Extra

Glam/Doc – Kicks für die Filmkritik

Duisburger Filmwoche 23
06.11.1999

Podium: Harun Farocki, Vinzenz Hediger, Alexander Horwath, Veronika Rall, Michael Rutschky
Moderation: Stefan Reinecke
Protokoll: GARY GLITTER

Die Filmkritik in der Bundesrepublik hat seit Mitte der achtziger Jahre wieder verstärkt reine Servicefunktionen übernommen. Ihre Hauptaufgabe scheint mehr und mehr die Auszeichnung der Produktpalette zu sein. „Handlung“ nacherzählen und das „eigene Erlebnis“ als Verpackung mitteilen. Aber: Warum wird beim Schreiben von Filmkritiken nichts riskiert? Warum passiert in Filmkritiken so wenig? Warum ist so viel von „Glamour“ die Rede und so wenig Glänzendes zu lesen?

Protokoll

IST DER FILM ÜBERHAUPT EINE GESELLSCHAFT, UND WENN JA, EINE SCHLECHTE?

Schönes Gruppenbild mit Dame: Die versammelte Kompetenz sitzt auf dem Podium und wartet aufs Publikum, das sich nur zögernd im Kinosaal einfindet. „Die Filmkritik ist da“, sagt Veronika Rall, „aber sie wird nicht abgeholt.“ Soll man die Filmkritik überhaupt abholen? Oder hätte man sie nicht besser an der Hand genommen, um sie aus dem Jammertal ihrer wachsenden Bedeutungslosigkeit herauszuführen? Aber wohin? Einfach nur in den nächsten Film? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war es eine schöne Idee, auf einem Dokumentarfilmfestival über den Glam/our der Filmkritik diskutieren zu lassen, ist Duisburg doch der Ort, der sich im Lauf der Jahre den Ruf einer unerbittlichen Diskussionskultur erarbeitet hat – ein Ort also, wo man Glam/our erstmal nicht vermuten würde.

Der Veranstalter zog es vor, seine Meinung in der überall ausliegenden Jungle World kundzutun. So kam es, daß ein Gespenst auf dem Podium Platz genommen hatte: Der Geist des belesenen, rasant seine Fundstücke montierenden Archivars, der in einem furiosen Monolog die neuberliner Politarchitektur entkernt. Montiert ist der Text wie ein Hochgeschwindigkeits-MTV-Clip auf Spielfilmlänge – mit viel zu wenig Busta Rhymes, leider, dafür aber umso mehr Gremliza zwischen den Zeilen. Der antiteutonische Furor einer akkumulativen und kumulierenden Beweisführung erinnert an KONKRET: An ihren Sätzen sollt ihr sie erkennen, lautet die Parole dieser Schreibhaltung. Auf diese Weise scheint Hüsers Text eher um das nationale Selbstverständnis zu kreisen, als eine konkrete Ausgangsfrage für die Filmkritik-Debatte zu formulieren – das Dilemma so mancher theoretisch ausgerichteten Sonderveranstaltung. Und die zu guter letzt formulierte Sehnsucht nach gutem, respektive linkem Glam, die in dem hoffnungsfrohen Satz begraben liegt, daß „man die Glamour-Kategorie aus ihrer politisch- reaktionären Verwendungsweise lösen könnte“, wurde auf dem Podium noch nichtmal mit ehrlicher Maloche beantwortet.

Aber ich nehme das Ende vorweg.

