Film

Quei Loro Incontri (Jene Ihre Begegnungen)
von Jean-Marie Straub, Danièle Huillet
FR/IT 2006 | 68 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
10.11.2006

Diskussion
Moderation: Werner Dütsch, Michael Girke
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

fragmente huillet/straub’scher dimensionen

Man sieht, dass die Götter nicht (mehr) da sind. Die Menschen haben sich selbständig gemacht. Sie hängen Stromkabel in die Lüfte. Eine Militäranlage auf dem Berg. Ein letzter Schwenk nach oben – und kein Olymp im Bild. Ein entgötterter Kosmos.

Der Film dokumentiert (auch) die immense Arbeitsleistung der Schauspieler. Nichts wird „geschmeidig“ gemacht und der Ton bricht bei Bildschnitten ab. Keine spektakulären Naturobjekte oder Landschaften. Lieber spüren, wie der Wind säuselt und das Licht sich ändert. Figuren sind in Landschaften gestellt und werden in diesen dokumentiert.

Huillet/Straub-Filme bewahren den Schauplätzen ihre Treue (im analogen Medium des 35mm-Films): Die besten Tonleute auswählen, und das beste Filmmaterial – und dann keine „Effekte“ erzeugen. Sich gegenüber den Dingen zurücknehmen / ihnen mit Respekt gegenübertreten.

Die Sprache bei Huillet/Straub gleitet durch die Personen nicht hindurch. Das Sprechen ist ein physischer Akt. Es dient nicht vorrangig der Vermittlung von Bedeutung. Die körperliche Anstrengung, LAUT in der Natur zu sprechen, wird spürbar. Eine besonders intensive Art von Körperlichkeit durch das Stillstehen in der Natur. Das Verbot der körperlichen Expressivität.

Ohne perfekte Italienisch-Kenntnisse muss man die Texte LESEN (wie in vielen Huillet/Straub-Filmen), aber die Untertitel sind 1:1 zum Gesprochenen gesetzt: Wenn der Text zu Ende ist, muss die Untertitelung gelesen sein. Kein Text, keine Untertitel. Eine Pause im Text bedeutet auch eine Zäsur in den Untertiteln. Manchmal mitten im Satz. Danièle Huillet hat ihr Deutsch beim Hören von Bach erlernt. Die Rhythmisierung von Sprache. Und auch der Brecht’sche Verfremdungseffekt: Die Kenntlichmachung des künstlichen Akts beim Sprechen. Huillet/Straub haben sich mit Schönberg beschäftigt, seitdem wird das Sprechen in ihren Filmen fast zum Singen, eine ganz eigene Art von Sprechgesang. Und ein sehr bewusst ökonomischer Umgang mit dem Atem und dem Atemholen.

Straub/Huillet-Filme laden zu wiederholtem Sehen ein. Wenn man zwischendurch mal abschweift, hat man durchaus was Wichtiges, aber nicht den Anschluss verpasst. Man kann immer wieder darauf zurückgreifen. Und bei jedem neuen Sehen öffnen sich einem neue Dimensionen. Straub/Huillet schenken uns die Kostbarkeit dessen, was zu sehen ist, die Möglichkeit der wirklichen Begegnung mit dieser Welt.

Die Götter wenden sich gegen ihr Ewiges, ihre Unsterblichkeit. Sie sind eifersüchtig auf die Menschen. Wir haben das Augenblickhafte – und den Tod.