Synopse
Pripyat ist die Stadt, in der vor 1986 die Angestellten und Arbeiter des Atomkraftwerks Tschernobyl wohnten. Heute ist Pripyat nahezu menschenleer. Der Film sucht dort und in der gesamten hochkontaminierten 30-Kilometer-Zone um den explodierten Meiler nach verbliebenen Spuren menschlichen Lebens.
Protokoll
Die erste Diskussion der filmwoche, Nikolaus Geyrhalter ein Jahr nach Dayton. Werner Ruzicka auf dem neuen Podium.
motivation.
Die erste Frage nach der Motivation, dem Risiko, auf verstrahltem Gebiet zu drehen. Eigene Neugierde habe ihn angetrieben. Recherchefahrten zur Prüfung von Durchführbarkeit seien unternommen worden. Der Geigerzähler im Gepäck. Außerdem habe man wenig gegessen und Vodka getrunken. Die gesamte Strahlenbelastung sei nicht weiter gefährlich gewesen, habe man ihnen in einem wiener Forschungsinstitut versichert. Motivation sei auch der Wunsch nach neuen Bildern gewesen, nach einem anderen Blick, der keineswegs den Anspruch erhebe, richtiger zu sein, versichert Geyrhalter.
arbeitsweise/organisation.
Nach der Vorbereitung wird gefragt, den Konzepten und Richtlinien, die vor Drehbeginn festgelegt werden. Geyrhalter meint, er arbeite gerne intuitiv mit möglichst viel Spielraum, der ihm auch durch die geringen Kosten seiner Filme zur Verfügung stünde. Das Förderungswesen in Österreich sehe die Verteilung von Referenzmitteln vor, die bei einem (Festival-) Erfolg ausbezahlt würden. Bei seinen Produktionskosten reichen diese für einen ganzen Film, so Geyrhalter („wie das bei mir läuft, ist es nicht gedacht“). Werner Ruzicka will wissen, wie man zu so umfassenden Drehgenehmigungen komme. Pripyat sei ein Sonderfall gewesen, so der Filmemacher. Die Drehgenehmigung sei mit einem Auftrag des ukrainischen Parlaments verknüpft gewesen, die Situation um Tschernobyl zu dokumentieren. Dies habe allerlei Privilegien, und eine relative Bewegungsfreiheit in der Zone ermöglicht.
form.
Ruzicka spricht die Entscheidung an, Pripyat, im Gegensatz zu Das Jahr nach Dayton in Schwarz/Weiß zu halten. Geyrhalter meint, er sei sich nicht mehr ganz sicher, ob die Entscheidung richtig gewesen sei. Die starke Ästhetisierung, die S/W mit sich bringt, hätte er sich bei der Aktualität von Dayton wegen der Implikationen nicht getraut. Das Fehlen von Farbe schaffe auch die Möglichkeit, Vermitteltheit zu thematisieren – ein zentraler Punkt des Filmes, bei dem es immer wieder zu Interaktion mit den Protagonisten kommt. Im Anschluß wird über Geyrhalters filmischen Stil gesprochen. Kritik wird an der Tatsache geübt, daß sich sein Stil nicht dem Thema anpaßt, sondern den Gegebenheiten aufgesetzt wird, Rückkoppelung zu Dayton? Geyrhalter meint, er bilde sich ein, daß es so für ihn stimmig und schön sei. Seine formalen und ästhetischen Richtlinien habe er nicht vor aufzugeben. Er sei aber durchaus noch auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln und wolle für sein nächstes Projekt mit Video arbeiten. Ruzicka hakt nach: Dogma Geyrhalter? Kein Dogma, betont der Filmemacher, lediglich eine für ihn funktionierende dokumentarische Strategie. Werner Ruzicka ortet teilweise rhythmische Unsicherheiten in der Montage, den für den Film sehr zentralen Kameragang hätte er lieber in einem Stück gesehen. Geyrhalter betont, daß es der Dramaturg/Cutter mit seinem Material nicht immer leicht habe, da er nicht auf Schnitt drehe. Dadurch ergäben sich manchmal Kompromißlösungen, die gerade am Anfang augenscheinlicher seien, weil man sich an den harten Schnittstil (jump cuts, keine Überblendungen) erst gewöhnen müsse. Den Kameragang hätte er auch lieber in einem Stück gehabt, technische Gegebenheiten wie die Länge einer Filmrolle, ließen das aber nicht zu.
Werner Ruzicka kommt auf die Thematisierung von Zeit, den Wechsel von statischen und bewegten Elementen und Geyrhalters dokumentarischen Zugang zu sprechen. Dies erkläre sich aus der Arbeitsweise, betont der Filmemacher. Für ihn gebe es nichts schöneres als die Kamera laufen zu lassen und zu sehen, was passiert. Stil und Rhythmus als Ergebnis konkreter Arbeitssituationen. Einige Gänge hätte er perspektivisch anders gestaltet, er wolle aber keine Zwischenschnitte verwenden, um Bilder zu zeigen und dabei sprechende Charaktere auszublenden. Ruzicka kritisiert abschließend noch, daß die letzte Sequenz im Winter spielt und die Ortlosigkeit der Zone gebrochen wird. Geyrhalter hält fest, er sei unschlüssig gewesen, die Sequenz sollte aber als Epilog gelesen werden. Ein Epilog den der Film vertragen müsse.
So verlief die erste Diskussion über einen Film, der wenig Angriffspunkte bietet, recht harmonisch. Ein Detail noch zum Abschluß: Das einzige noch stehende Café in Tschernobyl heißt „Stalker“.
Nikolaus Geyrhalter © Hendrik Lietmann