Irgendwann sind dann doch noch genügend Zuschauer eingetroffen, und Stefan Reinecke wagt eine Bestandsaufnahme. Er skizziert einen Zeitraum von ca. 40 Jahren, in dem die Filmkritik zu sich selbst gekommen ist, weil sie angefangen hat, über die Filmkritik nachzudenken und zu schreiben. Eine Entwicklung, die er ca. 89 mit dem Streit zwischen Karsten Witte und Claudius Seidl enden sieht. In Begriffe übersetzt meint das: eine ideologiekritische Haltung steht auf der einen, der Zeitgeist auf der anderen Seite. Reinecke spricht von einem anhaltenden Verfall und zieht Parallelen zu Duisburg, wo früher über Filme nach ideologischen und ästhetischen Kriterien gestritten wurde. Heute gleichen die Diskussionen eher Wundertüten, die manchmal ein Füllhorn der Möglichkeiten ausschütten, aber meistens leer sind. Er fragt, wie sich die Geschichte erzählen läßt: Als das Abhandenkommen begründeter Kategorien oder als Befreiung, d.h. die Filmkritik muß weder Gesellschaftskritik leisten noch die Verlängerung des Kunstwerks sein. Ist die Filmkritik also eine Form des Schreibens, die zu sich selbst gekommen ist?

Die Frage geht an Veronika Rall, und sie stabilisiert eher unfreiwillig einen Trend, der Berliner Diskussionen zu Debatten allgemeinen, man könnte auch sagen: nationalen Interesses aufbläst.

(Eine zentralisierte Sinnproduktion, um deren Definitionsmacht sich zahllose Schreiber/linge balgen (denn es lohnt sich wieder!)).

Rall zitiert einen FAZ-Artikel über das neue Berlin, an dem sie zeigt, wie das beschriebene Erlebnis an die Stelle der Bedeutung tritt. Über Wittes Imago des Ich-Agenten findet sie zu den guten alten Zeiten zurück, in denen sich alle Kritiker noch als Kritiker gefühlt haben. Nur der Standpunkt unterschied sie, nicht die Haltung. Sie waren bedeutsam, sagt sie. Die Kritiker von damals arbeiteten auf jeden Fall noch an einer gemeinsamen und gemeinsam als wichtig empfundenen Aufgabe. Und hier deutet sich der Katzenjammer eines Bedeutungsverlustes an, den Rall später noch deutlicher beweinen sollte, wenn sie von ganz konkreten Arbeitsmöglichkeiten spricht. Wolf Donner sei dann der erste gewesen, der von den Strukturveränderungen in der Kulturindustrie gesprochen hätte. Sie skizziert, wie die Pole von Angebot und Reflexion, in denen sich das bürgerliche, nach Bildung lechzende Subjekt bis dato verständigt und verstanden hätte, aufgelöst worden sind. Die Zeiten, in denen Kritiker nicht nur ihre Kompetenz einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, sondern auch den Kanon gesetzt haben, sind unwiderruflich dahin. Man distanziert sich von der Reflexion, es geht ums reine Erleben.

(Der zitierte Artikel kämpft nach wie vor an der 68er-Front (und mit ihm Veronika Rall), indem er sich „gegen die alten Formen des Feuilletons zur Wehr setzt“. Vielleicht sollte man solche Popanze endlich weniger direkt ernstnehmen und sie statt dessen in ihrer Funktion analysieren – ähnliches gilt auch für den Totschlagbegriff des Autorenfilms (welche wichtige Filmförderung wünscht sich nicht einen Scorsese, einen Truffaut, etc.)).

Es geht darum, schließt Rall, daß alle nur noch erleben (wollen). Mit den Schreiberlingen, könnte man nörglerisch hinzufügen, im übrigen leider auch das lesende und zahlende Publikum. Kurzum: Das also ist der neue Herrschaftsdiskurs, sagt sie, in dem Kritik überflüssig geworden ist.

