Film

Die Maßnahme
von Maik Bialk
DE 2009 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 33
07.11.2009

Diskussion
Podium: Maik Bialk, Sarah Krumbach (Schnitt)
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Ann Katrin Thöle

Synopse

In einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt will ein Modellversuch der ansässigen Agentur für Arbeit zeigen, dass durch „Bürgerarbeit“ das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit in den Griff zu kriegen ist. Jenseits der Behördenpolitik sieht die Realität anders aus – vertrackter und melancholischer. 

Protokoll

Auch auf der diesjährigen Filmwoche ist das Thema Arbeit wieder sehr präsent. MAIK BIALK leistet mit DIE MAßNAHME einen nach der Projektion durchaus kontrovers diskutierten Beitrag zu diesem komplexen Feld.

Wie funktioniert konkrete Politik? Was genau steckt hinter politischen Ideen und Utopien? Welche Bedeutung haben politische Entscheidungen für die Menschen, zu deren Wohl sie angeblich getroffen wurden? So und ähnlich lauteten die Fragen, die Bialk in den Sachsen-Anhaltinischen Ort Gerbstedt führten. Hier startete 2007 als Modellversuch das von Rainer Bomba, zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführer für Grundsicherung der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt/Thüringen bei der Bundesagentur für Arbeit, entwickelte Konzept der „Bürgerarbeit“. Langzeitarbeitsarbeitslose verrichten sozialversicherungspflichtige Arbeit im gemeinnützigen Bereich, fallen damit aus der Arbeitslosenstatistik und die Agentur spart 100 Euro pro Monat und Person. Das Ziel: die Wiedereingliederung dieses „Humankapitals“ (Bomba) in reguläre Arbeitsverhältnisse.

Der Regisseur überprüft in seinem Diplomfilm Sinn und Zweck dieses politisch und emotional stark aufgeladenen Projekts. Vor allem aber schaut er, wie es den Menschen, die lange ohne Arbeit sind, dabei geht. Stellen sich die von Bomba in Aussicht gestellten psychologischen Nebeneffekte ein – Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Anerkennung?

Was den Drehprozess betrifft, so stand die Kontaktaufnahme mit Rainer Bomba am Anfang. Im Gegensatz zum Rest der Arbeitsagentur standen Bialk hier alle Türen offen. Die Gerbstedter wiederum begegneten ihm und seinem Kameramann zunächst mit Skepsis und Ablehnung. Erst während der Dreharbeiten kristallisierten sich die einzelnen Protagonisten heraus. Im Schnitt wurde versucht, diese natürliche Dramaturgie beizubehalten. So entwickelt der Film eine Struktur, die von der eigentlichen Maßnahme ausgeht und über die Annäherung an die Protagonisten schließlich eine „reflexive Ebene“ (Öhner) erreicht.

Die Idee, dass Arbeitslosigkeit etwas mit den Menschen macht, ist ja nicht neu, konkretisiert Öhner die übergeordnete thematische Dimension. In diesem Zusammenhang erwähnt er Paul F. Lazarsfeld und einen britischen Film aus dem Umfeld John Griersons (THE DAY WE LIVE). Auch dort lautete die Frage: wie geht man mit dem Problem struktureller Arbeitslosigkeit um? Bialk fügt an, dass Bombas Konzept auf Ideen zur Selbstorganisation und Freiwilligenarbeit des Soziologen Ulrich Beck zurückgeht. Das Problem besteht aber darin, dass die ARGE die Kontrolle behalten will. Sie orientiert sich an einem letztlich archaischen System der Arbeitszuweisung (Männern üben körperliche oder technische Tätigkeiten aus, Frauen machen was Soziales usw.). Daraus ergibt sich die Krux, dass die Arbeitslosigkeit zwar tatsächlich beseitigt (beziehungsweise umgeschichtet, umbenannt), das eigentliche Problem aber nicht beseitigt wird. Denn DIE MAßNAHME zeugt davon, dass Arbeit ein wichtiger, aber eben nicht der einzige Faktor für ein erfülltes Leben ist. Die Gleichung Arbeit = Glück geht hier nicht auf.

Im Folgenden erfährt die Figur Bomba eine eingehende Betrachtung. Öhner „verkürzt polemisch“, Bomba sei der Einzige, der wirklich von seiner Maßnahme profitiere. Er macht ja Karriere und darf nach Bayern. Bialk bestätigt, Bomba sei eine zwielichtige Figur. Er meint es zunächst zwar durchaus gut, aber seine medienwirksame Selbstinszenierung und –stilisierung zum Politiker tritt immer mehr zutage. Seine Verhaltens- und Ausdrucksweisen wirken antrainiert, wie abgeschaut. Er kokettiert mit seiner Rolle als Heilsbringer.

