Synopse
Der Bauernhof „Alm“ in Wien liegt mitten in den Weinbergen. Eine Gruppe junger Menschen lebt und arbeitet hier. Ist der Wein geerntet, dreht sich alles um die großen Themen Liebe, Tod, Hoffnungen und Enttäuschungen. Und vor allem darum, wie man mit der eigenen geistigen Behinderung klar kommt.
Protokoll
Zu Beginn der Diskussion steht die Frage von Lars Klostermann, wie Gundula Daxecker der Umgang mit ihren geistig behinderten Protagonisten und der „Macht der Kamera“ gelang. Für die Regisseurin waren der Film und die Annäherung an die Klienten der ALM ein Prozess, in dem zunächst über die Betreuer das nötige Vertrauen aufgebaut werden musste. Protagonisten und Filmteam lernten sich vor Drehbeginn kennen und konnten so die Interviewsituationen offen gestalten.
Die Auswahl der vier Hauptprotagonisten wurde nicht vor den Dreharbeiten getroffen. Julia und Murat standen jedoch bald nach Beginn fest, Hans und Manuela zeigten sich ebenfalls am ehesten bereit, mit dem Team zu kommunizieren. Der Film, so die Regisseurin, war für die vier eine wichtige Selbstbestätigung. Murat, so gibt sie zu, habe mit der Kamera kokettiert und sich selber gerne in Szene gesetzt. Sie selber sei im Umgang mit den geistig Behinderten im Laufe des fast einjährigen Drehs immer fordernder geworden, habe ihren Interviewpartnern immer mehr zugemutet. Sie empfand diese jedoch auch als zunehmend reflektierter, würde der Vermutung einer therapeutischen Wirkung ihrer Arbeit aber eher nicht zustimmen.
„Wie war es bei den Eltern?“, „was war früher?“ und „was ist jetzt?“ waren die großen Fragen der Regisseurin. In ein bis zwei Stunden langen Interviews ließ sie ihren Protagonisten Zeit, diese zu beantworten. Diese offene Form, so eine Meldung aus dem Publikum, lasse den Protagonisten einen performativen Freiraum, der nicht wie eine dialogische Situation wirkt. Sprache wird besonders für Manuela zu einem wichtigen Ausdrucksmittel. Die Schilderung ihrer Erlebnisse in der Psychiatrie empfindet Fred Truniger geradezu als einen Bruch. Mit einer sehr präzisen Sprache wende sie sich plötzlich dem dokumentarischen Erzählen zu. Bei Julia, so Truniger weiter, sei eine stringente Parallelität zwischen ihrem Sprechen und ihrer Gestik zu erkennen gewesen. Murats Schwindelei lasse ihn eine andere körperliche Haltung annehmen.
Gundula Daxecker schildert, wie wichtig es für alle Klienten der ALM gewesen sei, dass sie wahrgenommen werden, dass ihrem Sprechen jemand Beachtung schenkt. Kommunikation sei ein Überlebensfaktor und gerade Manuela habe lange in einer Psychiatrie gelebt, in der ihr scheinbar wenige Menschen zuhörten. Sie habe ungefähr eine Woche vor den Gesprächen einen thematischen Input benötigt, auf den sie dann in Momenten der Konzentration reagieren konnte. Die Interviews wurden als willkommene Abwechslung empfunden und gerne waren auch die anderen fünf Klienten immer wieder bereit, befragt zu werden.
Ihrer Verantwortung bewusst, sprach Daxecker die Auswahl der im Film zu sehenden Ausschnitte mit ihren Interviewpartnern ab. Die Zustimmung von Hans zu einer Szene, in der er eine Frage über seine Familie nicht beantworten möchte, da diese privat sei, zeigt für Fred Truniger, dass dieser sich dem Moment der Einflussnahme durch die Kamera bewusst sei. Eine Art von Selbstbestimmung komme hier sehr deutlich zum Ausdruck.
Die vier Hauptprotagonisten werden nicht in privaten Umgebungen gezeigt, sondern auf der ALM bei der Arbeit oder in Interviewsituationen auf dem Gelände. Die Arbeit am Weinberg ist von Daxecker als roter Faden gedacht, der Jahreszeitenwechsel als eine Art dramaturgische Leitung durch den Film. Allerdings seien im Laufe des Drehs zunehmend mehr Interviews als Szenen der Arbeit entstanden.
Ein Diskutant aus dem Publikum empfindet beim Schauen des Films eine große Ratlosigkeit. Der Film arbeite weder mit einer bestimmten Frage noch einer Antwort. Es werden Leute gezeigt, die aus ihrer prekären Situation heraus wollen, die Relevanz für andere wird vermisst. Josie Rücker präzisiert die Frage: Warum habe Gundula Daxecker einen Film über geistig Behinderte gedreht? Die Regisseurin antwortet, dass es ihr Anliegen gewesen sei zu zeigen, dass Menschen mit geistigen Behinderungen gar nicht so weit entfernt seien von den „Normalen“. Sie fordert einen anderen Umgang, eine andere Begegnung mit geistig Behinderten. Für sie war es eine spannende Erfahrung während der Dreharbeiten zu merken, dass der Grenzverlauf von „geistig behindert“ und „normal“ verschwand. So habe sie bei ihrem ersten Besuch Julia für eine Betreuerin gehalten.
Ein anderer Diskutant wirft ein, dass ein Film wie ALMfilm die Zuschauer in eine Situation führen kann, in die sie sich nicht selber bringen können oder wollen. Er nimmt uns etwas ab. Allerdings, so wird von anderer Seite eingewandt, sollte dieses „Abnehmen“ eher als Anregung verstanden werden. Die Beschäftigung mit einem Thema wie z.B. geistiger Behinderung, dürfe nicht mit dem Abspann enden. Genau diese nötige Offenheit, so ein Diskutant, sei in Daxeckers Film zu finden. Kein Betreuer oder erklärende Untertitel stillen eine eventuell weiterführende Neugier.