiese weiß, was er meint. Es war seine Absicht, die Orte miteinander verschmelzen zu lassen, denn „ganz Amerika ist eigentlich ein virtuelles Mexiko, ein abstraktes Wartezimmer“. Der Film spielt daher letztlich nur in einem einzigen Dorf – in der 5. Himmelsrichtung. Aus diesem Ansatz resultierte die spezielle Darstellung der Landschaften mit 35mm-Bildern. Die Differenz zwischen diesen und den ganz nahen, fragmentarischen Mini DV-Einstellungen beschreibt er als „Operation an der Wahrnehmung“.
Wie so häufig fragt sich das Publikum, ob die dokumentierten Personen den Film bereits gesehen und wie sie reagiert haben. María Esther und Miguel haben immer wieder Fotos aus dem Schneideraum erhalten, um zu sehen, dass etwas passiert. Schließlich wurde ihnen der fertige Film in einer privaten Vorführung am Laptop gezeigt. Beide waren aus unterschiedlichen Gründen schockiert. Insbesondere für María Esther war die Konfrontation mit der Trostlosigkeit der eigenen Situation schwer zu verkraften.
Was Schönwiese zum Schluss erzählt, ist schön und schade zugleich. Als er María Esther nachts anruft, um zu beichten, dass der Film schon bei einem Festival gezeigt wurde, bevor er ihn ihr zeigen konnte, weinen beide gemeinsam am Telefon. Natürlich hat sich über die Jahre ein enges, auch inniges Verhältnis entwickelt. Als der Film aber in Kansas präsentiert wird, kommt so gut wie niemand aus der mexikanischen Community. Und María Esther hat sich so kostümiert, dass sie unter ihrer grellen Schminke kaum noch zu erkennen ist. Die alte Hoffnung, die Erfahrung des Films könne Trennungen überwinden, integrierend wirken über soziale und gesellschaftliche Grenzen hinweg, erfüllt sich hier nicht.
Und Ott spricht sicherlich aus Erfahrung, wenn er sagt: „Das ist das Dramatische des Dokumentarfilms, dass man Beziehungsgefüge am Ende (wieder) zerstört.“