Protokoll
Heute ist es Gibraltar, morgen Lampedusa: An den europäischen Grenzen sterben tausende, unzählige Flüchtlinge. „Man weiß nicht, wie viele Flüchtlinge vor Tarifa bisher ertrunken sind“, sagt Joakim Demmer.
Die europäische Seite
Das Thema der Flüchtlinge – der Flüchtlinge, die sterben – wird aus der europäischen Sicht beschrieben. Die Menschen, die über die Ertrinkenden, die vom Meer angespülten Leichen sprechen, sind alle Teile eines großen Ganzen. Die Situation überragt jeden einzelnen von ihnen. Daher die Entscheidung, dass keine der im Film interviewten Personen zu viel Raum einnehmen sollte.
Den „zynischen“ Grenzpolizisten, eine Art „Jagdsportler“, wie man ihn aus anderen Filmen kennt, gibt es bestimmt auch in Tarifa. Doch der „böse Polizist“ würde die Sicht auf das bestehende strukturelle Problem verwässern. Die Spanier vor Ort, deren Job es ist, Flüchtlinge aufzugreifen, erlauben sich vielleicht eine ambivalentere Haltung zu den Flüchtlingen: Job ist Job, und nach Feierabend nimmt man auch mal Flüchtlinge mit dem Auto mit. Der Ort selbst als Wohnort, bekommt für die Menschen etwas Alptraumhaftes: Der Strand, der tagsüber belagert von Surfen und Urlaubern ist, wird nachts zum Massengrab. Diese Doppelwelt darzustellen ist eventuell sogar „zu soft“ ausgefallen.
Das Gesicht der Flüchtlinge
Die „Pateras“ werden auf offener See gefangen, im Hafen aufgereiht, sie bekommen Decken, heißen Tee. Das ist Teil einer Routine. Manchmal bis zu 15 Mal in einer Nacht. Die „Presse“ darf zusehen und filmen. Auch das Filmteam war dabei, hat Bilder gemacht, zwar andere Bilder, die die „Rechtlosigkeit“ dokumentieren sollen, aber sich dennoch dabei „beschissen gefühlt“.
Nicht als „Gespenster“ sollten die Flüchtlinge wirken, doch werden sie in der Routine kaum als Individuen betrachtet; und um das zu vermitteln, wählt der Film die distanzierte Beobachtung.
Abbildbarkeit
In einer Geschichte des Filmes wird dann doch ein Teil einer Flüchtlingsgeschichte erzählt. Ein in Italien lebender Marokkaner will die Leiche seines Bruders zurück nach Marokko bringen. (Geplagt von einem Schuldgefühl, da er die tödliche Überfahrt seines Bruders gegen den Willen der Mutter finanzierte. Doch dies ist eine Information, die nicht im Film gegeben wird). Die Exhumierung der Leiche, die der Film zeigt, ist ein Ansatz, um die Bedeutung vom Tod vor Gibraltar zu dokumentieren und dabei vielleicht auch über „Schamgrenzen“ zu stolpern: „Wir waren bei der Exhumierung dabei, viel weiter kann man eigentlich nicht gehen. Der Bruder gab im Vorfeld sein Einverständnis. Eigentlich haben wir dort nichts zu suchen. Aber um zu verstehen, was hier passiert, nehme ich mir das Recht, das zu zeigen.“
Fokussierung auf den Tod
Nicht gezeigt wird die ökonomische Seite. Warum kommen die Flüchtlinge? Gibt es einen Sog, von Europa aus nach Europa zu gehen? Nicht gezeigt wird auch der Ort als Ort der Abschiebung. Man kann andere Filme drehen, auch „längere“, in Tarifa Traffic liegt der Fokus auf dem Tod, „denn das ist die äußerste Konsequenz“.
Und es ist ein „Kalter Tod“, denn die Identität vieler Leichen wird nie geklärt. Für den Grenzpolizisten ist der Anblick der Leichen, der Teil seiner Arbeit, „an den man sich wohl nie gewöhnen wird“. Der Bestattungsunternehmer hingegen empfindet die Konfrontation mit den Flüchtlingen mit den Angehörigen der Toten als den bedrückenden Teil. Diese zwei Seiten der selben Verwaltungssituation stellt der Film nebeneinander.
Ein politischer Film
Die europäische „Abschottung“ führt zum Tod der afrikanischen Flüchtlinge. Um zu erklären, was das genau bedeutet, muss es über Menschen erklärt werden, die Teil des Dramas sind. Denn Europa schottet sich auch vor dem Drama ab. Und der Zuschauer soll den Raum haben, selber denken zu können. Demmer möchte nicht sagen, „was jetzt Sache ist“, und es ist nicht seine Aufgabe, eine derartige Erwartung zu stillen.
„Ein politischer Film“, so endete die Diskussion mit der Sicht des Moderators Vrääth Öhners, „nicht trotz, sondern wegen der Emphase.“