Film

Die abgesagte Hochzeit
von Gunther Merz
DE 2007 | 43 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
06.11.2008

Diskussion
Podium: Gunther Merz, Sebastian Naumann (Produktion)
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Tatjana, Mutter dreier Kinder, und Pierre gehen in ihrer Beziehung durch Höhen und Tiefen. Es gibt lange Diskussionen um nicht erfüllte Erwartungen, Unverständnis, Verletztheit. Verbale Gewalt. Doch eine Trennung macht beiden Angst.

Protokoll

Erst wird geredet und dann auch gestritten…

Es sollte eigentlich ein Film über die Heirat von Tatjana und Pierre werden. Eine filmische Beobachtung, wie Menschen zu einer (Patchwork-)Familie werden. Eigentlich.

Das ist „eine gute Gelegenheit“, so Vrääth Öhner, „über den Zufall im Dokumentarfilm“ zu sprechen: Wie fängt man Zufall ein? Wie ‚produziert’ man Zufall? Man kann ja nicht einfach irgendwohin fahren und Streit filmen. ‚Irgendwohin’, das ist das Haus in dem Tatjana, ihre drei Kinder und Pierre wohnen. Gunther Merz kannte die beiden von einem früheren Projekt. Auch nach dem Ende in der Beziehung sollte es weitergehen mit dem Zusammenleben, aber auch mit dem Film. Viele Gespräche wurden geführt, auch darüber, was man filmen kann und was nicht. „Beide wussten so schon, was mich interessiert. Hätten sie etwas nicht akzeptiert, wäre es nicht gedreht worden.“

Der Film ist entstanden unter redaktioneller Betreuung von Enno Hungerland (WDR) für die Reihe „Menschen hautnah“. Hungerland unterstützte das Team auch in der Konsequenz der Form; zum Beispiel keinen fernseh-typischen Kommentar zu unterlegen. Drehmaterial wie Interviews (auch mit Tatjanas Liebhaber) sowie Szenen außerhalb des Hauses wurden für den Film nicht verwendet. So ist der gefilmte und der filmische Raum, der dem Zuschauer „zugemutet“ wird, sehr eng und sehr nah.

Ganz praktisch haben die Dreharbeiten auch mal so ausgesehen: Tatjana meldet sich bei Gunther Merz und kündigt eine ‚Aussprache’ zwischen ihr und Pierre an. Der Regisseur kommt und dann wird geredet und später natürlich auch gestritten. Für einen Zuschauer in der Duisburger Diskussion offenbart sich dort eine „Anatomie von Beziehungsdialogen“, bekannte Muster kristallisieren sich heraus. Hat das eine Botschaft (außer Rauchen?) Gunter Merz sagt: „Von Botschaften halte ich nix.“ Aber hast du nicht „nur draufgehalten?“, wird gefragt? Und dann passiert’s: Der Vergleich mit RTL II. Kaum einer der Duisburger Diskutanten sieht („so was“) diesen Sender, der auf einmal herhalten muss für alles was böse ist im Fernsehen. Einige scheinen aber genau zu wissen, wie das Böse da in dem Sender aussieht: Draufhalten und „Aufgeilung des Publikums“. Ach so.

Vrääth Öhner fasst lässig zu zusammen: „Voyeurismus steht im Raum.“ Darüber kann man ja sprechen. Regisseur und Produzent erklären ihre Herangehensweise: Zum Beispiel die gemeinsamen Besprechungen („beim Kaffee“) im Vorfeld. Da gibt es ein persönliches Verhältnis zu den Protagonisten und Geduld. Merz spricht über den Wunsch, dass „es doch noch klappt“ zwischen den beiden, aber auch über das Interesse den Konflikt zu erzählen. Und dann kommt es doch darauf an, wie man erzählt, sagt er. „Ich lasse Raum für Reflexion.“

Das scheint bei einem Diskutanten gut funktioniert zu haben, der sagt, dass er sich (wieder) an Familienerlebnisse aus der Kindheit erinnert. Für andere funktioniert es aber eben nicht. „Ich habe gewartet, dass etwas passiert.“ Es fehlt, so wird gesagt, eine intelligente Art, darauf zu gucken. Eine Diskutantin ist sogar aus der Vorführung raus gegangen, weil sie keinen Sinn darin sah, weiter zu schauen. Mitdiskutieren möchte sie dennoch, über den Film, den sie nicht zu Ende gesehen hat. Schwierig.

Die Kritik am Film arbeitet sich in der Duisburger Diskussion weiter an einer bestimmten Form des (Privat-?)Fernsehens ab, ohne über den Vorwurf des „Draufhaltens“ hinauszukommen. Noch einmal Vrääth Öhner: „Die Behauptung ‚RTL II’ ist echt ein Missverständnis und keine Spur, die man verfolgen sollte.“ (Ein hehrer Versuch.)

Sprechen wir doch auch einmal über die Musik, wird vorgeschlagen. Die Musik zu Beginn und am Ende des Films, gibt Hinweise, bemerkt ein Diskutant. Die Oper (Verdi oder Puccini) handelt von Liebe und Streit (und mehr). Der Film bringt die „Opernthematik auf eine alltägliche Ebene“. Oder etwas anders interpretiert: Die Musik bietet eine Metaebene an. Sie spiegelt ein „Liebesideal“ wider, das beide Protagonisten ja auch irgendwie teilen.

Über die Liebe kann man eigentlich gerne noch sprechen. Vielleicht mit Hilfe von Luhmann, der sagt, dass Liebe kein Gefühl ist, sondern ein Code. (So ungefähr.) Oder auch Bergmanns SZENEN EINER EHE bieten eine schöne Referenz. Über einzelne Bilder/Szenen im Film lässt sich was sagen. Zum Beispiel wenn Tatjana sich am Ende bei Pierre verabschiedet und eine kleine Geste zur Kamera macht und damit auch zum Zuschauer. Diese Themenangebote werden aber nicht von allen angenommen. Der Vorwurf bleibt. Es wird nun auch BIG BROTHER genannt.

DIE ABGESAGTE HOCHZEIT hat aber nun absolut gar nichts mit diesen konsumorientierten ‚pseudo-spektakel’ Bildern zu tun, wird eindrücklich aus dem Publikum argumentiert. Die Grenze zwischen Voyeurismus und Intimität ist doch das Interessante. Und die Frage: Wie setzt der dokumentarische Film das ins Bild? Diese Auseinandersetzung dem Film vorzuwerfen ist absurd. Trotzdem hält sich RTL II hartnäckig.

„Argumente statt Ressentiments“ war ein Zwischenruf in der Diskussion. Der galt aber nicht Tatjana und Pierre.

[Am 8. Dezember 2008 beginnt die neunte Staffel Big Brother. Nur zum Vergleich.]