Film

Wittstock, Wittstock
von Volker Koepp
DE 1997 | 110 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
11.11.1997

Diskussion
Podium: Volker Koepp
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Volker Koepp erklärt, dies wäre sein endgültiger letzter Film über den Ort Wittstock, den er im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts immer wieder besucht und filmisch porträtiert hat.

Beim ersten Wittstock-Film 1974/75 hatte Koepp – zwei Jahre nach Abschluß der Filmhochschule – nicht viel Filmmaterial, wohl aber viel Zeit, sich dem Leben und den Leuten dort zu widmen. Im „Hotel zur Post“ traf er drei Frauen, die ihm fortan Stoff genug (im literarischen Sinne) für fünfundzwanzig Jahre lieferten. Oder: Wenn man oft genug an einen Ort fährt, wird er zu einem Stück der eigenen Lebensgeschichte (Koepp).

Schon 1984, nach dem fünften (?) Film über diesen märkischen Flecken, hatte Koepp mit seinen Protagonistinnen verabredet, die filmische Chronik nun zu beenden: Die Darstellerinnen hatten gerade ihre Neubau-Wohnungen – „mit neuer Schrankwand“ – bezogen, waren glücklich verheiratet, und „die Jugend ging zu Ende“.

In der Wendezeit 1990/91 rief dann Renate an: „Sag mal Volker, es passiert so viel, und ihr kommt gar nicht …“ Nichts war schöner als die Zeit, als die DEFA unterging (Volker Koepp): Kameras & Material standen fast zur freien Verfügung, und Wittstock wurde fo1tan beinah jährlich einer Bestandaufnahme unterzogen.

1995 wurde das OberTrikotBekleidungswerk (OTB) ganz geschlossen, und „Wittstock, Wittstock“ soll nun der endgültig letzte Film über diesen märkischen Flecken und seine Bewohnerinnen sein: Man kann Leuten ja nicht ein Leben lang auf die Pelle rücken. Volker Koepp hat hierzu das gesamte Wittstock-Material neu gesichtet, einschließlich aller noch vorhandenen Schnittreste aus alten Filmen, um so das Material schöner zu machen.

Thomas Rothschild schildert (auf Werner Ruzickas Aufforderung) die eigenen Eindrücke vom Film: Ein typischer Koepp-Film! Koepp kann alte Filme mit neuen zusammenschneiden, ohne daß es einen Bruch gibt – weil er schon seit über 20 Jahren seinen Stil gefunden hat. So intensiv ein Leben zu zeigen, das kann nur der Dokumentarfilm: Man sieht Menschen innerhalb von 2 Stunden um 20 Jahre altem. So eine (Lebens-)Geschichte ist nicht planbar, individuelle Schicksale werden zu einer Geschichte des letzten Vierteljahrhunderts: Das ist ungeheuer aufregend und fesselnd.

Rothschild weiter: Es ist angenehm, jemanden zu sehen, der sich in einer Zeit, wo GUTMENSCH ein Schimpfwort geworden ist, mit solcher Wärme den Menschen zuwendet. Der Film hält die Balance zwischen Nicht-Beschönigen und Optimismus (im Sinne von Überlebenskraft zeigen).

Das biologische Motiv des Weitergehens (die Kinder der drei Frauen stehen am Ende stumm vor der Stadtmauer und blicken einer ungewissen Zukunft entgegen) erweckte ein paar Fragezeichen im Auditorium. Dazu Volker Koepp: Irgendwie ist das eine Art von Hoffnung, das Leben geht ja weiter. Auch das „Lichtausschalten“ im ehemaligen OTB-Werk wurde von manchen als zu symbolträchtig empfunden. „Aber es war ja ihr Raum, und ihr Leben, das dort stattgefunden hatte“, entgegnet Koepp (und schließlich gebe es ja diesen DDR-Witz: „Der Letzte macht das Licht aus“). Hier entdeckt Themas Rothschild eine Analogie zu Bernard Mangiantes Film, wo auch Leute durch einen Raum gehen, in dem sie gearbeitet hatten. Eine „fast magische Wirkung“ gehe von solchen Bildern aus: Sie weisen über das, was man konkret im Film sieht, hinaus.

Der im Film zitierte Text von Stefan Reinecke über die erotische Beziehung zwischen Volker Koepp und Elsbeth, evozierte diverse Bemerkungen im Auditorium wie auf dem Podium: Diese „erotische Beziehung“ ist eine der Mysterien dieses Films. Andere empfanden die plumpe Art des Zitierens aus einer Filmkritik im Film als zu kokett: Schau Elsbeth, wir sind jetzt Teil der Filmgeschichte: Ich bin der Regisseur und du bist die Lächelnde. Dieses TextZitat sei aber nur zufällig (wie so vieles) in diesen Film hineingekommen, erläutert Koepp: Er hatte den Frauen Fotos von den Dreharbeiten versprochen, und diese reich bebilderte Broschüre war das lang versprochene Geschenk für Elsbeth.

Die überraschend unterkühlt-distanzierte „Beziehung“ zwischen Elsbeth und dem Regisseur im 84er-Wittstock-Film erklärt sich aus einer Unachtsamkeit Koepps, als er in der Zeitschrift des FDJ-Zentralrats „Temperament“ Gesprächsprotokolle mit Elsbeth ohne deren Wissen veröffentlichte – „und anschließend bestimmte Leute zu ihr nach Hause kamen …“. Dieses und die „sehr komplizierte“ Situation in der DDR 1983/84 sind für das „schnippische“ Verhalten Elsbeth im 84er-Wittstock-Film verantwortlich.

Anklänge von Stammtisch-Atmosphäre machte sich nach der Frage breit, wieso Männer in diesem Film überhaupt nicht vorkommen. Koepp sprach von „retrospektiver Eifersucht“ der Ehemänner: „Die Frauen kannten uns ja weitaus länger als ihre eigenen Ehemänner.“

Stefan Reinecke meldet sich am Schluß zu Wort: Ein elegischer Abschied sei dieser Film, und die Begutachtung einer Zerstörung von sozialen Zusammenhängen. Die beiden Frauen Elsbeth und Edith stehen am Ende geradezu programmatisch dar: Edith redet mit dem Meister im schwäbischen Betrieb genauso wie sie mit ihren märkischen Vorgesetzten geredet hat. Hier zeigt „Wittstock, Wittstock“ nicht (nur) den Verlust, sondern gerade die Integrität einer Person in verschiedenen Gesellschaftssystemen. Elsbeth steht für das soziale Netz, sie kennt auch in ihrer x-ten Fortbildung noch den Großteil der teilnehmenden Frauen, die früher Arbeitskolleginnen und Freundinnen im OTB waren. Auch die Abbildung des eigentlichen Werksgebäudes sei auf symbolischer Ebene sehr einprägsam: Als neue Heimat für Arbeitsamt und Bodybuilding-Studio verbildlicht es die heutige Situation im Gebiet der ehemaligen DDR.