Eine Diskutantin stört sich an der Ungleichbehandlung der Personen. Im Gegensatz zu den Arbeitslosen, denen der Film auf sehr viel persönlicherer Ebene begegnet, wird Bomba lediglich in seiner Funktion als Vertreter der Arbeitsagentur gezeigt. So entlasse ihn der Film ungestraft, während die Arbeitslosen zu seinen „Versuchskaninchen“ degradiert würden. Das kann der Regisseur nicht ganz nachvollziehen. Er kontert, Bomba habe ihn jenseits seiner Rolle gar nicht interessiert, auch weil dieser selbst nicht mehr von sich preisgegeben habe. Wenn Bomba unbeschadet das Feld verlässt, so sei das eher seinem Wesen geschuldet. An ihm perlten einfach viele kritische Fragen ab. Indem er die Arbeitslosen und Bomba kontrastiere, nehme er doch gerade eine kritische Positionierung vor.

Für einen anderen Vertreter des Plenums ist Bomba der „klassische Antagonist“ und der filmische Umgang mit ihm legitim. Bialk führt ihn wie einen Besatzer ein, der einen grundsätzlichen Wechsel im Arbeitsregime ankündigt. Ein Territorium wird besetzt: Bomba ist der neue König (was in gewisser Weise ja der Realität der Wende entspricht).

Bestimmte formale Aspekte rufen den Unmut einiger anderer Diskussionsteilnehmer hervor, vor allem die Tatsache, dass der lokale Dialekt zum Verständnis des Zuschauers untertitelt wurde. Ziemlich „erschrocken“ habe sie der Umgang mit Sprache, durch die Untertitelung entstehe ein fast „touristischer oder zoologischer Effekt“, außerdem sei sie vielfach gar nicht nötig gewesen und verfälsche die Aussagen, so teilt eine anwesende Filmemacherin mit. Von anderer Seite erklingt der Vorwurf, es hätte manchmal früher geschnitten werden müssen. Gelegentlich hält die Kamera zu lange drauf, so dass „einige Szenen zwischen Identifikation und Schaulust oszillieren“.

Für einen weiteren Diskutanten sind die Untertitel ebenfalls schwierig, als wesentlich problematischer empfindet er aber den Ausflug nach Bauzen, wo Protagonist Bernd, zu DDR-Zeiten Kriminalkommissar, mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Das sei ein völlig anderes Thema und konsequenterweise hätte man dann auch Bomba fragen müssen, ob er denn seine Gegenwart reflektiere.

Der Regisseur erklärt, dass bei Bernd die Vergangenheit einfach sehr präsent war. Auch kann man die Melancholie der Leute ohne den DDR-Hintergrund nicht wirklich verstehen. Die Entscheidung für diese Sequenz hatte zudem auch dramaturgische Relevanz, um Analogien zu heute formulieren und Parallelen aufzeigen zu können.

Öhner kommt noch auf stilistische Besonderheiten zu sprechen. Und Purismus ist nicht der Begriff, mit der Bialks Verfahren zu beschreiben wäre. Er und Krumbach haben sich vielmehr unterschiedlicher ‚Schulen’ bedient. Am deutlichsten zeigt sich das an der Verwendung von Musik, die zur Kommentierung von Arbeitsszenen herangezogen wird. Krumbach beschreibt, dass sie die „Assoziation einer verlassenen Westernstadt“ hatten. Zudem tauchte der Ostschlager im Material permanent auf – das sollte in der tonalen Komposition aufgegriffen werden. Insgesamt blieben die dokumentarischen Beobachtungen aber stets im Mittelpunkt. Es entstanden Fragmente, für deren Zusammenfügung die (oben beschriebene) dramaturgische Hilfsstruktur dann von großer Bedeutung war. Je sicherer das Gerüst war, desto freier konnte man sich zusätzlicher Elemente bedienen.

Am Ende dieser Diskussion steht das Resümee, dass der Film ein Problem behandelt, dass so leicht nicht zu lösen ist und über das in einem weiten gesellschaftlichen Kontext nachgedacht werden muss. Die wissenschaftlichen Untersuchungen, die die „Bürgerarbeit“ für erfolgreich erklären, werden in DIE MAßNAHME konterkariert. Die Jobmaßnahme scheitert. Ob und inwiefern die filmische ‚Maßnahme’ gelungen ist, gelingen konnte, das steht auf einem anderen Blatt. Im besten Fall hat sich über die filmische Begegnung eine Wertschätzung auf anderer Ebene ergeben.

Die Arbeitslosen aus Gerbstedt haben den Film bereits gesehen, mit unterschiedlichen Reaktionen. Insgesamt können die Leute aber gut mit dem Film leben, so Bialk.