Protokoll
Minutenlang können die Zuschauer von Worte und Spiele auf der Leinwand das Signal zum Winken beobachten, auf das die Teilnehmer von Game-Shows entsprechend reagieren. Der Einstieg in die Diskussion: eine Verlängerung des Films. Farocki gibt das Signal und die Diskussionsteilnehmer winken brav zurück – die Konditionierung im Duisburger Kinosaal hat funktioniert. Die Menschen in den Game-Shows (und im Diskussionsraum?): „Winkelemente”, wortspielt Herbert Schwarze, und die Länge des Films mache dies in voller Gnadenlosigkeit deutlich.
In anderen Filmen des Duisburger Programms werde deutlich, um welch komplexen und schwierigen Vorgang es sich bei der Lebensproduktion handle, sagt Farocki. In den GameShows sei dies nicht der Fall: Erfahrungen entäußern sich in ihrer kläglichsten Form. Wo sie zu Sprache werden, sind sie verarmt. Allerorts sei das zu beobachten – „Kulturen sind überall untergebügelt”.
„Produktionsapparat”, „Industriealisierung von Dingen”, „Fließbandproduktion”, „der Betrieb als Ausgangspunkt”, „industrielle Standardproduktion” – Begriffe, die das grundlegende Raster andeutungsweise offenlegen, mit dem Farocki Game-Shows denkt und Worte und Spiele implizit operiert (vgl. dazu auch Farocki 1998, 34). Demzufolge erfährt das Material der Produktion (Mensch) eine Bearbeitung – die Produktions-Energie formt normierte Endprodukte (die aufgrund der schweren Bearbeitbarkeit des Materials nur als idealtypische existieren – in Analogie zu fehlerhaften Endprodukten läuft auch in GameShows immer wieder etwas schief).
Die ʻandere Geschichtlichkeitʼ (= Lebenserfahrung?) interessiert auch in Worte und Spiele nicht: die Anonymität der Menschen – „wie gedroschenes Stroh” (Farocki) – reproduziert oder aber „auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt”? Farocki meint letzteres: die (dokumentarische) Kamera ist nicht die Fernsehkamera, in der Positionierung vollzieht sich die Verschiebung. Und in klaren Worten: die Anonymität aufzusprengen sei nicht das Ziel gewesen. Der Film basiere geradezu auf der Idee, keine Gespräche mit den Menschen führen zu müssen. Vielmehr gehe es um Situationen, die ihnen etwas entlocken – FORMENZWANG.
Auch eine Haltung (Sympathie/Antipathie) zu den Arbeitern, die mit dem Material umgehen, habe nicht zur Diskussion gestanden – im Zentrum des Interesses: einzig der PRODUKTIONSAPPARAT.
Die industrielle Abwicklung von Game-Shows und die standardisierten Endprodukte stellen – denkt man die Diskussion mit Farocki zu Ende – einen eigentümlichen Gegenpol zum Mythos des kreativen Schaffens im Dokumentarfilm dar: eigentlich, so Farocki, habe er einen anderen Film machen wollen. Da war wohl das Material nicht zu zähmen, hat der Film ein Eigenleben begonnen – Privilegien der als HOCHKULTUR konnotierten Filmkunst?
Menschen lassen sich nicht normieren – das sei auch in Farockis Film zu sehen – hofft zaghaft und forciert zugleich ein Diskussionsteilnehmer: ein kulturkritischer Versuch, Widerstand in der Kulturindustrie zu verorten? Die Länge des Films habe ihm seinen distanziert-analytischen Blick auf die Shows geraubt, so ein anderer, zum Schluß sei er ihnen willenlos gefolgt: Distanz, Analyse, Reflexion als Imprägnierung gegen ʻIdeologie’? Das Herabsteigen auf die Ebene der Fernsehzuschauer als schlimmste intellektuelle Gefahr? Warum eigentlich nicht – will man tatsächlich nicht vom Produktionsapparat, sondern von ʻden Menschenʼ sprechen – von der überhebliche These, ʻdie anderenʼ seien verblendet, abrücken und die „Anziehung des Massenkonsums … (als) … reale und legitime Bedürfnisse” (Enzensberger 1970) ernstnehmen?
„Diese Wünsche sind nicht … verinnerlichte Spielregeln des kapitalitischen Systems… Die Schaustellung des Konsums ist eine parodistische Vorwegnahme einer utopischen Situation” (a.a.O.).
Literatur:
Enzensberger, Hans Magnus (1970) Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20, März 1970.
Farocki, Harun (1998) Worte und Spiele. In: (effekte) Duisburger Filmwoche #22. Das Festival des deutschsprachigen Dokumentarfilms (Programmheft). Hrsg. v. Stadt Duisburg.
Harun Farocki, Elfi Kreiter, Thomas Heise v.l. © Ekko von Schwichow