Nun also ist das bürgerliche Subjekt durch die Filmkritik hindurch zerfallen (mir scheint das Gegenteil der Fall zu sein: mit dem Niedergang der Filmkritik geht eine Stabilisierung bürgerlicher Subjekte einher). Je nun: Horwath geht in seinem Eingangsstatement vorsichtiger zu Werke. Er spricht von einem Relevanzverlust, den Film wie Kritik seit cirka 15 Jahren erleiden. Die Definitionsmacht im Bereich der Medien ist verlorengegangen, erstens, zweitens ist die Gesellschaft kritikmüde geworden, und der Filmkritiker von Rang ist drittens nur noch als Lifestylekritiker denkbar. Horwath führt die Kategorien böser oder guter Glamour ein, spricht von Verzauberung oder Blendwerk (warum nicht UND? Woher dieses Bedürfnis nach Trennungen, s.o.?). Macht einen Schlenker in die Filmgeschichte, nach Hollywood, wo Glamschreiben großgeworden ist, und stellt anschließend die rhetorische Frage, ob die Filmkritik überhaupt glamourös sein soll? Ein Hauch von österreichischem Glam (früher hieß das Wiener Charme) weht durch den skizzierten Paradigmenwechsel: von den Cahiers über Movie, auf dem Weg von den 50ern in die 60er Jahre wird selbst Frieda Grafe schlitzohrig zu einer glamourösen Filmkritikerin nobilitiert.

(Vorab herzlichen Dank: Horwarth und Farocki repräsentieren so eine Art godardschen Künstlerkritiker, und verbreiten wenigstens ein wenig Glamour, wenn sie unerwartete Thesen hervorbringen. Die Methode ist einfach: Kombiniere das Altbekannte auf überraschende Weise neu, soll heißen: hör auf wie ein Schlittenhund zu denken!)

Horwath sieht in diesen Entwicklungen Reflexe auf die Pop Art und die Aufwertung der Massen und wechselt unerwartet zu den Umkodierungen des Glamrock, jetzt sehr nahe dran an dem Göttler zugeschriebenen Verfahren, sich an den Filmen/Phänomenen der Betrachtung entlangzuschreiben. Der Künstlerkritiker spricht: Ich spreche nur über Sachen, von denen ich etwas verstehe, und öffnet – zumindest ansatzweise – das analytische Feld zur Praxis hin. Das ist etwas völlig anderes als die Verlängerung des Kunstwerks, sagt er, und spricht von einer Übertragung in unterschiedliche Schreibweisen (das hätte man dann doch gerne etwas genauer gehabt). Spielerisch, heutzutage, sei der Umgang mit dem Material, der damals (Cahiers, etc.) ironisch war, was heute eben nicht mehr geht, „denn die Ironie ist zum Feind übergelaufen“, sagt Horwarth.

Rall: Wer ist der Feind?

Horwath: Der Herrschaftsdiskurs.

Rall: Ach so.

Horwath wechselt die Rolle und mutiert vom Analytiker zum Fan, der schamlos „Velvet Goldmine“ von Todd Haynes bewundert (sehr zu Recht, wie ich finde!) und gibt noch ein Beispiel für Glamschreiben: Dietrich Kuhlbrodt. Der Mann ist 65, ruft Horwath begeistert aus. Und danach wird umstandslos der wesentlich jüngere, aber historisch völlig unbelastete Typus des Popintellektuellen eingeführt, der in verschiedenen Diskursen Zuhause ist. Zu guter Letzt versichert uns Horwath höfisch-ironisch, daß er auf keinen Fall gegen das Dagegensein ist, er wollte nur optimisch sein.

Nun will Reinecke von Rutschky wissen, ob die Ironie zum Feind übergelaufen ist, erstens, und zweitens, ob der Niedergang ein reales Problem oder ein kulturelles Stereotyp ist?

Ende der 60er stand die ästhetische nicht im Gegensatz zur ideologiekritischen Linie, sondern schloß sich ihr an, der Sensibilismus sei ein Erbe der Ideologiekritik gewesen, sorgt Rutschky für klare Verhältnisse, und spricht von der Feier des Erlebnisses. Im Intro seines Intros rückt er also dem religiösen Kern der Inbrunst zu Leibe und gibt somit eine Stoßrichtung vor, die erst später deutlich wird. Rutschky sieht viele Filme, würde aber nicht darüber schreiben, geschweige denn Filmkritiken lesen. Er vertritt auf dem Podium die bekennende Inkompetenz. Zu viel Bescheidenheit könnte jedoch dem Image schaden, also wagt er die Bausch-und-Bogen- Analyse, die wie folgt lautet: Die Filmkritik ist am eigenen Erfolg gescheitert.

