Film

Sabbath in Paradise
von Claudia Heuermann
DE 1997 | 84 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
15.11.1997

Diskussion
Podium: Claudia Heuermann
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Kaum eine Diskussion der diesjährigen Filmwoche war so fröhlich und entspannt wie diese: Neben allgemeiner Vorfreude auf Festival-Abschluß-Party und Freibier ist dafür wohl die Stimmung, die „Sabbath in Paradise“ und Regisseurin Claudia Heuermann vermittelten, verantwortlich. Erwähnt werden sollten aber auch die Beiträge einer unerwartet enthusiastischen Diskutantin, die es im Lauf des Gesprächs immer wieder zu emphatischen Kommentaren und Zwischenrufen hinriß…

Auf eine einleitende Frage von Werner Ruzicka beschreibt Heuermann ihren Zugang zum Thema von „Sabbath in Paradise“: Ein langjähriges Interesse an Avantgarde und Freejazz führte anläßlich eines Münchner Musikfestivals 1992 zu ersten Kontakten mit den Protagonisten des Films. Dort also entstand die Idee, deren Umsetzung sich allerdings noch um mehrere Jahre hinausschob, da Heuermann den Film im wesentlichen selbst finanzieren mußte. Bis zu den eigentlichen Dreharbeiten stand sie in dauerndem Kontakt mit den Musikern und unternahm mehrere Reisen nach New York. Während dieser Zeit habe sie dann, so erzählt Heuermann später, auf der Grundlage ihrer Eindrücke und Erfahrungen ein ausgesprochen detailliertes Drehbuch entwickelt, das allen Beteiligten bei Beginn der Dreharbeiten vorlag. Auch aufgrund der beschränkten Geldmittel — und infolgedessen der Drehzeit — waren genaue Vorausplanung und enge Orientierung am Skript aber unvermeidlich. Die persönliche musikalische Vorliebe beschreibt Heuermann über das Lebensgefühl, das Freejazz ausdrückt: „Alles ist möglich“. Diese Konzeption von Offenheit und prinzipiell unabschließbarer Kombinatorik, so die Regisseurin, habe sie auf ihr eigenes Leben übertragen können.

Die „formale Polyphonie“ ihres Films (Ruzicka) will Heuermann dann auch nicht als theoretisches Konzept verstanden wissen: Trotz einer gewissen Abgenutztheit des Begriffs könne sie nur auf die eigene ‚Vision‘ als Keimzelle des späteren Films verweisen. Sie habe drei 1 ahre lang Eindrucke gesammelt, bis sich diese zu einem inneren Bild verdichteten, das sie dann möglichst genau habe umsetzen wollen. Zur näheren Beschreibung ihrer Vision verweist Heuermann entsprechend auf den Film.

An dieser Stelle springt eine begeisterte Zuschauerio erstmals vom Sitz — Ilse Storb, „einzige Jazz-Professorin Europas“: Beeindruckt von der Koordination von Bildern und Klängen möchte sie gern genaueres über die Konzeption dieses Zusammenspiels wissen. Claudia Heuermann verweist dazu auf den Entstehungsprozeß: nicht als abstrakte Idee läßt sich das beschreiben, sondern nur als Ergebnis einer Sammlung und Vermischung von Eindrücken, die sich zum inneren Bild formiert haben. Daß die Umsetzung dann so zur eigenen Zufriedenheit gelungen ist, erklärt sich auch aus der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten: Sowohl über den Kameramann Rainer Hartmann als auch über die Protagonisten ihres Films sagt die Regisseurin, daß sie über jeden ihrer Schritte und Vorstellungen Bescheid wußten. So war es denn auch möglich, bestimmte gemeinsame Erfahrungen und Gespräche für den Film zu rekonstruieren, ohne daß die Gesprächspartner detaillierter Stichworte bedurft hätten. Mit einer Frage nach der fehlenden Untertitelung von „Sabbath in Paradise“, für die bislang eben kein Geld da war, kommt die Diskussion dann noch einmal auf die materiellen Produktionsbedingungen zurück. Alle Beteiligten haben umsonst mitgearbeitet, erzählt Heuermann, ein Freund stellte für mehrere Monate einen Schnittplatz umsonst zur Verfügung, und sie selbst verdiente das nötige Geld als Cutterin bei PRO 7. „Mein Gott!“ entfährt es da Ilse Storb: „Soviel Idealismus“! Anläßlich ihrer nun folgenden Frage nach der Rolle von Frauen in der patriarchalen jüdischen Kultur kommt es zu Heiterkeitsausbrüchen. Heuermann beginnt mit einer Anekdote über John Zorn (deren Details der Protokollantin vor Lachen leider entgangen sind). Storb unterbricht: „Sind Sie eine militante Lesbe?“ Heuermann sieht sich nicht als Feministin: Es seien eben zufällig keine Frauen dabei gewesen.

Ein Ordnungsruf von Diskussionsleiter Ruzicka stellt nach einer Weile aber doch den gebotenen Ernst wieder her. Zur Rolle der titelgebenden Erzählung „Sabbath in Paradise“ erzählt Heuermann, daß sie die Notwendigkeit eines roten Fadens früh gesehen habe. Ursprünglich dachte sie an einen Text eines zeitgenössischen jüdischen Autors, stieß dann aber auf die Legende, die aufgrund ihrer Zeitlosigkeit geeignet sei, als Bindeglied zwischen alter und neuer jüdischer Kultur zu fungieren. Auch dieser Text, der die verschiedenen Elemente und Ebenen des Films zusammenhält, sei allen Beteiligten schon vorher bekannt gewesen. Der Sprecher der Erzählung ist ein bekannter Comic-Autor und Jazz-Kritiker, der als einziger seiner Zunft auch über alle porträtierten Musiker geschrieben hatte und mit ihnen bekannt war.

Gegen Ende der Diskussion kommt das Gespräch wieder auf die Frage nach dem deutschjüdischen Aspekt der Film-Kooperation, die Werner Ruzicka schon ganz zu Anfang formuliert hatte. Selbstverständlich gab es eine Auseinandersetzung mit der schwierigen Vergangenheit, sagt Claudia Heuermann, doch habe zwischen ihr und den Musikern die „Trennlinie deutsch/jüdisch“ keine Rolle gespielt. Lange Zeit sei ihr nicht einmal bewußt gewesen, daß John Zorn selbst Jude ist. Wenn Zorn, der Deutschen sonst keine Interviews gibt, sich trotzdem an ihrem Film beteiligt hat, sieht Heuermann das als Effekt ihres gänzlich anderen Zugangs zum Thema, der stets von der gemeinsamen Liebe zur Musik geprägt war.

Ein Zuschauer, der sich für die Struktur von „Sabbath in Paradise“ eine weitergehende Polyphonie gewünscht hätte, fragt nach, ob sich die Regisseurin eine filmische Umsetzung der Conductoring-Konzeption John Zorns vorstellen kann. Das kann sie in der Tat. Claudia Heuermann erklärt, darin bestehe tatsächlich ihr nächstes Filmprojekt, will aber zu diesem Zeitpunkt noch keine genauere Auskunft geben. So hofft das Publikum nun mit Werner Ruzicka auf eine Fortsetzung dieser Diskussion bei der nächsten Filmwoche…