Extra

echt falsch I

Duisburger Filmwoche 27
06.11.2003

Podium: Drehli Robnik
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Malte Krückels

Protokoll

„Nicht echt ist nicht schlecht.“

Vor der Diskussion

Nachdem die Filmwoche 26 (also im letzten Jahr) noch das „Authentische“ im Blick hatte, wird dieses Jahr das Problem der Wahrheit von der anderen Seite ‚getacklet’. Vrääth Öhner nennt das Begriffspaar „echt falsch“ ein Paradoxon, das ein Zentralpunkt neuerer Debatten um Authentizität und Bild-Vertrauen geworden ist. Vielleicht – so Öhners These – können gerade an den Fake-Dokus die Strategien, Authentizität herzustellen, extrapoliert werden. (Anmerkung am Rande: Die Idee ist gut, ist allerdings zumindest mit der Gefahr eines Zirkelschlusses behaftet: Man muss a priori die Existenz von Fake-Dokus voraussetzen und diese Filme dann auf ihre Authentizitäts-Generations-Mechanismen untersuchen. – Aber vielleicht sind sie gar nicht Fake.)

Dann hielt Herr Robnik einen schönen Vortrag, den er sauber, mit einer Prise österreichischem Humor und einigen anregenden Beispielen vortrug. Ehrlich. Kein Quatsch.

Und obwohl der Vortrag mit dem nicht unsexy Titel „Fake Your Self [and Steal the Real]. Dokumentarisches Fälschen als Auslotung postfordistischer Produktivitätsspielräume“ demnächst vielleicht im Internet beziehbar sein wird, seien an dieser Stelle doch zwei/drei der vorgebrachten Thesen rekapituliert. (Die kleiner gesetzten Passagen sind Zitate aus dem Vortrag.)

1. Die Unterscheidung ‚echt / falsch’ ist eine andere als ‚wahr / unwahr’.

Ich schlage vor, „echt“ und „falsch“ als zwei Weisen zu verstehen, mit Wahrheit umzugehen […]. „Echt“ ist Wahrheit als immer schon vorgegebene, folgsam zu findende, mithin als disziplinarisches Erfüllungsmodell; „falsch“ hingegen eröffnet die Dimension Wahrheit als herzustellender, als immer ausstehender, als Potenzial.

2. Unter der Prämisse eines verzeitlichten Wahrheitsverständisses, ermöglicht das Falsche und das Fälschen nach Deleuze eine Neu-Schöpfung von Wahrheit.

3. Fake-Dokus betrügen nicht, aber sie ‚ent-täuschen’ (im Sinne von eines ‚aufdeckenden Entlarvens’) auch nicht, sondern erlauben ein Probehandeln – ein Handeln, das neue Produktionsweisen von Wahrheit aufzeigt.

4. Einen Film zu lesen, heißt an einen Enunziatotor (Regisseur, Gott, Kamera) zu glauben. Der dokumentarische Enunziator garantiert die dokumentarische Glaubwürdigkeit auf der Prämisse, dass das Wahre das Echte ist. Dieser Glaube lässt sich nicht mehr halten. Die Grenzen Film/Nicht-Film, Doku/Fiction, Regisseur/ Zuschauer/Alltagsmensch, Osten/Westen sind nicht mehr fixiiert.

5. Konzeptionell beschreibt der Begriff ‚Fake-Doku’ etwas anderes als der Begriff ‚Mockumentary’. Letzerer klassifiert nach der Stärke der Kritikfähigkeit: Während ganz unten die Parodie angesiedelt ist (unkritisch, keine Distanz, mit der Textur des ‚Objekts’ verwoben), stellt die Dekonstruktion als radikalste Kritik die höchste Stufe des Mockumentaries dar. Dagegen kann unter Fake-Doku-Aspekten gerade die Parodie in ihrer „prekären Nähe zum Objekt“ aufzeigen und durch „mimetisches Hineinsteigern“ das Immer-schon-Verstricktsein verdeutlichen.

6. Es gilt, das Gesetz nicht zu allgemeinen Grundsätzen zu abstrahieren, sondern seine konkreten Konsequenzen aufzuzeigen. Solche Anti-Abstraktionen zeigen sich z.B. im „Blair Witch Project“, wo die Un-Unterscheidbarkeit der Relevanz von wissenschaftlichem und mystischem Wissen gerade die Voraussetzung für das Funktionieren des Films ist.

7. Das ‚Fabulieren’ der Fake-Dokus ist eine neue, ‚inoffizielle’ Art zu sprechen. Die Rolle des Fabulierens ist es, ein „Gedächtnis gegen die Kolonisatoren“ zu etablieren.

Im fälschenden Fabulieren entstehen alternative Vergangenheiten, parallele Historiografien, mögliche Biografien, treten verschüttete Gegenwartsdimensionen hervor. […] Eine ungenutzte historische Chance tut sich als gefälschtes Bild vor uns auf: So hätte es sein können.

