Film

John E. Loskot / The Lost Hero
von Thomas Arnold, Thomas Kutschker
DE 1997 | 65 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
13.11.1997

Diskussion
Podium: Thomas Arnold, Thomas Kutschker
Moderation: Herbert Schwarze
Protokoll: Niko Ruhe

Protokoll

Thomas Arnold hat auf einer Studienreise eine Pinkelpause gemacht, bei einem verfallenen Gebäude, dem einzigen markanteren Punkt an der langen Straße durch die kalifornische Wüste. Das meiste, was nicht niet- und nagelfest war, war weg, aber einige offenbar für wertlos gehaltene Dokumente waren noch da. Einige der vergilbten Papiere hat er dann mitgenommen nach Deutschland.

Später ist er dann mit Thomas Kutschker für drei Wochen noch mal in die USA geflogen und zu der Ruine in der Wüste zurückgekehrt. Zusammen haben die beiden ungefähr 3000 Dokumente eingesammelt.

Die Idee sei gewesen, so Kutschker, das ganz normale Leben zu rekonstruieren – aus Dokumenten bargeldlosen Zahlungsverkehrs, worin der größte Teil des gefundenen Papiers bestand. Was sie in ihren Recherchen fanden, war dann aber doch recht ungewöhnlich, sagt Kutschker.

Die Schecks waren „alle gleich“, und doch entsteht bei ihrer Reihung ein Bild im Kopf, das so nicht dokumentiert ist, sagt Arnold. Zunächst war die Recherche aber ziemlich frustrierend. Im anonymen Las Vegas mit seiner starken Bevölkerungsfluktuation wußten die Leute wenig zu sagen zu Begegnungen mit Loskot, die zehn oder fünfzehn Jahre zurücklagen. In dem „gottverdammten Nest“ Hot Springs war es dann aber anders: Dort hatten die Leute zum Teil 50 oder 60 Jahre gelebt, und konnten sich an vieles erinnern.

Nach 10 Jahren kann einer der im Film sprechenden Nachbarn „keine Geschichte“ von seinem Nachbarn Loskot erzählen, meint einschränkend Herbert Schwarze. Eine möglicherweise auch für die Weltgegend spezifische Geschichts- und Gedächtnislosigkeit, die sich vielleicht auch in der im Film gezeigten Memorial-Kultur widerspiegelt: Man kann sich eine Gedenktafel kaufen.

Stell dir vor, dein Nachbar verschwindet, entgegnet Arnold: Da erinnert man sich zwar vielleicht, daß er zu bestimmten Zeiten gegangen und gekommen ist, vielleicht, daß er eine Aktentasche und was für ein Auto er hatte, aber eine Geschichte kann man da so selbstverständlich wohl auch nicht erzählen.

Es sind die Dokumente, die verifizieren, was die Leute sagen, nicht umgekehrt: Da wird von einem blauweißen Auto geredet, das dann tatsächlich rot ist. Sie hätten sogar überlegt, eine Fassung nur mit Dokumenten zu machen.

Damit entgegnete er zugleich dem zweiten Teil von Schwarzes vorherigem Kommentar: Die Dokumente brauchen eine Lektüre, hatte Schwarze gesagt, sie müssen von einer Erzählung verlebendigt werden.

Die Dokumente allein, war also gesagt, hätten es sein können, nur mit ihnen hätte man den Film bestreiten können: Als ob einem Spuren zugeteilt würden, an deren Ende man etwas findet, sagte Ruzicka. Schön, wie sorgfältig die Dokumente mit ihrer Patina gezeigt wurden. Die fixierten Dokumente werden genutzt, um Spuren der Lebendigkeit zu finden. Man fangt an, graphologisch zu werden. Eine fixierte Welt der Dokumente, im Gegensatz zu einer Welt der flüchtigen Existenz. Für ihn sei es ganz egal, ob am Ende der Recherche ein Held oder ein Spinner, ein Held oder ein Verlierer steht.

Ähnlich wie Ruzicka äußerten sich in der Folge noch mehrere andere Zuschauer.

Eine Frau interessierte „keine Sekunde, welche Bedeutung der Mensch hatte“. Sie interessierte nur, „wie diese Bedeutung rezipiert wurde“ – von den Menschen. Sie interessierte, wie die Protagonisten den „nicht vorhandenen“ Menschen rezipierten. Aber „kann sein, daß Papier Menschen ersetzen kann“. (Sie haben nicht nur überlegt, eine Fassung nur mit Dokumenten zu machen, sondern andersherum auch eine ganz ohne Papier, sagt Kutschker).

Für eine andere Zuschauerin hatte der Film etwas sehr Abstraktes: Mehr um Gedankenarbeit ging es, „nicht so sehr um etwas Reales“. Es interessierte sie nicht, ob ihr der Mensch näherkommt. Andere Filme zeigten schwere Schicksale, dieser Film aber sei ohne „existentielles Interesse“: Ganz leicht.

Am Anfang wußte er gar nicht richtig, worum es ging, sagte ein Zuschauer. Eine richtige Reise sei es dann gewesen, deren Ziel am Schluß egal war. Es war schön, wie man von der Musik getragen wurde.

Es hätte auch sein können, daß es Loskot gar nicht gab, war von Sabine Fröhlich zu hören. Der Film hatte sein Tempo, aber sie hatte ihr eigenes. Sie harre viel Zeit, sich viele Gedanken über Dokumentarfilme zu machen, in denen jemand gesucht wird, und wo unklar ist, ob er existiert…

Für die Regisseure ging es in ihrem Film aber auch um einen Helden: Es ging um den amerikanischen Traum, um jemanden, der konsequent etwas macht. Und repräsentativ war ihnen da auch vieles für die amerikanische Gesellschaft: Jeder Mensch kann etwas Außergewöhnliches tun. Für sie war ihr Protagonist zunächst John E. Loskot, aber dann war da auch etwas Exemplarisches, das vielleicht bis ins Griechisch-Heldenhafte zurückreicht.

Wie sieht das Publikum John E. Loskot nach diesem Film, hatte Kutschker recht zu Anfang schon gefragt: Dem Publikum gefiel einstweilen möglicherweise überwiegend die Reise der Erinnerung, und vielleicht auch durch die USA, die Wüste, „getragen von der Musik“. John E. Loskot, von dem der Film kein deutliches Photo gibt, wurde, so schien es, eher wohlwollend, aber auch ein wenig beiläufig und in einiger Feme gesehen.