Film

Was lebst Du? 
von Bettina Braun
DE 2004 | 82 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 28
08.11.2004

Diskussion
Podium: Bettina Braun
Moderation: Werner Ružička, Lars Klostermann
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

„Ich bin schwanger“ – „Ehrlich? Ohne Scheiß? Und wievielter Monat?“ „Vierter.“ Wie das Kind, so wächst auch der Film heran und begleitet über zwei Jahre Ertan, Ali und die anderen Jungs vom Jugendtreff „Klingelpütz“. In dieser Zeit ist alles drin – von der abgebrochenen Ausbildung, Problemen mit der Polizei bis hin zur Hauptrolle im Musical.  

Protokoll

„Babies können viel mehr sehen als wir, zum Beispiel Engel.“

Die Filmemacherin – Kamera, Ton und Regie in Personalunion – hat ein Experiment gewagt. Ihre Schwangerschaft, die sie selbst als Fremdkörper im Film bezeichnet, ist Teil ihrer Dokumentation der jungen Protagonisten des Kölner Jugendzentrums Klingelpütz geworden, obwohl sie die Sorge hatte, dass der Film dadurch in eine falsche Richtung führen könne. Erst sehr spät im Schnitt habe sie sich entschieden, die Reaktionen auf ihr Schwangersein an den Anfang ihres Filmes zu stellen, und ihren Sohn, ihre Geschichte mitzuerzählen. Für Werner Ruzicka eine Einführung, die gefangen nimmt.

„Ich werde noch ein ganz Großer. Ich muss einer werden. – Ein ganz großer Rapper.“

Die Sprache dieser Jugendlichen interessierte Bettina Braun. Sie kannte zwei der Sozialarbeiter des Klingelpütz, besuchte sie und nach einem ersten Gespräch mit Ali und Ertan entschied sie sich, diese Dokumentation zu starten – ohne Geld, mit Intuition. Langsam habe sie das Vertrauen zu den vier Protagonisten gewonnen, habe abends die Jugendlichen besucht, sie gefilmt, sie motiviert, sich auch außerhalb des Klingelpütz mit ihr zu treffen und sich dokumentieren zu lassen. Der Anstoß ging immer von ihr aus.

Zwischenwelt und Heimatgefühl, ihre oft sehr kurzen Beziehungen, das Verhältnis zu den Eltern und besonders das Zusammensein in der Gruppe kristallisierten sich als Themenschwerpunkte. Anderthalb Jahre drehte sie. Flexibilität war ein sehr wichtiger Faktor.

Das alleine durchzuziehen, nur so funktioniert so ein Film, meint Bettina Braun,

„Du hast aber auch echt blöde Fragen gestellt…!“

Die Eltern wollte Bettina Braun unbedingt im Film haben, natürlich habe sie Ali und die anderen gepusht, wenn sie bestimmte Bilder wollte, und habe immer wieder nachgehakt, wenn sie etwas von ihnen vor der Kamera hören wollte. Dabei gab es Abmachungen, was gezeigt, was nicht gezeigt werden darf. Grenzwanderungen sind bewusst in den Film einbezogen worden, meint Bettina Braun.

Sie weiß, dass diese Jugendlichen mit dem Medium Fernsehen groß geworden sind. Sie beobachteten die Filmemacherin genau, achteten darauf, was sie filmt, machten sich Gedanken, wie das im Film umgesetzt werden könnte, verweigerten sich oder übten Kritik. Ein Effekt daraus sei gewesen, dass sie den Vieren sehr viel über ihre eigene Arbeit erzählt habe.

„Wo ist mein Leben, wo ist mein Lächeln geblieben?“

Scheitern, Durchhalten und Aufstehen bei den Jugendlichen – Endlich ereignete sich nach etlichen Verzögerungen etwas Besonderes: der Premierenauftritt von Ali. Und zum Glück kam auch die Zusage vom Kleinen Fernsehspiel und von der Filmförderung, was für die Regisseurin einen Wendepunkt darstellte, denn auch sie war an ihre Grenzen gekommen, mit Schwangerschaft, Stillzeit, dem nebenher Geldverdienen. Sonst hätte sie wohl vor der Aufführung des Musicals, das den Film abrundet, schon begonnen, den Film zu schneiden.

Zur tatsächlichen Finanzierung durch Christian Cloos, Das kleine Fernsehspiel, kam es, als die Produzenten (Icon Film), nach verschiedentlichen erfolglosen Einreichungen bei Fernsehredaktionen, die zufällige Chance ergriffen, Christian Cloos Ausschnitte aus dem Film zu zeigen. Da hätten ihn der Zugang zu den jungen Männern, ihrem Lebensgefühl und ihrem Witz sehr schnell überzeugt, nach anfänglicher Absage nun doch einzusteigen. „Manchmal braucht man Bilder“, meint Christian Cloos.

„Könnte es sein, dass du Scheiße gebaut hast?“ „Ja.“

Dass sie durch das Filmen und ihre Anwesenheit Einfluss auf ihre Protagonisten ausübt, hat Bettina Braun in den Film einbeziehen wollen. Es ist eine Form der Anerkennung dieses Einflusses. Die Schwierigkeit, Ton und Kamera alleine zu machen, habe dazu geführt, dass die Topographie sehr rudimentär behandelt werde. Die Kameranähe zu den Protagonisten wurde ihr Stil.

Ali, Ertan, Kais und Alban sind im Publikum anwesend: „Wir haben nicht gespielt, das war alles Realität.“ Auch die Regisseurin verneint Inszenierungen, aber als Ali in der letzten Sequenz des Films fragt: „Wo gehen wir hin, wo ist Ertan, der dreckige Türke?“, habe sie dies gleich als Filmende erkannt. So könne man, vermerkt Werner Ruzicka, von einem „Spielfilmende“ sprechen: Ali bekommt den „lonely Helden“ zugesprochen, denn er fasst zusammen, was alle denken.

„Ein arbeitsloser Proll heißt schon mal gar nicht Heiko.“

Lobend wird aus dem Publikum anerkannt, dass „Was lebst du?“ nicht zu einer Sozialstudie geworden sei, sondern die Sprache der Jugendlichen ins Zentrum gerückt habe. Ihr Sprachwitz, darüber lache man, als dann der Film ernster werde, merke man das auch am Sprechen der Protagonisten.

Wenn Ali über Religion spricht, zeigt er Differenzen zwischen sich und der Filmemacherin auf. Allerdings, so eine Zuhörerin aus dem Publikum, müsse man sich dabei bewusst sein, wer das Publikum sei, das diese Differenzen wahrnehme, wie jetzt hier in Duisburg.

„Ich glaub ich krieg mein Traumflash.“