Film

Laufhaus
von Stefanie Gaus
DE 2006 | 29 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
09.11.2006

Diskussion
Podium: Stefanie Gaus, Volker Sattel (Kamera)
Moderation: Gudrun Sommer
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Ein Hochhaus in Deutschland. Innen sind lange leere Flure und Zimmer, von den Nutzern anscheinend gerade erst verlassen. Die Einrichtung ist abwechslungsreich und doch gleichförmig: gedämpfte Lichter, Nippes, aber auch rustikales Interieur oder fleischfarbene Wände. Innenschau eines Gebäudes für sexuelle Dienstleistungen.

Protokoll

Eine „Welt der Illusionen“ suchen & finden. Ein Ort, der so sehr vom Körper besetzt, aber gegenüber Frauen fast hermetisch abgeschlossen ist. Ein Film über die Frauen im Haus wäre zu stark geworden. Sich theoretisch dem Ganzen nähern. Grenzen und Reibungen zum Privaten suchen und sie spannend finden. Einen Film ohne große Vorrecherche im 24-Stunden-Vollbetrieb drehen. Von Zimmer zu Zimmer wechseln und in Fluren auf freiwerdende Räume warten. Dunkle Gänge. Im Haus ist es immer dunkel, ob Tag oder Nacht. Es ist beeindruckend wie sich hier Illusionsraum verdichtet, und wie augenscheinlich die Namen der Frauen zu einem Teil der Illusion und der Inszenierung werden. Kleine Zimmer und eine Architektur, die an ein Studentenwohnheim erinnert. Jenseits der Kulissenromantik ist eine gesellschaftliche Verortung zu erkennen. Grenze im Inneren. Eine Visualisierung in den Räumen, eine Visualisierung von Doppelmoral, die sich versteckt. Die Ambivalenz des Ortes. Was macht dieser Ort eigentlich, was schließt er ein, ist die „Bedienung“ besser oder schlechter als auf dem Straßenstrich? Ein Haus irgendwo in Köln, umgeben von vielen Straßen. Innenund Außenwelten vermischen sich. Die Hoffnung auf eine 35mm-Kopie, weil einer der Protagonisten des Films das LICHT ist. Es wird zum fiktionalen Element, es bricht die Welt auf, zeigt diese Welt in einem anderen Licht. Fenster werden geöffnet, das Licht wird hereingelassen. Dabei dringen auch Töne von außen ein. Der Fleischgroßmarkt, das Kühlhaus, der Straßenlärm. Aber auf den Fluren verlangsamt sich alles, das Zeitgefühl verändert sich. Zeitgefühl verändert sich in dunklen geschlossenen Räumen. Flure. Montage. Warum wird zwischen den Räumen gesprungen? Im Film sind es nur wenige Räume, die auch hintereinander vorgestellt werden. Eine seltsame Ansammlung von Räumen. Man kann sie mieten. Stunden, Tage, oder auch länger. Persönliche Elemente dringen ein. Wie wird ein Raum gestaltet, damit Phantasien angeregt werden? Ein Kontinuum verschiedener Räume. „Laufhaus“: Die Freier laufen auf den Gängen herum und treffen ihre Wahl. Der Verlust von Orientierung. Das Bewusstsein soll abgeschaltet werden. Alles ist auf Verführung ausgerichtet. Was macht die Architektur mit den Besuchern? Und was die Kulisse? Was macht das Fußballfeld in diesem Film? Heute laufen sie über den Fußballplatz und morgen im Haus? Es könnte auch als ein Bild wie viele andere Bilder im Film gelesen werden. Der Film versucht bei der Montage mit Offenheit zu arbeiten, will Assoziationen ermöglichen. Die Flutlichtsituation auf dem Fußballfeld. Wieder eine Arbeit mit Licht. Was ist mit der Geschichte des Hauses? In Wien gibt es ein Haus, das zur Jahrhundertwende