Film

Das Schiff des Torjägers
von Heidi Specogna
DE/CH 2010 | 91 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
04.11.2010

Diskussion
Podium: Heidi Specogna
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Die Ware Mensch als modernes Handelsgut. Im April 2001 wird die „Etireno“ in den Heimathafen Cotonou in Benin zurückgeschickt. An Bord: zahlreiche Kinder, die als Arbeitskräfte nach Gabun gebracht werden sollen. Der Besitzer: Ein ehemaliger Fußballprofi. Die Geschichte eines Schiffs und seiner Passagiere.

Protokoll

Im April 2001 geisterte ein afrikanisches Kindersklavenschiff durch die weltweite Medienlandschaft, nicht-sichtbar auf den Fernsehbildern weckte die „Etireno“ viele Assoziationen. Schnell geriet der damalige Bundesliga-Torjäger und Besitzer des Schiffes Jonathan Akpoborie in die Schlagzeilen – und wurde umgehend vom VfL Wolfsburg entlassen. Dann verschwand diese Geschichte von den Bildschirmen und aus dem öffentlichen Interesse.

Sechs Jahre lang hat Heidi Specogna an drei Erzählsträngen gearbeitet – an der Geschichte des Schiffs selbst, der Geschichte der Kinder Adakou und Nouman, die an Bord der „Etireno“ waren und der Geschichte Jonathan Akpobories. Sie hat Bruchstellen und Wendepunkte entdeckt, soziale und ökonomische Verknüpfungen aufgegriffen, den „Kreislauf des Eisens“ verfolgt, und so aus dem Schiff des Torjägers einen Film über Handelskreisläufe von Gütern und der Ware Mensch extrahiert.

In Moldawien findet Heidi Specogna den Sozialarbeiter, der die Kinder damals von Bord holte, und der jetzt an der europäischen Außengrenze arbeitet. Konspirativ lässt er ihr 25 Fotos der geretteten Kinder zukommen, mit deren Hilfe Heidi Specogna nach wochenlanger Suche in afrikanischen Dörfern vier dieser Jugendlichen entdeckt.

Jonathan Akpoborie hatte jeglichen Kontakt zur eigenen Familie, zu Spielerkollegen, Trainer und Manager abgebrochen, und erst ein afrikanischer FIFA-Spielervermittler ermöglichte ein erstes Telefongespräch: Noch von der gewaltigen Medienwelle gegen ihn überrollt braucht es lange Zeit, um ihn zu einer Zusammenarbeit zu bewegen.

Und auch die „Etireno“ schien aus allen westafrikanischen Häfen verschwunden, bis Heidi Specogna an einem Strand Holzteile des Schiffes aus dem Sand ragen sah und der Strandwächter Papa Dora ihr vom Eisenkreislaufs dieses ehemaligen dänischen Fährschiffs erzählt.

Um einzelne Szenen im Film wurde lange gerungen:

– Die von den zuständigen Fernsehredakteuren als überflüssig empfundene Einstellung der im Glas gefangenen und sich selbst befreienden Krabbe symbolisiert für die Filmemacherin Begriffe wie Geduld, Zeit, Sammlung, Aufbewahrung, und schließlich Befreiung.

– Die Aufnahmen des Eisenmarktes hätten an anderer Stelle im Film lediglich „schockierend“ gewirkt, sie sollten aber beim Zuschauer im Bewusstsein über Warenkreisläufe von Gütern und Menschen einen Erkenntnis-Schock auslösen. Solch exotische Orte in Afrika, die oft nur als laut, bunt und grell empfunden und gefilmt werden, erzählen bei genauerem Betrachten Geschichten von Zeit, Familie, Zusammenleben, Herkunft und Zukunft. Die Bilder der auf dem Eisenmarkt arbeitenden Kinder zeigen nicht nur Kinderarbeit, sondern erzählen auch von einem anderen Lebenskonzept, dass die Unterstützung der eigenen Familie vor alle anderen individuellen Interessen stellt.

– Die provokativen Aufnahmen im Trainingsheim des Grasshopper Clubs Zürich, die in den verwendeten Begriffen vom materiellen Wert und der taxierenden Sprache über die dort trainierenden Jugendlichen Assoziationen zum Eisenmarkt aufscheinen lässt, war Gegenstand vieler Schnittdiskussionen, bis die richtige Stelle für diese Szene im Film gefunden war.

Die Filmmusik entstand in langjährig bewährter Zusammenarbeit mit Hans Koch, dessen erste Idee im Schneideraum war, dem Schiff eine „Stimme“ zu geben. Die fertige Musik beschränkt sich auf jeweils ein Instrument oder sehr „körperliche“ Töne wie Atmen und Klopfen.

Die aus dem Jahre 2001 stammenden Fotos der Kinder halfen Heidi Specogna nicht nur bei der Suche nach den Kindern, sondern stellten bei den mittlerweile jungen Erwachsenen in den weit verstreuten afrikanischen Dörfern auch sofort ein Gemeinschaftsgefühl her: Kleine Botschaften für die anderen wurden geschrieben, und Heidi Specogna war eine zeitlang so was wie ein postillon d’amour.

Das Schiff des Torjägers ist eine Art von Populärgeschichtsschreibung, die ökonomische und soziale Spielregeln untersucht; und auf Abbildung von (unbequemer) Wahrheit zielt.