8. Dass Fake-Dokus eine Affinität dazu haben, Verschwörungen als Welterklärung anzusehen, zeigt (oder resultiert gar daraus?), dass sie in einer alternativlos kapitalistischen Welt angesiedelt sind, in der die „kapitalistischen Sphären kapitalistisch durchgearbeitet“ werden.

9. Fake-Dokus sind kein subversiven Formate, aber Orientierungshilfen im „permanenten kontrollierten Ausnahmezustand“, in dem wir uns alle täglich bewegen (müssen.)

Nach dem Vortrag

Vrääth Öhner gefiel das Konzept, ‚Falsches’ als ‚Verzeitlichung von Wahrheit’ zu begreifen, außerordentlich gut. Er sah darin allerdings kein Charakteristikum von Fake-Dokus, sondern einen bestimmten Modus (des Seins?, des Filmemachens??).

Dass der Wahrheitsbegriff im Bereich des Dokumentarfilms und des Dokumentarfilmdiskurses sich in den letzen 20, zehn und fünf Jahren deutlich gewandelt hat, bestätigt Drehli Robnik gerne: Heute sei aber allen klar, dass auch Dokus inszenierte Geschichten erzählen – vor einiger Zeit war eine solche Auffassung noch geradezu blasfemisch.

Aus dem Publikum kam die Frage, ob der Vortrag denn mehr geleistet hätte (bzw. mehr hätte leisten sollen), als zu erklären, dass Fake-Dokus uns unterscheiden helfen zwischen dokumentarischen/dokumentarisierenden und fiktionalen/ fiktionalisierenden Techniken. Auch der Begriffsapparat des Vortrags habe allein auf die Hervorbringung eines solchen Analysekriteriums gesetzt. Daher fehle ihm auch die Möglichkeit, „Geschichte zu dokumentieren“. Genauer gefasst und damit verschärft wurde diese Kritik nochmals mit der Behauptung, die im Vortrag angewendeten Begriffe würden Geschichte ausblenden, und zwar Geschichte, die sich innerhalb (Einzel-)Geschichten in Form von Machtverhältnissen und „erzwungenen Identitäten“ darstellt.

Starker Tobak – aber keiner, der Drehli Robnik hätte umhauen können: ad Leistungsfähigkeit des Vortrags: Ja, der Vortrag sollte mehr leisten. Ansonsten wäre er auf die klassische Forderung nach „kritischer Sichtweise“ begrenzt.

Der Vorwurf des technizistischen Begriffsinstrumentariums, das Geschichte aus dem Blick verlöre, beeindruckte den Vortragenden durchaus. Glaubhaft versicherte er, dass er die Rolle von Geschichte/n nicht unterschätzen wolle. Wo und wie das (innerhalb der vorgestellten Analyse) einen Platz finden könnte, ließ sich nicht allzu deutlich heraushören. Mit etwas Einfühlungsvermögen lässt sich die These äußern, dass Geschichte auf einer übergeordneten Ebene weiterverhandelt werden muss – also als vorgelagerte bzw. Meta-Kategorie zum Echten/Falschen, Wahren/Unwahren, Dokumentarischen/Fiktionalen zu betrachten sei. (Eine abstrakte, aber nicht ganz unplausible Auffassung.)

Ebenfall auf die politischen Konsequenzen, aber auch auf mögliche politische (Gegen-) Strategien zielte die anschließende Publikumsfrage nach der ‚größten Fake-Doku der letzten Zeit’, nämlich den omnipräsenten Geschichten von ‚Saddam Hussein and his weapons of mass destruction’. Hier frage man sich, ob sich hegemoniale von kritischen Fake-Dokus unterscheiden ließen.

Vrääth Öhner war hier nicht so zuversichtlich und argumentierte mit der Deleuze’schen Un-Unterscheidbarkeit dafür, dass sich für eine solche Differenzierung keine übergeordneten Kategorien (mehr) einführen ließen.

Aber irgendwie kam dann doch noch mal das Bedürfnis nach festen Halt unter den Füßen auf. Die Post-Deleuze’schen Unsicherheiten wollten einige Diskutanten nicht als Urteilsgrundlage anerkennen. Und so wurde als Rettungsanker die ‚Präsenz von Körper/n’ ausgeworfen. Die Körper seien nicht (beliebig) modulierbar, quasi nicht hintergehbar und würden deshalb Wahrhaftigkeit garantieren.

Eine Sichtweise, mit der Drehli Robnik nur teilweise d’accord ging: Ja, der leidende Körper hat bestimmte Qualitäten und die Empathie mit dem kreatürlichen Körper ist (immer? per se?) gegeben, allerdings ist auch der Körper den postfordistischen Modulationen unterworfen und kann somit nicht als sicheres Residuum fungieren.