Wurde das Kinogehen wichtig, weil Habermas Berghahn ein Buch gewidmet hat? Oder weil die Buchkas, Schüttes und wie sie alle heißen, in den Kanon der Kritik aufgenommen worden sind (olympische Vorstellung)?

Sei ́s drum, Rutschky spricht von Success-Stories, und er ist hautnah dran am Drehbuch für eine neue deutschen Komödie über Aufstieg und Fall des deutschen Filmkritik-Imperiums. Nur drei Stufen hochgeklettert, sagt er, und schon fangen sie an über den Niedergang nachzudenken

(ich würde der soziologischen Betrachtung eine medientheoretische vorziehen, auch, um aus der gerade im deutschen Film so beliebten Vatermörderei zu entkommen (andere Formen der Traditionsbildung)).

Das sei die eine Seite des Verfalls. Die andere: Es geht über praktische Warenkunde nicht hinaus. Der FK fehlen weiterreichende Fragestellungen. Verfall hat mit Erfolg zu tun, insistiert Rutschky. Die FK wollte doch Schlegel sein, sagt er.

Farocki: Wer ist denn der Schlegel der deutschen FK?

Rutschky: Patalas war doch mal Schlegel.

(Und wer, bitte schön, ist Michael Rutschky in dieser Hierarchisierung von Debatten? Hier und jetzt und heute, in Berlin zum Beispiel..)

Laut Farocki hat bis Ende der 70er eine theaterähnliche „Szene“ existiert. Ende der 60er, als Liberation einen Rivettefilm vergeblich beworben hatte, war das für ihn wie eine Befreiung. Nun konnte die FK beginnen, sagt er. Heutzutage würde Hollywood mehr für die PR als für die Produktion ausgeben. Man kommt sich in diesem Kontext sofort blöd vor beim Kritiken schreiben, eben wie ein PR-Schreiber. Und dann spricht er von der Propaganda „billiger Regale“, voll mit Lehrbüchern zum Filmemachen. Inzwischen schreibt man in den USA mehr über die Promotion als über den Film. Und das Godardvergleichen (zwei Beispiele werden kurzgeschlossen – Zündung, Abfahrt) blitzt kurz auf:

„Man weiß, daß man einen bestimmten Film nicht zu Thanksgiving startet, wie man weiß, daß man Rußland nicht im Herbst überfallen darf.“

Für Farocki ist Industrie im Zusammenhang mit Filmen ein zweifelhaftes Wort. Schon bei Färber ist Hollywood das Neue Feudalsystem. 24000 Drehbücher Input, von denen kommen 60 ins Kino, die 80 bis 90% des Kanons bestimmen. Ein Testbild. Hollywood ist nicht nur mit Geldkategorien zu beschreiben, es ist eben nicht die Düngemittelindustrie. Er spricht von einem Austausch von Ideen, von Geflechten. Er bleibt undeutlich, sprunghaft wechselt er zur Television und von dort zur Aussage: „Wenn ich einen Film mache mit einem Text, bekomme ich zehnmal mehr Kritiken.“ Er vergleicht die FK mit der Opernkritik: Man schreibt übers Libretto, nicht über die Musik.

