Extra

Große Bilder für kleine Zuschauer

Duisburger Filmwoche 27
05.11.2003

Podium: Eva Radlicki (ZDF, Mainz), Uwe Kersken (Gruppe 5, Köln), Anne Marburger (Filmförderung

Baden-Württemberg), Suzann Beermann (Eyz-Zeit-Kino, Berlin)
Moderation: Volker Heise
Protokoll: Andrea Reiter

Protokoll

Volker Heise eröffnet die Diskussion mit dem „bitteren“ Teil, dem Ist-Zustand, dem er jedoch einen inhärenten Lichtblick zugesteht.

Eva Radlicki, die Kindersendeformate beim ZDF betreut, möchte erst einmal entdramatisieren. Natürlich gibt es dokumentarische Formate wie Pur, Logo, Löwenzahn, Stark oder Fortsetzung folgt, die den Kindern Wissen in sehr kurzen Beiträgen dokumentarisch näher bringen. Was fehlt sind lange Kinderdokumentarfilme, ob über Kinder oder zu Themen, die besonders für Kinder geeignet sind. Doch muss Frau Radlicki eingestehen, dass diese Formate im gesamten Sendespektrum verschwindend gering sind. Zentraler Knackpunkt sei die Quote, die mit Kinderdokumentarfilmen nicht den Vorstellungen der Sender entsprechend erzielt werden könnte. Deshalb wünscht sie sich unterschiedliche Maßstäbe, mit denen an die verschiedenen Genres herangegangen werde. Auch müsse davon abgekommen werden, falsche Vergleiche zu den progressiveren Niederländern zu ziehen, die im Kinderfilm und darin eingeschlossen auch im Kinderdokumentarfilmbereich neue und florierendere Wege beschreiten würden. Hier vergleiche man oftmals Ungleiches miteinander.

Die Frage an den Produzenten Herrn Kersken ist nun, ob es sich überhaupt lohnt, in die Familienprogramme zu investieren. Uwe Kersken, der in seiner Laufbahn verschiedene große Kinderdokureihen produziert hat, weiß um die hohen Kosten und den großen Arbeitsaufwand für längere Produktionen und kennt die Tendenzen der Sender, sich mit kurzen Wissensmagazinen auf der sicheren Seite der Einschaltquoten zu bewegen. Ein schwieriges Problem sei der Zeitfaktor. Jahrelang dauerten die Diskussionen und Erwägungen, die zu guter Letzt doch zu keinem konsequenten Handeln führten.

Volker Heise fragt nach dem Interesse der Kinder. Liege das tatsächlich bei den Komik dominierten Programmen?

Suzann Beermann vom Eyz-Zeit-Kino in Berlin, die sich auf Kinderprogramme spezialisiert hat, legt Wert darauf, dass Kinder mit Dokumentationen nicht allein gelassen werden. Diskussionsrunden vor oder nach einem Kinoerlebnis wären nützlich. Als größtes Problem führt sie allerdings an, Kinder und Jugendliche überhaupt ins Kino zu locken. Eltern und vor allem Lehrer seien hier gefragt, die erst mit viel persönlichem Engagement kontaktiert und vom Nutzen überzeugt werden müssten.

Anne Marburger von der Filmförderung Baden-Württemberg berichtet, dass in den letzten acht Jahren, seit eine spezielle Kinderfilmförderung eingerichtet wurde, noch keine Anträge für Kinderdokumentarfilme eingereicht worden seien.

Das Missliche an der momentanen Situation vieler Filmförderer sei, dass für jede Filmfinanzierung eine Senderbeteiligung vorgeschrieben sei, wodurch sicher auch Kinderdokumarfilmprojekte zu leiden hätten. Aber ohne Slots für dieses Genre bestehe bei den Sendern natürlich wenig Interesse, solche Projekte zusammen mit Filmförderern anzugehen. Ein Problem bestehe darin, dass in den Förderinstitutionen viele Sendervertreter säßen und ihren Einfluss ausübten. Natürlich sei eine Senderbeteiligung für die Finanzierung oftmals wünschenswert, aber in der aktuellen Konsequenz zuweilen hinderlich. Es gäbe zuweilen Projekte, bei denen man ohne die Vorgabe der Koproduktion mit einem Sender erfolgreich eine Finanzierung zustande bekommen würde. Frau Marburger unterstreicht nachdrücklich, dass eine Annäherung auf Förderer-Sender- Ebene dringend stattzufinden habe.

Volker Heise stellt die brennende Frage.

Wenn auf allen Seiten ein wahrhaftiges Interesse bekundet wird, warum tut sich dann nichts?

Einen Grund dafür erkennt Frau Radlicki in der Idee, die hinter dem Begriff des Kinderdokumentarfilms stecke, die in ihrer Neuartigkeit erst einmal klar definiert werden müsse. Dann könnten die Sender reagieren.

„Is it totally new?“ Was ist denn ein Kinderdokumentarfilm? Wer bestimmt das?

Uwe Kersken führt ein Beispiel an, bei dem eine Serie über Delfine im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Kinder fanden sie großartig und wollten sich z.B. sofort gegen das Abschlachten von Delfinen einsetzen, das in diesen Dokumentationen thematisiert wurde. Die Eltern waren entsetzt, erhoben Einspruch gegen das gezeigte Sterben der Delfine.

