Film

I focus on a project
von Frank Henne
DE 2004 | 46 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 28
12.11.2004

Diskussion
Podium: Frank Henne
Moderation: Mark Stöhr
Protokoll: Natalie Lettenewitsch

Synopse

Ein Ziel muss man haben im Leben. Oder zumindest einen Job. Am besten beides. Und wenn einem gar nichts einfällt? Fragt man die Eltern. Oder die Freundin. Metzger? Förster? Ein Filmprojekt ist nie verkehrt und ein Fokus schnell gefunden. Vor allem, wenn man selbst im Zentrum steht. Doch was ist, wenn selbst das außer Kontrolle gerät? Mal sehen, was die Freundin dazu sagt.

Protokoll

Vorweg erkundigt sich der Moderator mit redlicher Anteilnahme nach dem Stand der Jobsuche. „Viel hat sich nicht verändert“…

Ein mehr oder weniger arbeitsloser Filmemacher ist zu Beginn seines Films in die Berge gefahren, um dort von lebenstüchtigen Urlaubern gute Ratschläge einzuholen, und hat sie nach Möglichkeit auch in die Tat umgesetzt: Nebenjob in einer Metzgerei – Arbeit mit Behinderten – Engagement für die Natur. Über solch konkrete Anregungen hinaus hat er einen allgemeineren Ratschlag von fast allen erhalten: sich auf eine Sache zu konzentrieren. Was der Film dann doch nicht so einfach befolgen möchte. Mark Stöhr fragt entsprechend nach dem recht heterogenen Material und seiner Entstehungsgeschichte. Die Gebirgsinterviews z.B. waren ursprünglich Teil eines anderen geplanten Projekts, kleine Porträts sollten dabei entstehen und Besuche bei den Urlaubern zuhause stattfinden – „hat sich aber zerschlagen“…

Scheitern dokumentieren

Wie ist die im Katalog verkündete Absicht zu verstehen, „inspiriert durch das Gejammer um mich herum im Selbstversuch die Position als larmoyantes Arschloch auszuloten“? Der Filmemacher kreist letztlich nur um sich, ohne wirklich einen Aufbruch zu wagen – so jedenfalls seine nüchterne Selbsteinschätzung. Die Flucht nach vorne lag darin, „sein Scheitern öffentlich zu machen“. Wie wir erfahren, hat er sich nach der telefonischen Einladung zur Duisburger Filmwoche erstmal für seinen Film entschuldigen wollen.

Und welche „Verbindung“ besteht nun zwischen Frank Henne und der Kunstfigur Frank? Eine fast vollständig autobiographische, das möchte Henne wohl gar nicht anders verstanden wissen und erzählt fortan ganz aus der eigenen Perspektive. Die stößt auf Erheiterung wie auch auf breites Verständnis. Zum Beispiel, als es um das romantische Bild vom mittellosen Künstler geht, das man in jüngeren Jahren pflege – „nun ist man soweit und es fühlt sich gar nicht romantisch an“. Die diversen Nebentätigkeiten hat er tatsächlich ausgeübt, solche in der Metzgerei wie auch all die schlecht bis gar nicht bezahlten Film- und Fernsehjobs, die von den Anbietern stets als ideell wertvolle und „später mal nützliche“ Erfahrung verkauft werden.

Scheitern inszenieren

So „echt“ wie er selbst sind einige andere Akteure wiederum nicht. Insbesondere nach der Wirtshaus-Szene, die kräftig ins Absurde eskaliert, fragen Moderator und Publikum. Sind das Waldarbeiter, die Regieanweisungen erhalten haben (nämlich die Anweisung, Waldarbeiter zu spielen, die Regieanweisungen erhalten)? Henne klärt auf: Es sind sogar professionelle Schauspieler, Oliver Kraushaar u.a., die die Szene nach Vorbesprechung bis zur finalen Prügelei durchimprovisierten. Die jodelnde Bedienung war zumindest teilweise informiert. Und ungefähr so hatte sich die Szene vorher tatsächlich zugetragen: Henne sollte den besagten Imagefilm für eine Forstfirma drehen und traf in einer finsteren Dorfpizzeria mit vergleichbar unkooperativen Waldarbeitern zusammen, die „wenig Lust auf ihn hatten“.

