Film

DOCH
von Erwin Michelberger, Oleg Tcherny
DE 2006 | 79 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
08.11.2006

Diskussion
Podium: Erwin Michelberger, Oleg Tcherny
Moderation: Margarete Fuchs
Protokoll: Roman Fasching

Synopse

Sechs Menschen in Wald, Feld und Heide. Ihre Gemeinsamkeit: das Tourette-Syndrom. Unerwartete Geräusche und Bewegungen; Zucken, Flüche, spitze Laute und die Abwesenheit von Small Talk. Statt dessen große Gespräche über das Anderssein, Angst, Glauben und darüber, wie das Leben so zu verstehen ist.

Protokoll

Der Tick, die Gruppe und ihre Diskussion. Erwin Michelberger recherchierte lange, um diese Gruppe aus notwendigerweise sehr unterschiedlichen Protagonisten zusammenzustellen. Doch wenn man drei Frauen und drei Männer, die sich vorher nicht kannten, einfach nur vor zwei Kameras setzt, passiert gar nichts. Um sie dann in Gang zu bringen, in Gespräche zu verwickeln, musste er teilweise „mehr als Input geben“ und „wirklich eingreifen.“ Der Tick, so Tcherny, hat dabei aber sehr geholfen. Der Tick war zwar der Hauptcharakter und geisterhaft auch immer anwesend, aber man konnte ihn nicht manipulieren. Warum und wann der Tick manchmal scheinbar ganz verschwindet, wie zum Beispiel in der heftigen Diskussion am Ende des Films, kann man nicht sagen. Zu viele Faktoren spielen dabei eine Rolle.

Vom Sprechen über den Tick und vom eigentlich Paradoxen der zwanghaften Enthemmung der Protagonisten. Beim Drehen mit der Gruppe war man anfangs an die Situation „wir und sie und dazwischen der Tick“ gebunden. Einerseits ersparte man sich dadurch die erste Phase der Enthemmung der Protagonisten, dafür verdoppelte sich die Arbeit mit dem Material danach. Die Dreharbeiten empfanden die Filmemacher heiter bis manchmal kaum aushaltbar. Die Gleichwertigkeit mit den Protagonisten ist für Michelberger absolut notwendig. Denn nur ein Stehen neben ihnen, nicht darüber, führt irgendwo an den Punkt, wo etwas geht. Die intensiven Vorgespräche und Vorarbeiten der Regisseure zahlen sich offensichtlich aus, denn ein Diskutant meint, dass man nicht den Eindruck bekommt, dass es zwischen Regie und Protagonisten viel Berührung gegeben hätte.

Vom Innen, vom Außen und dem Gemeinsamen. Michelberger hat sich gegen eine generelle Begegnung der Protagonisten, beziehungsweise der Gruppe, mit externen Leuten entschieden, weil mit dem Tick allein bereits ein ausbalanciertes Geheimnis vorliegt. Kontrolle und Unkontrolliertheit, eine seltsame doppelte Ebene, die zugleich hindert und öffnet. Schreck und Glück, auch ohne Konfrontation mit dem Außen. Mit diesem Paradox – und dem Tick der Filmemacher – begründet Tcherny auch die gewollte „Flatterhaftigkeit“ (Publikum) des Schnitts im ersten Teil. Der zweite Teil dreht sich mehr um das Gemeinsame, um Fragen, die wir uns alle stellen. Hier macht der Schnitt, bestätigt Michelberger, den Raum der Protagonisten freier und offener.

Vom Wahren, vom Klaren und vom Versprechen. Einige Ticks/Flüche in den Gesprächen kamen Michelberger oft auch wie eine zweite Wahrheit vor. Die Grenze zwischen Tick und Rede/Gegenrede verwischt manchmal. Dass Geste und Tick nicht immer unterscheidbar sind, gehört für ihn auch zu diesem spannenden Feld das „wir“ ja nicht haben. Vielleicht lächelt der Regisseur deswegen, als er bestätigt, dass die kurze Rückblende auf 2003 nicht einlöst was sie anscheinend verspricht.

Der Tick, der Beruf und die Klienten. Tcherny meint, dass für Filmer wie für alle anderen Berufe Ticks notwendig sind. Die Filmemacher selber wissen ja zum Beispiel, dass Doch sicher keinen kommerziellen Erfolg haben wird. Zahlreiche Redaktionen lehnten anhand einer eingereichten Kurzfassung des Films die Finanzierung einer Langversion ab („Zu schwer fürs Publikum“).

Die Dramaturgie, die Jahreszeiten, der Schnee und der Schlussschwenk in den Wald zurück. „Jetzt denken viele vielleicht: ‚Jetzt muss noch was kommen’ und es kommt nichts. Ist doch auch schön.“ Tcherny ergänzt, dass der Versuch über ihre Ticks beim Filmemachen zu sprechen doch auch nur ein Tick ist. Margarete Fuchs’ Protest, das sei ihr zu wenig, begegnet Michelberger mit dem Hinweis, dass es aber nicht mehr ist. Vielleicht ist es schön. Vielleicht gibt es „bessere Antworten als wir zwei hier jetzt geben können.“ (Tcherny) Michelbergers letzter Kommentar dreht sich um die Frage wer wir denn schon sind, außer einem Punkt auf der Welt.

Ende. Als Schlusspunkt des Gesprächs mit reger Publikumsteilnahme stellt eine Diskutantin noch den Vergleich mit ALMfilm an, in dem sie sich bei bestimmten Protagonisten teilweise unwohl fühlte. Die Performance in Doch war für sie teilweise so abgehoben von der Realität, dass sie sie manchmal unfreiwillig transzendiert. Punkt.