Film

Seelenschatten
von Dieter Gränicher
CH 2002 | 59 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 27
05.11.2003

Diskussion
Podium: Dieter Gränicher
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Die Idee zum Film kam Dieter Gränicher während einer eigenen Lebenskrise, er beschloss, den Film erst in einer Zeit zu machen, in der es ihm wieder „gut“ geht. Die Protagonisten, die die Gefühle der Depression erfahrbar machen, fanden sich zufällig: Hélène und Charles waren gleichzeitig auf der Station der Klinik, für die Gränicher eine Dreherlaubnis erhalten hatte, die junge Frau kam über eine Selbsthilfeorganisation.

Depression ist eine metaphorische Krankheit: Eine Diagnose kann sich nur auf die Beschreibungen des Patienten stützen, der Film „Seelenschatten“ entsteht aus diesen Beschreibungen. In Zeiten der Depression ist man immer allein: Ärzte, andere Menschen (und die Welt) existieren nur am Rande des schwarzen Lochs.

Ein großer Bär, manchmal im Winterschlaf – aber man weiß, dass da immer irgendwo irgendwas lauernd hervorbrechen kann.

Ein Film, der diese Krankheit durch ihre Beschreibungen erfahrbar macht. Eine „unheimliche“ Krankheit, nicht fassbar, teuflisch, die sich von hinten anschleicht. Hélène versucht ihre Depression zu beschreiben, kommt ins Stocken, bleibt stehen, kommt nicht weiter. Unbeschreibbar, und trotzdem „genau“: Hélène sagt, ihr fehlt ein Stück Lebensfreude. Gränicher fragt: „Ein großes Stück?“

Der ursprüngliche Filmtitel war „Seelenfirn“. Firn: Der alte Schnee hoch auf den Bergen. Der den Sommer überdauert. Der Grau wird. Weit weg. Und wartet.

Dass dieser Film sich auf Gespräche & Beschreibungen konzentriert, ist vielleicht eine „falsche Spur“, die ein falsches Bild geben könnte: Gespräche mit Therapeuten sind in der Klinik-Realität selten. Ärzte in Kliniken verschreiben Medikamente: Unzählige, in diversen Dosierungen, zum Ruhigstellen. Sie lassen sich dabei nicht filmen, die Auffassungen sind zu unterschiedlich, die Wirkungen umstritten. Ein „fachlicher“ Diskurs hat nichts mit dem Erleben dieser Krankheit zu tun. „Seelenschatten“ will dieses Erleben sein, nicht einen wissenschaftlichen Diskurs oder Therapiemöglichkeiten zeigen.

„Seelenschatten“ kommt sehr nah an seine Protagonisten heran, er „begleitet“ sie, hat vor ihnen Respekt und gibt auf sie acht. Die Filmarbeit hatte eine hohe therapeutische Wirkung (wie ihnen später bewusst wurde), es sind Beziehungen entstanden, die die Filmarbeit überdauert haben. Gränicher wusste vorher, auf was er sich einlassen wird, dass er Verpflichtungen übernehmen wird. Aber er hat erst hinterher begriffen, dass es auch eine große Belastung war für die Protagonisten, sich so sehr zu öffnen: Schamgefühle über den eigenen Zustand in Phasen der Depression. Es hat ihn persönlich sehr getroffen, dass sich Hélène von heute auf morgen, ohne großen Streit, völlig zurückgezogen und den Kontakt komplett abgebrochen hat. Unheimlich.

Zukunft

Gränicher ist froh, dass die junge Frau anonym geblieben ist: Sie könnte Schwierigkeiten an möglichen Arbeitsplätzen bekommen. Gerüchte. Gerede.

Hélène bezieht Rente und muss sich keine Gedanken mehr um ihren Lebensunterhalt machen. Charles geht offensiv mit seiner „Krankheit“ um, er steht öffentlich dazu und hat nach dem Film viele positive Reaktionen bekommen.

Zukunft Teil 2

Charles ist wieder in die Klinik gekommen.

(Gränicher hatte dies in einer ersten Schnittfassung eingebaut, aber die Wirkung bei einer Testvorführung war zu schockierend.)

Metapher Teil 2

Regentropfen, dunkle Wälder und Friedhofskreuze. Gränicher ist vielleicht zu sehr Melancholiker, aber im grellen Sonnenschein hätte manches unglaubwürdig gewirkt.

Umfangreiche Materialberge bleiben nach fast jeder Filmarbeit zurück und verschwinden in Kisten, Aktenordnern oder im Papierkorb. Gränicher hat aus dem Material weitere 5 Stunden hergestellt, die nun auf DVD verfügbar sind (wissenschaftliche Lehrfilme, Interviews), und eine Internetseite mit statischen Daten und weiterführenden Infos & Links angelegt. Brachliegendes Wissen wird so verfügbar gemacht und bietet die Möglichkeit zur Vertiefung.