Film

Die unstillbare Sehnsucht des Dr. Speck
von Thomas Schmitt
DE/AT 1998 | 49 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 23
06.11.1999

Diskussion
Podium: Thomas Schmitt
Moderation: Alexandra Schneider
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Eigentlich ist Dr. Speck Urologe. Doch er hat eine große Leidenschaft: Er sammelt Kunstwerke und Bücher. Und wenn er über die geschwärzten babylonischen Sonette Petrarcas oder den Fehldruck in der Erstausgabe von Prousts „recherche“ philosophiert, fürchtet man um die Contenance seiner Stimme. Ein Film zwischen Bibliophilie und Urologie.

Protokoll

Die Frage der Leidenschaft dominiert die Diskussion. Die Frage, ob und wie dieser Film (Sammel-)Leidenschaft abbildet:

„Man spürt, was den Mann bewegt, dass muss Dr. Speck nicht sagen, das zeigt der Film in einer sehr konzentriert zurückhaltenden Art.“ μΩ „Die Leidenschaft vermittelt sich über die Objekte, die gezeigt werden. Und wie Dr. Speck so leidenschaftslos von der Leidenschaft spricht, die sich nur in den Dingen findet.“ μΩ „Für seine Verhältnisse hat sich Dr. Speck ziemlich offenbart, in diesem Film. Erst wollte er gar nichts sagen, wollte alles in Off-Texten haben – weil schon alles über ihn (von ihm) geschrieben wurde.“ μΩ „Diese belanglosen Kamerafahrten an Bücherwänden & Bücherrücken entlang sind ein klarer Widerspruch zur Individualität eines Sammlers – allenfalls geeignet, die Fülle zu zeigen.“ μΩ „Diese 20 Minuten in der Bibliothek gehören mit zum Besten, was ich je gesehen habe.“ μΩ „Ich hatte kein Bedürfnis, Dr. Speck zu entkleiden. Wenn man genau zuhört & hinsieht, liefert er alles von sich ab.“

Irgendwann bemerkt jemand, dass im Filmtitel nicht von Leidenschaft sondern von Sehnsucht gesprochen wird. Diese Begierde findet sich im Film – nah an der Manie: eine unglaubliche und gleichzeitige Gier & Scheu, wie er diese jahrhundertealten Bücher anfasst.

Die Musik(-Untermalung) im Film: Sie ist am weitesten weg von Dr. Speck. – aber bei der vorgeführten Kopie war die Musik in der Tonmischung zu laut. „Einen Fernseher oder eine Musikanlage scheint es in Dr. Specks Villa nicht zu geben.“ Es gibt nur Räume mit Büchern & Bildern.

Der Besuch beim Klassenfeind (Jutta Doberstein), oder: Die Funktion von Kunst in unserer Gesellschaft. Dr. Speck glaubt, das Bourgoise (in sich) durch das Sammeln radikaler Kunst (Beuys, Polke) zu durchbrechen. Die Stellvertreterfunktion der Kunst: Er sucht Benn & Celine in sich, die für ihn das Leben ausdrücken, das er aber nicht leben/haben kann.

Die Ökonomie bleibt unklar (selbst seinen Banken): Wie er dieses ganze Sammeln finanziert, und auch wie er seine Zeit einteilt. „Man verzichtet auf vieles“, sagt Dr. Speck dazu.

Die Geburt der Kunstsammlung aus dem Geist der Bibliothek hieß „seine“ Dresdener Ausstellung: Dr. Speck spürt den ikonographischen Geheimnissen der Bilder/Kunst in Büchern nach, findet die bildlichen Vorlagen in uralten Büchern, die (z.B.) Polke in seiner „modernen“ Kunst verwendet. Etwas verwebt sich. Dr. Speck sammelt lettrische, spröde Kunst. Er möchte ein Bild lesen & ein Buch betrachten.

Dr. Speck möchte seine Sicht seiner Sammlung nach aussen bringen. Ein unglaublicher Egoismus, der da zutage tritt: „Ich will Bilder mit meinem Blick verschleißen“, sagt er.

Nochmal Ökonomie (& Sucht): Entdeckt/fördert Dr. Speck auch „junge“ Künstler? Wenn man das Richtige (Leute) sehr früh entdeckt und das (die) dann billig kauft, kann man sehr viel Geld verdienen. Heute steigen die Preise sofort, wenn Dr. Speck Werke eines (bisher unbekannten) jungen Künstlers kauft. Das Kunstsammeln ist eine gesellschaftlich (und auch von Banken) anerkannte / legitimierte Sammel-Sucht. Aber im Vergleich zu anderen Süchten kann/wird hier „Mehrwert“ geschaffen.