ein riesiges Bordell war und heute ein Wohnhaus ist. Könnte man auch 50 deutsche Schlafzimmer zeigen? Das „Laufhaus“ als Wohnheim für Dirnen? Irgendwie kann man sehen, dass etwas „von oben“ entschieden wird. Und irgendwie liegt alles in einer Hand. Bilder vom Handel und vom Geschäft. Immer wieder Kleenex-Rollen. Es geht nicht um individuelle sexuelle Phantasien sondern um den Kontext. Es gibt komische private Nischen mit Geschirr und Haushaltsutensilien. Da ist ein Auto im Zimmer. Die Verkehrung von Innen- und Außenwelt. Immer wieder laufende Ventilatoren, weil die Frauen im Haus nur spärlich bekleidet sind und 30° C herrschen. Es gibt den inszenierten Heuschober und es gibt medizinisch und gynäkologisch inszenierte Räume. Es gibt aber auch einen Arzt im Haus. Alle diese Räume werden gezeigt, und manche ärgern sich, dass sie nicht unterscheiden können. Das tatsächliche Arztzimmer war absurder als das inszenierte Sexzimmer. Man hat zu solch einem Haus vorher viele Bilder im Kopf, der Film spielt mit diesen Bildern. Was ist das „Echte“, was ist das „Inszenierte“? Anderen gefällt diese Ambivalenz des Films. Es geht auch um eine Inszenierung der Lust. Manche fühlten sich in ihrer Illusion vom Arbeits- & Straßenlärm gestört, der da immer wieder als „Realität“ eindringt. Das ist die Verankerung und die Verzahnung der Realität mit der Innenwelt des Hauses: Die Illusion klappt in der Realität des Hauses auch nicht (immer). Der Ton ist später kreiert worden, aus den Momenten die dort gespürt wurden. Der Originalton war für den Film nicht brauchbar, ein lauter Musikteppich drang bis in die letzten Ecken. Manche Frauen schlafen im „Laufhaus“, wohnen im „Laufhaus“ – da tat sich manch einem „eine andere Welt“ auf. Die Verweise auf Lagerhaltung und Fleischfabrik, die serielle Art des Produzierens und die Referenz an Ökonomie und shopping malls – es geht hier ums „Verkaufen“. Der Besitzer des „Laufhaus“ läßt gerne Fernsehteams in seine Räume: RTL2 dreht kurze Features und bekommt Frauen als Kulisse zur Verfügung gestellt. Hier gab es nur die Absprache, keine Freier zu filmen. Das kleine Team (zu dritt) verhielt sich unauffällig und sprach viel mit den Frauen, um die Räume filmen zu können, in denen diese sich eine Art von Heimat schaffen. Wie hoch ist der Anteil der Illusion in dieser Illusion? Fenster werden geöffnet und neue Töne auf die Bilder gelegt. Gab es auch Eingriffe in die vorgefundene Objektinstallation? Maximal ein ungünstig positionierter Gegenstand wurde aus dem Bild geräumt. Ein Bild für jedes Zimmer sollte gefunden werden. Lange Überlegungen, wie man mit dem jeweils vorhandenen Licht arbeitet und ob es einen Schwenk geben solle. Der Film ist nie voyeuristisch, er öffnet detaillierte Einblicke und ist hervorragend fotografiert. Stundenlange Wartephasen auf leeren Fluren und relativ zügiges Arbeiten in den Zimmern. Es war klar, auf welche Bilder „man aus war“. Schnell gefunden, was man „suchte“. Die Putzkraft in der Laufhaus „Pascha“-Uniform wird zum Teil der Inszenierung. Schlüsselbilder für den ganzen Film finden. Manche Einstellungen werden als ästhetisch wunderschön empfunden, andere Einstellungen ließen schaudern und lösten Beklemmungen aus. Kein rein formalistischer und strenger Film. Ein „durchs Haus gleiten“.