Er wolle klar etwas für die Bildung der Kinder produzieren, über Soziales, Natur oder Geschichte beispielsweise. Gehe man das gekoppelt mit einem Abend-/Familienprogramm an, ließen sich tolle Kinderdokumentationen herstellen. Man müsse jedoch wissen was man will, um Sender bezüglich der Sendeplätze angehen zu können. Alte Geschichten in neuen Gewändern und überraschende Inhalte seien gefragt.

Herr Kersken berichtet von Seminaren, in denen danach geforscht werde, wie die Zuschauer zu packen seien. Für die meisten Sender seien in jedem Programm die ersten fünf Minuten ausschlaggebend, um das Publikum bei der Stange zu halten. So müsse man halt dramatisch anfangen und anschließend die Hintergründe spannend erzählen. Diese Vorgabe müsse für einen Film nicht unbedingt optimal sein, werde aber von den Sender eingefordert. Eine Möglichkeit der Finanzierung liege in der internationalen Verwertung. Gut gewählte und spannend erzählte Themen würden immer ihre Abnehmer finden.

Eva Radlicki kommt an dieser Stelle auf die Inhalte und die Erzählform zu sprechen, denn was Erwachsene interessiere oder was sie sich als interessant für Kinder vorstellen mögen, müsse noch lange nicht der Sicht der Kinder entsprechen. Sie plädiert dafür, sich immer wieder auf die „Augenhöhe“ der Kinder zu besinnen und stolpert über den Begriff eines „Bildungsprogramms“ für Kinder. Das Argument müsse sein „Das ist spannend“ und nicht „Hier müsst ihr was lernen“. Die Haltung „Das wäre jetzt gut für euch“, die Radlicki in vielen eingereichten Projekten entdecke, müsse vermieden werden. Eher solle man nach einem holländischen Modell die Kinder befragen, worüber sie gerne etwas erfahren wollten. Damit habe man in Holland gute Ergebnisse erzielt. Sie versuche die Menschen in ihrem Sender anzuregen, dem zu folgen.

Dass Bildung und Pädagogisches in Deutschland stets abgewertet würde, irritiert Herrn Kersken – Bildung sei doch eine Horizonterweiterung und damit etwas Positives. Die Begrifflichkeit und die Form der Bildungsvermittlung wird in dieser Runde nicht ausdiskutiert, da man sich im Allgemeinen doch recht einig zu sein scheint.

Man wendet sich der Zukunft zu.

Welche Schritte sind zu gehen, um wieder oder um neue Formen von Kinderdokumentationen produzieren zu können?

Das wichtige Ziel, Sender und Förderer an einen Tisch zu holen, wird genannt. Ein Vorschlag aus dem Publikum zielt darauf ab, vielleicht in den Sendern auch mal Einzelstücke auszuprobieren, z.B. an Feiertagen, anstatt wenig erfolgreich auf regelmäßige Sendeplätze hinzuarbeiten. So könne man erst das Interesse des Publikums belegen und dann für Slots werben. Für diese Filme könne zugleich eine gezielte Weiterverwertung organisiert werden. Wie in Holland bedürfe es engagierter Einzelpersonen. Eine weitere Idee: Klassische Marktforschung um an die Interessen der Kinder zu kommen. Oder: Die Entwicklung von Strukturprogrammen zusammen mit Förderern, bei denen Kinder aufgerufen würden, Dokfilmthemen vorzuschlagen, die dann mit ausgewählten Regisseuren verwirklicht würden. Ein Vorschlag, der leider wegen der Förderstatuten nur schwierig durchzusetzen sei. Stattdessen müssten aus der Sicht von Frau Marburger die Sender von Kinderdokumentarfilmen überzeugt werden, damit Fernsehformate installiert würden. Volker Heise schlägt vor, parallel einen 90-Minüter und eine Reihe zu einem Thema zu entwickeln, um die Auswertungsformen maximal auszunutzen.

Daraufhin wird Herr Kersken konkret. Ein Weg wäre, drei der am Kinderdokumentarfilmmarkt in Duisburg eingereichten fünfzehn Projekte mit all den vielfältigen Ideen für eine bestmögliche Verwertung auszuarbeiten und damit auf einen Sender zuzugehen. Man müsste eine Jury wählen, die drei Projekte aussuche, auch wenn das gegenüber den anderen eingereichten Projekte vielleicht etwas ungerecht wäre. Sender, Förderer, Institutionen, Stiftungen müssten angegangen und um Unterstützung gebeten werden. So könne man vielleicht wirklich drei oder vier Kinderdokumentationen erfolgreich produzieren. Wobei Eva Radlicki fürchtet, dass die Entscheidungsträger in Politik, Förder- und Bildungsgremien nicht unbedingt so enthusiastisch mit von der Partie sein könnten, wie sich ihr dies in der Senderpolitik oft darstelle. Hier sei sehr intensive Überzeugungsarbeit notwendig.

Nun müssen die Wünsche und Pläne verwirklicht werden, auf dass in einigen Jahren in allen Programmheften auf Kinderdokumentarfilm- und Familiendokumentarfilm-Formate zu den besten Sendezeiten hingewiesen wird.

Alle sind sich einig, dass Ideen und Projekte existieren. Als nächstes ist das Ausarbeiten der Vorgehensweisen nötig, und dann ran an die Arbeit.

Geld und Mut stehen dabei an erster Stelle.

Und: Euer aller Engagement!