Film

Auf Teufel komm raus
von Mareille Klein, Julie Kreuzer
DE 2010 | 82 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
06.11.2010

Diskussion
Podium: Mareille Klein, Julie Kreuzer, Gero Kutzner (Kamera), Jutta Krug (Redaktion)
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Karl wurde aus der Haft entlassen, nach abgesessener Strafe wegen mehrfacher Vergewaltigung und Misshandlung. Sein Bruder Helmut hat ihn zu Hause aufgenommen. Dagegen skandiert man draußen auf der Straße: „Wir wollen keine / Kinderschänderschweine“. Im Haus wächst der soziale Druck. Sexualstraftäter auf „freiem Fuß“?

Protokoll

März 2009: Die Haftentlassung des Sexualstraftäters Karl D. wird zum Medienereignis. Bei seinem Bruder untergekommen, protestieren die Bewohner des betroffenen Ortes gegen seine Anwesenheit. Vor dem Haus Helmut D.s kommt es zu täglichen Demonstrationen, es wird Sicherheitsverwahrung für Karl D. gefordert – die Situation gleicht zunehmend einer Belagerung.

Das mediale Interesse ebbt ab, der Fall verschwindet aus den Medien. Aus dem Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung heraus gefallen, setzt sich der Konflikt im Mikrokosmos des Dorfes fort. Fast ein Jahr dauern die Proteste vor dem Haus der Familie an.

Kreuzer und Klein wollten einen Film machen, der die Interessen und Ängste beider Fronten thematisiert, ohne selbst Partei zu ergreifen. Ein schwieriges Unterfangen: nach ihrer Ankunft im Dorf treffen sie zunächst auf die Demonstranten, die bereitwillig Auskunft geben. Ins Haus zu Karl D. zu kommen, erweist sich als komplizierter; einmal hinein gelangt, haben die Filmemacherinnen in den Augen der Gegner, die davor stehen, eine Entscheidung getroffen. Stetig aufs Neue müssen sie kommunizieren und argumentieren, oftmals bleibt angesichts der aufwallenden Emotionen am Ende nur der Brief als Medium, um ihre Positionen ausführen zu können und zu betonen, dass die Kamera nicht als „Waffe“ gegen eine der beiden Fronten eingesetzt werde.

Der Standpunkt eines unparteilichen Beobachters, das „Austarieren der verschiedenen Positionen“ (Krug) bedeutet, keine Fragen von Moral und Schuld zu verhandeln, kein psychisches Täterprofil anzulegen. Doch sei die Tat in der Wahrnehmung der Zuschauer (und auch der Regisseurinnen) stets ein implizites Thema: sie sind gezwungen, sich mit Karl als Protagonist und Täter auseinanderzusetzen. Doch „versteckte Hinweise“ auf den Tatbestand in Bildern versteckt zu haben – Karl im Umgang mit dem Hund der Familie, Karl beim Befestigen einer Plane am Zaun – wird zurückgewiesen. Wie für den Zuschauer die Bilder zu Projektionsflächen der eigenen Betrachtung von Karl werden, so wird die Familie im Haus ebenfalls zum Ventil für die Anwohner der Stadt, die „alle ihre eigenen Geschichten und Motive haben“ (Kreuzer) und diese in den Konflikt einschreiben.

Die Anwesenheit der Filmemacherinnen habe sich auf die Konfliktparteien zwar in verschiedener Hinsicht ausgewirkt, jede konkrete Beeinflussung oder Inszenierung sei jedoch vermieden worden. Dennoch, betont Kutzner, sei gerade der Umgang mit der Kamera in einer solchen Situation mit gewissen Schwierigkeiten und Zwängen verbunden. Da das Filmteam phasenweise Karls und Helmuts einziger Kontakt mit dem Außen war, wurde vor der Kamera entsprechend viel kommuniziert und gesprochen. So war es schwierig, sie als einen stillen Beobachter einzusetzen und Bilder einzufangen, die für sich selbst stehen.

Schließlich ist der Film auch ein Zeugnis des Dilemmas der Rechtsstaatlichkeit, dem alle Beteiligten ausgesetzt sind: das erhöhte Sicherheitsbedürfnis der Anwohner steht gegen die „verloren gegangene Bindungskraft“ (Öhner) eines Urteils, in dessen Folge Karl nach abgesessener Haftstrafe die Resozialisierung versagt wird.

Was bleibt am Schluss? Der Blick des Films auf einen Konflikt, in dem keiner der beiden Fronten „Recht“ zugesprochen werden kann und der Blick des Zuschauers auf eine stetige Verschiebung vermeintlich klarer Grenzen innerhalb von Täter- und Opferstrukturen.