Film

Ein kleiner Film für Bonn
von Klaus Wildenhahn
DE 2000 | 116 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 24
10.11.2000

Diskussion
Podium: Klaus Wildenhahn, Rainer Komers (Kamera)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Scheiden tut weh – das beweist Wildenhahn mit privatem Blick hinter die Kulissen des Bonner Umzugs. In seinem filmischen Abgesang spielt das politische Tagesgeschäft nur die Hintergrundmelodie, vor der die wahren Helden seiner Geschichte – Büroleiterinnen, Bundestagsfahrer, Kellnerinnen und Parlamentsdiener – agieren. Der Countdown läuft…

Protokoll

Über eine Annäherung an die im Bundestag arbeitenden Menschen, erzählt der Film vom Aufbruch nach Berlin, der sich für die Angestellten allerdings als Beendigung des Gewohnten darstellt und sie auf sich selbst zurückwirft. Sie müssen sich dem Neuen stellen, wobei die Verarbeitungsprozesse intensiv über eine Rekapitulation des Vergangenen ablaufen. Das Abschiednehmen nimmt im Film einen zentralen Stellenwert ein.

Wildenhahns zu Anfang vage vorhandene Idee war eine Dokumentation der Dienstleistenden im Bundestag in Bonn. Jene Menschen, die die Struktur des Regierungsapparates aufrechterhalten, sollten in Erscheinung treten, nicht aber die „Vertreter der Ideologie“.

Eine Motivation für seinen Film sei sicher auch sein „Hang zu Plätzen, die verlassen werden“ gewesen.

Nostalgie?

„Wehmut stand nicht auf dem Terminkalender“, so tituliert eine im Film eingeblendete Zeitung. Durch die Motivik des Abschiednehmens wird dem Wehmütigen ein Forum gegeben. Seinen Text im Programmheft „Noch einmal Augenzeuge sein, aber nicht notwendigerweise Zusammenhänge verstehen…“ kann man als Manifest zu seinem Film verstehen.

Keineswegs sei es ein Ziel gewesen, die Stadt Bonn „symbolbeladen“ darzustellen, wie Ruzicka dies als These in den Raum stellt, oder Bonn als Metapher des Abschieds zu zeichnen. Wildenhahn betont sein doch eher kritisches, sich auch durch Spott und Ironie auszeichnendes Verhältnis zum „Bundesdorf“ Bonn.

Im gegebenen Fall des Umzugs der Regierung hält „Abschied“ dem Regisseur einen Spiegel des Altwerdens vor, denn er spricht im Zusammenhang mit seinem Film vom „Gestus des Blicks aufs Altwerden“.

Ruzicka geht auf die Art ein, wie die Kamera Räumliches inszeniert, was ihm sehr gelungen erscheint. So zeichnen sich die Bilder vom Bundestag dadurch aus, dass zwischen Kamerablick und Raum oft etwas dazwischengeschoben wird – eine Glasscheibe, ein im Bundeshaus stehender Monitor, der den Saal zeigt u.s.w.. Handelt es sich dabei um eine bewusste Raumstrategie?

Die Wahrnehmung der Interviewten, bei denen in vielen Äusserungen der Blick aus dem Bundesgebäude eine wichtige Rolle spiele, habe so auf der Bildebene in den Film integriert werden können (Wildenhahn).

Blickpunkt

Wildenhahn hat mit zwei Kameraleuten gearbeitet, neben Gisela Tuchtenhagen, die nicht während der gesamten Drehzeit mitarbeiten konnte, hatte er Rainer Komers angefragt. Er wollte mit Freunden drehen, um dem langwierigen Ersuchen um Förderung zu entgehen.

Ruzicka meint, dass die zwei Kameraführungen sichtbar würden, was er u.a. auf die unterschiedliche Physis der Kameraleute zurückführt. Tuchtenhagens Zierlichkeit erlaube es, näher an die Personen heranzugehen. Ihrer Kamera mit Untersicht bescheinigt er mehr Geschmeidigkeit, ohne genauer auf die Ungeschmeidigkeit der Exposition einzugehen.

Von den Bildern her betrachtet muss Komers widersprechen. Ins Auge falle eher eine Ähnlichkeit des Kamerablicks, der oft nicht das Erwartete und Wesentliche einer Situation zeige, sondern anderen Dingen folge und Nebenfiguren zeige, während auf der Tonspur die Stimme der Hauptfigur zu hören sei.

Sehr schön wird für Ruzicka im Film eine selbstreflexive Ebene ersichtlich, da die Arbeit des Dokumentierens z.B. anhand der geschäftigen Reporter in den Film integriert werde. Er merkt an, dass dadurch eine Spannung erzeugt wird. Durch die Montage verschiedener Sequenzen, in denen ein Saaldiener stets den gleichen, ausweichenden Wortlaut verwendend von Wehmut und Abschiedsgefühlen spricht, wird das Wort zur Floskel und das journalistische Reportieren ironisiert. Wildenhahn erhält demgegenüber auf seine Frage nach dem Befinden sehr persönliche Äusserungen, gerade weil er sich Zeit für die Interviewten nimmt und ihnen genügend Raum lässt, ihre Überlegungen zu äussern. Dass er von den Leuten, die er dokumentiert, „getragen“ wird, macht für Wildenhahn den Zauber des dokumentarischen Filmens aus. Nur wenn diese sich auf ihn einlassen, kann dies gelingen. Persönlicher Bezug schafft Mehrwert.

Bild und Wort

Wildenhahn verwendet im Film eine Reihe von Zeitungszitaten, im ersten Teil beziehen sie sich eher auf Bonn und den „Abschied“, im zweiten Teil werden frei Zitate aus Feuilletons vorgetragen. So betont er eine Subjektivität des Blicks.

Das Hantieren mit Sprache im Film sei ihm immer schon ein Anliegen gewesen. Er will den analytischen Kommentar vermeiden. Wie schon in früheren Filmen kann man auch in seinem jüngsten Film die Verschränkung von Cinéma Vérité und unabhängigen Textfragmenten als Stilmittel feststellen. Diese Annäherung an den Essayfilm ermöglicht die freie Assoziation. Im Gegensatz zur Kontinuität des Konzeptuellen haben sich in Wildenhahns Filmen die Bilder gewandelt. Durch die Technik (und die günstigen Kosten) der Digitalkamera, die das Suchen nach Bildern ermöglicht und auch verlangt, erhalten diese eine „Schmutzigkeit“, die gewollt belassen wird.

Eine „Sorge um die Republik“ zu zeigen, sei nicht Wildenhahns Absicht gewesen, obwohl sich doch verschiedene Wortmeldungen darauf beziehen, dass viele Textpassagen als kritischer Kommentar verstanden werden könnten.