War es von vornherein geplant, mit solchen Inszenierungen zu arbeiten? Ja, nach ersten gründlicheren Überlegungen für dieses Projekt sei das für ihn klar gewesen, meint Henne – er möchte das Ergebnis aber davon unberührt in jedem Fall als Dokumentarfilm betrachten. Der Verlauf der Szene sei inszeniert, aber der Raum und nicht zuletzt das Freibier waren trotzdem da… Ein Zuschauer lobt den „schönen Trick“, mit dem der Film gänzliche Verunsicherung über Realitätsebenen erzeugt.

Wie kommt der Filmemacher aus bayerischen Urtiefen plötzlich nach Peking? Ein völliger Neuanfang sollte das sein, so Henne, oder auch eine Flucht. Was ihn dabei interessierte, war der in China noch vorherrschende, fast ungebrochene Fortschrittsglaube und berufliche Optimismus als Gegenbild zu seiner Erfahrungswelt.

Mark Stöhr fragt nach der Dramaturgie: Macht die Figur eine Entwicklung durch, die schließlich in totaler Verweigerung endet – oder positiv formuliert, in der Rückkehr zu sich selbst? Und ist die Schlussszene mit der Freundin eine Art Happy End? Im Übrigen – es ist doch seine Freundin und keine Schauspielerin? Sie war seine Freundin, meint Henne, der die Betreffende vor der Kamera mit Ligeti-Musik davonekelt und damit offenbar real erfolgreich war. Happy End insofern nicht ganz. Und was die Verweigerungshaltung anginge, die sei schon von Anfang an da und nicht erst am Ende.

Gab es denn ein „visuelles Konzept“? Henne hat, den materiellen Umständen entsprechend, auf Video gedreht. In den jeweiligen Szenen hat er die Kamera „einfach mitgenommen“, ohne vorher große Überlegungen zu Auflösung bzw. Stilistik anzustellen. Ein anderer Zuschauer wirft ein, gerade der Anfang wirke holprig, als wolle Henne demonstrieren: „Ich kann gar keine Filme machen“. Ob das Absicht sei? (!) Dann aber aufmunternde Worte: Die späteren Szenen seien hervorragend inszeniert, damit sei er seinem Ziel doch ein gutes Stück näher gekommen…

Erwachsen werden

Gibt es eine Beziehung zum politischen Theater, wie dem Maxim Gorki in Berlin, wo Henne assistiert hat, will eine Zuschauerin wissen? Nein, politisch sei er gar nicht (und das Maxim Gorki im Übrigen auch nicht besonders). Ob er sich nicht sträflich in die ironische Position flüchte? Ja, bekennt Henne, eine Lösung bzw. Läuterung findet nicht statt. Alles andere wäre „sozialdemokratisches“ Kunstverständnis. Veränderungen sollen bestenfalls nachher stattfinden, aber nicht im Film.

Zustimmen kann er der Vermutung, dass der Protagonist nicht nur keine Arbeit hat, sondern auch keinen Hunger nach Arbeit oder nach überhaupt irgendetwas. Ein Gefühl von „Sattheit“, gepaart mit der Illusion, schon irgendwie gesellschaftlich aufgefangen zu werden. Auch Verweigerung gegenüber dem Erwachsenwerden, fragt Mark Stöhr? Henne bejaht – er selbst habe gelegentlich das Gefühl, „hinterm Mond zu leben“, während andere schon „im Leben stehen“. Mitunter tauche zwar der Wunsch nach einer Basis auf, z.B. eigenen Kindern, aber „der Zug ist irgendwie schon abgefahren, also mache ich erstmal so weiter“ (unterdrückt hysterisches Lachen vom Podium). Ähnliches sehe er im Bekanntenkreis: Es werde viel gejammert, aber nicht gehandelt – oder vielleicht doch, aber nicht wirklich nach außen gerichtet. Man möchte lieber um etwas gebeten werden, als sich aktiv darum zu kümmern.

Nicht nur die beiden jungen Herren auf dem Podium sind sich einig. Ein älteres Semester im Publikum möchte, ohne den Film gesehen zu haben, den poetischen Allgemeinplatz für sich beanspruchen, auch „Kind geblieben“ zu sein – nur so könne man Filme machen bzw. Künstler sein. Henne weist dann selbst auf den koketten Beigeschmack solcher Aussagen hin, die letztlich für jeden irgendwie zutreffen. Deutliche Rückfälle in die Kindheit stellt er an sich naheliegenderweise vor allem in einer Lebenslage fest: bei Rückkehr in den Heimatort und zu den Eltern. – Wie fanden eigentlich die Eltern den Film…? Scheinbar ganz in Ordnung.