Nun ist es an Hediger, den von Reinecke aufgegriffenen Popintellektuellen zu bewerten. Ist dessen Aufspaltung produktiv oder hinderlich, will er wissen. Hediger hat null Bock auf null Schizo und sieht in sich den Vertreter des vielzitierten Verfalls. Er erhält für diese Bemerkung prompt die erwartete Zustimmung in Form von Gelächter. Mit Bazin trennt er die Kunst- von der Industrieperspektive und schlägt sich auf die Seite der Industrie. Von dort aus betrachtet hat Hollywood in den 60ern und 70ern einen Kontrollverlust erlitten. Jetzt hat das System (welches, wer?) die Kontrolle wieder übernommen. Hediger beschreibt die Kompetenz des Zuschauers: Formenkanon, Genres, Starsystem und Einspielergebnisse sind Kommunikationsinstanzen, mit deren Hilfe Industrie und Publikum in Kontakt treten.

Schnell bekommt das Auf- und Dahersagen bekannter Standpunkte etwas Betuliches. Die jede/r-darf-mal-Runde ist vorüber. Jede/r weiß jetzt, wer in welcher Ecke steht. Jetzt ertönt der Gong zur zweiten Runde. Jetzt sollte die Diskussion zur Sache kommen – kommt sie aber nicht. Was ist die Sache?

Was will die FK?

BEFREIT DIE FILMKRITIKER VON DER FILMKRITIK!

Rall und Horwath setzen auf Differenz und Abweichung von Hollywood. Horwath sucht neue Betätigungsfelder und zählt Pop, Clips, Kunst auf. Rall sieht einen Teil ihrer Aufgabe darin, neue Filme auf Festivals zu entdecken. Wo ist das Neue, wo hat das Neue seinen Ort, fragt sie.

Michael Rutschky beißt nach Veronika Rall. Er spricht vom Messianismus, der in der Äußerung vom Neuen verborgen sei, von einer FK, die wie die Heiligen Drei Könige auftritt. Sie will das Jesuskind entdecken, bevor es von Herodes gefunden wird. Ein saisonales Phänomen, aus der Literatur altbekannt. Jeden Herbst wird das Jesuskindlein neu geboren.

Außerdem fühlt sich Rutschky von der FK, die er eine halbe Stunde vorher eingestandenermaßen nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollte, falsch beraten, sonst wäre er nicht in SONNENALLEE gegangen.

Horwath fordert ihn an anderer Stelle auf, nicht darüber zu reden. Auch die Rall ist sauer. Der Rutschky benimmt sich wirklich nicht sehr freundlich. Aber das scheint ihn nicht zu stören. Jetzt will gleich keiner mehr mit ihm reden – auf dem Podium.

Dafür das Publikum.

Rutschky hat wieder von den sozialen Machtkämpfen gesprochen. Dabei ist der folgende Satz gefallen: „Wir müssen uns damit abfinden, daß der Leninismus zusammengebrochen ist“ (Realitätsertüchtigung nennt man sowas ja wohl). Kurioserweise endet das absehbare Pingpong, das diese „Provokation“ nach sich zieht, beim Oberhausener Wim Wenders, der laut Rutschky eine gescheiterte Karriere ist.

(Jaja, die (naturalisierten) Berliner, selbst im befreundeten Bundesausland müssen sie noch aufeinander einschlagen. Der Kampf um die Definitionsmacht wird uns Zeitungslesewütigen noch manche schöne Dokusoap bescheren!)

Natürlich Protest. Einer verlangt allen Ernstes, daß Rutschky auf Festivals fährt.

Rutschky, an anderer Stelle: Auch die Mechanismen der Abweichung sind integriert.

Jetzt nur noch Rutschky und der Kapitalismus und sonst nichts.

Und dann kommt Jan Distelmeyer aus der Tiefe des Raums daher und möchte über Schreib-, Rede- und Denkweisen sprechen. Nicht über vergangene, sondern sehr heutig. Über das Wie dessen, was wir tun. Eine praktische Aufforderung ohne Beispiele aus der Praxis. Schade eigentlich.

