Film

Letzte Runde
von Antonia Lerch
DE 1997 | 93 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
13.11.1997

Diskussion
Podium: Antonia Lerch
Moderation: Sabine Fröhlich
Protokoll: Liane Schüller

Protokoll

Sabine Fröhlich weist bei. Eröffnung der Diskussion darauf hin, daß Antonia Lerch auch in der „Letzten Runde“ selbst die Kamera geführt habe. Dabei hat Fröhlich unter der Oberfläche so etwas wie den „Blick des Flaneurs“, der Beobachterin wahrgenommen, die sich immer auf der Suche nach der kommenden Erfahrung befinde, gleichsam als „Sammlerin“ fungierend. Dabei habe sieb ein Bild zusammengesetzt, das viel mit Berlin zu tun habe.

Sie sei eigentlich immer auf der Suche, so Lerch, zwei Jahre habe sie gesucht, bevor sie mit der ersten Geschichte begonnen habe. Sie sammle stets viel Material, „ich dreh‘ sechs bis sieben Stunden für fünf bis sieben Minuten, ich dreh‘ sehr lange“. Dabei sei sie sich bewußt, daß Situationen durch das Moment des Filmens, durch die bloße Anwesenheit von Kamera/ Licht eine Gesprächssituation verändern. Das sei selbstverständlich, „jeder Dokumentarfilm ist inszeniert. Die anderen merken natürlich, daß gedreht wird“. Sie habe sich ja schließlich mit den Leuten, die sie filmen wollte, verabreden müssen.

Werner Ruzicka meldet sieb zu Wort mit dem Bekenntnis, daß er den typischen „Letzte Runde“-Stimmungen nichts abgewinnen könne. Auch Berlin möge er nicht besonders. Als er zum ersten Mal von Lerchs Planung des Films gehört habe, sei er überaus skeptisch gewesen. Nun sei es Lerch jedoch gelungen, nicht die Typologie von Kneipengängern, sondern Menschen in Grenzsituationen zu zeigen. Der Film hätte ebenso abstürzen können wie die Menschen, von denen er spricht – Lerch jedoch habe die Grenze genau richtig gezogen. Die Szenerie wirke durch die Kombination: Dunkelheit, das leere Berlin, Nacht wie ein leeres Bühnenbild, auf welchem sich Schauspieler präsentierten.

In den Szenen herrsche eine große Spannung, meint eine Frau aus dem Publikum, es finde eine Verzahnung statt, alle gezeigten Schicksale seien „gleichzeitig und aneinander vorbei“. Bedeutungsvoll sei, daß die Kategorie Zufall in dem Film stark zum Tragen komme, ergänzt ein Zuschauer. Alles sei von Spontaneität durchzogen, so daß die Kamera für ihn beinahe „unsichtbar“ geworden sei. Die Darsteller hätten nie in die Kamera geguckt. Sei das eine Regieanweisung gewesen?

Sie sage immer den „doofen Satz“: „Ich bin nicht da“, so Lerch. Sie habe an den Gesprächen partizipiert und sich dann später herausgeschnitten. „Es ist, als ob wir Freunde sind, als ob die das eben mal erzählen“. Dabei sei sie immer wieder überrascht worden. Daß die Russin bspw. das Gedicht und die Photographie mitbringen würde, hätte sie vorher nicht gewußt. Sie versuche Themen zu finden, welche die Leute am meisten beschäftigen, da sie dann immer wieder darüber reden, um ihre Probleme auf diese Weise zu bewältigen.

Der Übergang zwischen Nacht und Tag habe ihr gut gefallen, so Fröhlich, sie habe jegliches Zeitgefühl verloren.

Das morgendliche Wegtragen der Stühle habe sie unbedingt noch zeigen wollen, erzählt Lerch. Zu dem Lied sei es gekommen, da sie überlegt hatte: ein Gedicht, ein Bild- was fehlt noch? Ein Lied. In der Kneipe, in der das Gespräch der beiden Herzchirurgen gedreht wurde, habe sie das mongolische Lied einer Frau gehört, das ihr sehr gefiel. Diese Frau habe sie später kennengelernt und mit ihr die letzte Szene des Films gedreht.

Er habe sich gefragt, „wie kommt die da wieder raus?“, fügt Ruzicka hinzu, „irgendwas mußte noch kommen“, sie hätte nicht mit den Stühlen aufhören können, das wäre kitschig geworden. „Mit dem Lied konnte man die Schwäne auch ertragen“.

Für Angela Haardt hat der Film aus zwei Gründen ein schönes Ende. Erstens, weil nicht mehr geredet werde und zweitens, weil es diese „Flucht nach daußen, ins Morgengrauen“ gebe. Bei der Fledermausgeschichte zu Beginn denke man noch, es gehe um Absonderlichkeiten. Dann werde es immer ernster. Der Film präsentiere Kernerfahrungen, die das Zentrum des Lebens für alle die gezeigten Personen seien. Genau das sei dann auch die Schwierigkeit mit dem Ende. Beim Zusehen sei sie zunehmend „schwerer“ und „unbeweglicher“ geworden, so Haardt, das morgendliche Lied habe dann die Möglichkeit geboten, wieder „ins Leben zu kommen“. Dadurch werde das Inszenierte sehr deutlich. Der Film habe eine immense Intensität.

Man habe in der „Herzgeschichte“ das Gefühl, die Regisseurin fungiere als Stichwortgeberin, formuliert Jutta Doberstein ihren Eindruck. Es sei gewesen, als redeten die „im Auftrag“. – Das läge an dem Gestus des Sprechens, meint Haardt, es handle sich um eine Art zu reden, die Distanz schaffe. – Das käme durch die klassische Schnitt-Gegenschnitt-Technik, meint eine Stimme aus dem Publikum. – Er habe aber keine Probleme damit, fügt ein Mann hinzu, die Montage des Films habe ihm sehr gefallen. Der Film sei grandios und habe ihn ergriffen, nicht zuletzt, weil er ohne Ideologie auskomme, keine „message“ vermittle. Er sei (ihm sei?), im Gegensatz zu Angela Haardt, beim Zuschauen immer „leichter“ geworden. – Eine Frau erzählt, sie habe an keiner Stelle das Gefühl von Inszenierung gehabt: „Ich fand es bezaubernd, wie man in alltägliche Geschichten gezogen wird. Ein wunderbarer Film“.

Antonia Lerch beendet die „Inszenierungsdebatte“ mit dem Statement, der Film sei total inszeniert. Die Schwierigkeit habe darin bestanden, die Akteure nach dem ganzen Aufwand (Licht, Kamera, Vorgespräche) dazu zu bringen, daß sie wieder „an ihrem eigenen Ort“ seien, in die Alltäglichkeit von Gespräch zurückfanden.

Ruzicka steuert mit einer Frage an die Redakteurin Anne Even auf das Ende der Diskussion zu: ob der Film mit seinem enormen Aufwand an der Grenze der Möglichkeiten dessen stehe, was noch finanzierbar sei? Worauf Anne Even Optimismus verbreitet und formuliert: „Solche Filme können und wollen wir auch noch machen“.

Auf die Frage, wie der Film in Kassel angekommen sei (er lief als einer der documentaX-Filme), berichtet Antonia Lerch, daß es dort viele Fragen gegeben hätte, ob und wie sie die Leute im Film „vorgeführt“ oder „benutzt“ habe. Ansonsten habe der späte Vorführtermin – 22.00 Uhr – eine völlig andere Stimmung erzeugt als das mittägliche Anschauen des Filmes in Duisburg. Aber alles habe ja bekanntlich zwei Seiten.