Film

How Time Flies
von Wiltrud Baier, Sigrun Köhler
DE 1999 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 24
11.11.2000

Diskussion
Podium: Wiltrud Baier, Sigrun Köhler
Moderation: Jutta Doberstein
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Großvater Köhler, geboren anno 1900, sitzt in der Küche und schlägt Zeit und Fliegen tot. Er erzählt aus seinem Leben: daß er mit 27 nach Amerika wollte, daß es ihm am Rücken kratzt, daß er nicht mehr alles weiß. Ein Film, der auf das Einfache schaut und dabei dessen Facetten entdeckt.

Protokoll

Sigrun Köhler hatte schon seit längerer Zeit geplant, eine Film über ihren Opa zu machen, nur hätte sie es alleine nicht geschafft. Interviews zu führen und dabei selbst die Kamera zu bedienen, sei einfach zu viel gewesen, erklärt sie, weshalb sie sich nach einiger Zeit einen Kameramann dazugeholt hat. Dieser hätte sich „im Gegensatz zu Frau Baier“ jedoch nicht auf die Langsamkeit der Situation einlassen können und wollte lieber Werbefilm drehen. Wiltrud Baier stieg in das Projekt ein, weil sie dacht es sei ganz gut, auch einmal einen Dokumentarfilm gemacht zu haben. Während ihres Studium habe sie keine Gelegenheit dazu gehabt. Nun findet sie, dass man bei der Produktion von Dokumentarfilmen mehr mit dem Leben konfrontiert werde, mehr im Leben sei, als bei den komischen Filmen, die man während seines Studiums so macht. Am liebsten möchte sie nun nur noch Dokumentarfilme machen, gibt sie zu und begeistert damit das Duisburger Publikum. Zur Situation an der Ludwigsburger Filmakademie ist aus dem Gespräch mit den beiden Regisseurinnen noch einiges zu erfahren. So sei von dort immer abgeraten worden, einen Film über einen alten Mann zu machen, „das trägt nicht“! Das ursprüngliche Konzept, einen Dokumentarfilm aus verschiedenen Kurzfilmen zu einzelnen Themen wie Zeit, Liebe usw. zusammenzusetzen, sei nicht genehmigt worden. Lediglich ein bereits geschnittener Kurzfilm zum Thema „Zeit“ habe die Entscheidungsträger der Akademie überhaupt dazu bewegen können, der Produktion von How Time Flies zuzustimmen. Inzwischen findet die Akademie übrigens schon, dass Opa Köhler trägt, ist auf Nachfrage aus dem Publikum zu erfahren.

Zur Drehsituation berichten die beiden Filmemacherinnen, Sigrun Köhlers Familie habe es einerseits gehaßt, dass über sie ein Film gemacht werde, andererseits seien alle ganz froh gewesen, dass die Tochter wieder zurück nach Hause gekommen sei und es jemanden zu bekochen gebe. Allerdings sei von ihr durchaus auch erwartet worden, Kuchen zu backen, weist Sigrun Köhler auf die Strategie der Familie hin, sie am Drehen zu hindern. Den fertigen Film hätte ihre Mutter am liebsten als Familienfilm bewahrt, sie finde ihn viel zu privat, um ihn öffentlich aufzuführen. Den sich andeutenden therapeutischen Fragen aus dem Publikum kommt Sigrun Köhler zuvor: Das Drehen habe eine Distanz zu den familiären Spannungen ermöglicht und es sei ihr nicht schwer gefallen, die Beschimpfungen ihres Opas, der findet, dass seine Enkelin „nichts Richtiges“ lernt, in dem Film zu lassen.

Interessiert haben sich die Filmemacherinnen dafür, was die wichtigsten Punkte sind, an die sich ein alter Mann im Rückblick auf sein Leben erinnert. Einerseits seien da die bekannten Geschichten gewesen, die alle Familienmitglieder schon auswendig kennen, und andererseits habe es da noch die Oma als „Schmerzpunkt“ der Familie gegeben, über die niemand reden wolle. Was denn nun genau der Skandal gewesen sei, will ein Zuschauer neugierig wissen. Wie sie selbst mit dem im Film angedeuteten Vergewaltigungsthema umgehe, möchte hingegen eine Diskutantin thematisieren. Die beiden Filmemacherinnen sehen sich daraufhin genötigt, zur süddeutschen Sitte des Fensterlns Stellung zu beziehen und sich vom Vergewaltigungsszenario zu distanzieren, das die Zuschauerin hiervon mit betroffener Stimme entwirft.

Das Publikum zeigt sich in der Diskussion begeistert von How Time Flies. Tränen gelacht, habe er, gesteht ein Zuschauer; die gelungene Dramaturgie wird gelobt, jemand begeistert sich für den Rhythmus. Eigentlich hätten sie einen Popfilm machen wollen, erinnert sich Wiltrud Baier, und beim Schneiden immer Musik gehört, die zu nennen ihr peinlich sei. Madonna sei doch in Ordnung, wird sie beruhigt, und die Gedichte, die Opa Köhler zum Besten gibt, seien doch Volkskunst und damit Pop pur, hilft ein Diskutant argumentativ aus. Jutta Doberstein sieht in Sigrun Köhlers Mutter die stumme Heldin des Films (die ihren Sohn ein Jahr lang jeden Tag daran erinnerte, die Kamera für eine Zeitstudie im Film seiner Schwester auszulösen) und fühlt sich vom Zusammentreffen von Opa Köhler mit seinem Bruder an die Muppets Show erinnert. Wie vom Nationalsozialismus der Abtransport eines Pferdes im Gedächtnis geblieben sei, findet eine Zuschauerin besonders eindrücklich.

Abschließend werden nochmals Familienangelegenheiten (u.a.: verzeihen könne man dem Opa für sein tyrannisches Verhalten erst, seitdem er 95 sei!) und Dreh-/Schnittentscheidungen besprochen, bevor abschließend auf die Verwertungssituation eingegangen wird: Die süddeutschen Sender finden, dass sich das Thema nicht fürs Fernsehen eignet.