Die Diskussion der FK über die FK nimmt von Jahr zu Jahr zu, stellt Peitz fest. Dabei gibt es doch so unglaublich viel zu tun, sagt sie. Achtung Ruckrede, Herzogstellvertreterin spricht: Es passiert so viel, gerade im audiovisuellen Bereich – einem der wichtigsten Märkte auf der Welt. Sind wir uns, sagt sie, zu schade für Journalismus? Unsere verdammte Pflicht

(die Reihen fest geschlossen, wenn auch mit einem Lächeln im Gesicht! Herr im Himmel, was ist bloß los mit diesen aufgeregten Berlinern, kämpfen die etwa alle um die Einladung zum nächsten Kanzlerfest?).

Wo ist der Erfolg der FK, fragt sie. Ja wo, fragt man sich völlig unvermittelt. Wo ist er bloß geblieben? Vielleicht doch besser zu Herrn Rau auf den Neujahrsempfang? Und dann räumt Peitz ab, alle Punkte – nicht nur einen. Na ja, fast alle. Habe aufgehört mitzuschreiben. Man merkt: Sie sitzt nicht auf dem Podium.

Rall klagt darüber, daß ihr zugemutet wurde, in der Zeit (DIE ZEIT!) ein Interview mit Hugh Grant und anderes fanhafte Geschreibsel gelesen haben zu müssen! Horwath kontert leider nicht mit dem wünschenswerten Verfall von DIE ZEIT, sondern mit der Bemerkung „Girlies gabs schon immer“. Was ihn aber leider, die zweite, nicht von dem Bekenntnis abhält, bürgerlich zu schreiben, wenn er für DIE ZEIT schreibt.

(Und schon wieder war einer dieser Fetischmythosbegriffe im Raum, deren glamouröser Überschuß von den Diskutanten schier nicht zu bändigen war.)

Hediger findet, daß es ermüdend ist unter den Bedingungen des Marktes zu schreiben, das sei repetetiv, das macht man nicht allzu lange.

Rall will im Schreiben auf den Betrieb reagieren; sie schlägt sich auf die Kracauer-Seite: Formen von Gesellschaftskritik machen ihr Spaß. Sie möchte dafür nicht unter Denkmal- oder Naturschutz gestellt werden.

Auch Reinecke möchte (sich?) am Kracauerschen Anspruch festhalten, daß die Film- auch eine Gesellschaftskritik sei.

Farocki zaghaft: Lohnt es sich noch, gibt es noch etwas zu entdecken? Ob die Ware selber überhaupt noch haltbar ist?

Rall will mit Filmen anders umgehen. Man liebt seine Filme, man liebt seine Arbeit, und man muß Geld verdienen. Sie will keine Kindergärtnerin werden und ist froh, daß sie vom Schreiben noch leben kann.

Für Horwath ist das Filmische (was immer er darunter versteht) in den massenmedialen Kontext eingewandert, eine Tatsache, die den Filmkritiker besonders kompetent macht. Wofür? Geübt im Blick auf die Lohnarbeit des Schauspielers könnte er z.B. die Inszenierungen eines Politikers beschreiben. Und dass der Sloterdijk plötzlich etwas zu Terminator Zwei geschrieben hat (war das nicht in DIE ZEIT!?) – das sollte eigentlich die FK besorgen, sagt er.

Beifall – wofür?

Wenn man ́s recht bedenkt, war das eigentlich eine Diskussion über die (Un-) Möglichlichkeit, in DIE ZEIT schreiben zu dürfen. Nur Horwath darf, wie wir jetzt alle wissen.

Reinecke beschließt die Sitzung: Der Gesellschaftskritiker von Rang ist nur als Filmkritiker denkbar.

Es folgt die Preisverleihung.

Der Text ist am Dienstag, den 9.11., in einem Neuköllner Vorführraum geschrieben worden. An diesem Abend bestand das Programm aus folgenden Filmen:

Sonnenallee, Mickey Blue Eyes, Ein Sommernachtstraum, Mein liebster Feind, Gloomy Sunday und einer Sneak Preview.

 Margrit Schreiber-Brunner © Hendrik Lietmann
Margrit Schreiber-Brunner © Hendrik Lietmann