Synopse
Ein Jahr in Haus Bucken, Beobachtungen des Heimalltags. Selbstgespräche, Zwiegespräche, Zwangshandlungen. Momente der Lust und Verzweiflung, der Eigenarten und Rituale. Pfleger und Heimbewohner stehen in enger Beziehung zueinander; die meisten Heimbewohner müssen rund um die Uhr betreut werden.
Protokoll
Wie findet sich ein Thema? Welcher Ausgangspunkt steht am Anfang einer Filmidee?
Bei Wolfram Seeger war es ein Artikel im Kölner Stadtanzeiger über Haus Bucken in Velbert- Neviges, eine Einrichtung für erwachsene Menschen mit autistischer Behinderung.
Das hat sein Interesse geweckt und so entstand vor 15 Jahren bereits eine erste dokumentarische Arbeit. Als sich jetzt nach so langer Zeit wieder der Kontakt zum Haus herstellte, war die Begeisterung wieder da und die Idee, einen zweiten Film zu machen, geboren. Gemeinsam mit Filipp Forberg, zuständig für den Ton, hat er viel Zeit in der Einrichtung verbracht, auch mal mitgearbeitet und den Alltag der Bewohner kennengelernt. Nach anfänglichen Unsicherheiten – wie sich verhalten? wie mit diesen Menschen umgehen? – stellte sich nach und nach ein gutes Gefühl wie auch die Überzeugung ein: „Das, was mir gefällt, gefällt auch dem Zuschauer.“ Hinzu kam die Tatsache, dass das Projekt aufgrund der attraktiven Lage des Hauses inmitten eines großen Waldgebiets auch optisch interessant zu werden versprach.
Beeindruckt zeigen sich sowohl Andrea Reiter als auch einzelne Diskutanten von einer filmischen Unmittelbarkeit, von der großen Nähe zu den Protagonisten und einer körperlichen Präsenz, die „den Zuschauer anfasst“ (Michael Gierke). Man versucht, dem besonderen Verhältnis zwischen Seeger und den Autisten mit Begriffen wie „spiegelbildfähig“ beizukommen, auch von „Komplizenschaft“ ist die Rede.
Der Filmemacher bestätigt, dass ihm dieser Eindruck wichtig sei, ohne dass er mit einer bestimmten, genau definierten Herangehensweise daraufhin gearbeitet hätte. Die Ungezwungenheit der Porträtierten im Umgang mit der Kamera sei vielmehr Ergebnis eines Prozesses und einer tatsächlichen Beziehung, er selbst eben nicht nur Kameramann sondern auch Ansprechpartner gewesen. Man übernehme in so einer Einrichtung automatisch verschiedene Rollen. Die Bewohner haben verstanden, dass sie gefilmt, dass Situationen aufgezeichnet und konserviert werden. Teilweise scheinen sie in ihrem Verhalten auch auf die Anwesenheit der Kamera reagiert zu haben. Menschen mit Autismus sind in der Regel sehr empfänglich für zwischenmenschliche Schwingungen und Stimmungslagen. Entscheidend sei für ihn letztlich die Erkenntnis gewesen, Dinge von sich selbst im Anderen zu entdecken und zu lernen, dass Menschen wie Christian, Lars und Carsten nicht losgelöst von uns und unserer Welt leben. Ein Diskussionsteilnehmer erkennt Parallelen zwischen Autisten und an Alzheimer erkrankten Personen. Beide kämpften um ihre Würde, seien viel wacher, als man gemeinhin so denke. Herr Schwarz, Vater von Christian und mit dem Regisseur zur Filmwoche gereist, findet eine schöne Antwort auf die Frage, worauf es im Zusammenleben mit Autisten ankommt: „Man muss mitschwimmen.“
Auf ein zugrunde liegendes dramaturgisches Konzept angesprochen, berichtet Seeger von Schwierigkeiten, einen solchen Film im Vorfeld zu planen. Ursprüngliche Ansätze wie etwa der, sich in der visuellen Komposition auf statische Tableaux zu beschränken, wurden während der Dreharbeiten verworfen. Improvisation war gefragt, auch weil sich die Abläufe im Haus Bucken verschieben konnten und Absprachen hinfällig wurden. Von entscheidender Bedeutung seien die Protagonisten gewesen, ohne Christian beispielsweise hätte er den Film nicht gemacht. Die eigentliche Dramaturgie entstand dann erst beim Schneiden und dank der digitalen Techniken konnte er sich auch hier viel Zeit lassen. Dass er auf Interviews mit Eltern und Mitarbeiter gänzlich verzichten würde, stand dann relativ schnell fest. Solche erklärenden Sequenzen haben lediglich Eingang in eine 45minütige Fassung für die WDR- Dokureihe „Menschen Hautnah“ gefunden. Die lange Version wird nächstes Jahr auf 3sat zu sehen sein.
Werner Ruzicka stellt den Film in den Kontext einer übergeordneten gesellschaftspolitischen Problematik. Wie wollen und können wir mit diesen Menschen umgehen? Kann es ein staatlich reguliertes Konzept für spezielle Betreuungseinrichtungen in Zukunft überhaupt geben oder wird man noch stärker auf Privatinitiativen wie die des Hauses Bucken angewiesen sein?
Auch wenn Behinderteneinrichtungen zum Großteil noch immer aus öffentlicher Hand finanziert werden (können), so stellt der Regisseur diesbezüglich doch eine düstere Prognose: Der Sektor erlebt große Umbrüche, viele Einrichtungen und Initiativen kämpfen mit finanziellen Engpässen und sind von weiteren Einsparungen bedroht. Das Personal, das großartige Arbeit leistet und zudem starker nervlicher Belastung ausgesetzt ist, wird unzureichend bezahlt. „Überall ist Holland in Not“.
Bei der nächsten Tasse Cappuccino wird der ein oder andere sicherlich an Christian, Lars, Carsten und die anderen Bewohner im Haus Bucken denken.