Film

Im Namen Gottes
von Susanne Freund
AT 1996 | 48 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
12.11.1997

Diskussion
Podium: Susanne Freund
Moderation: Werner Schweizer
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

Daß man vor der Präsentation von Susanne Freunds IM NAMEN GOTTES nicht „viel Spaß“, wünschen konnte, war angesichts der Thematik klar. Warum aber mußte diese Betroffenheit dann in Gottes Namen dazu führen, daß die Diskussion von der Moderation ausschließlich auf die Inhaltsebene des Films festgelegt wurde (und das Auditorium dieser Vorgabe dann folgte)? Ist es neuerdings ein ungeschriebenes Gesetz in Duisburg, wonach „ernste Themen“ primär inhaltlich zu verhandeln sind?

So stellte sich die Ausgangssituation der Diskussion (aus Sicht des Protokolls) nun einmal dar, und folglich richtete sich das Interesse zunächst auf die Weiterentwicklung der in Susanne Freunds dokumentierten Schicksale: was denn nach Drehschluß im November 1996 bis heute mit der Familie F. geschehen sei, wollte Werner Schweizer zu Beginn der Diskussion erfahren. Die Regisseurin teilte mit, daß es sich bei den Bemühungen der Geschwister um eine „Befreiung“ der bei den Eltern verbliebenen drei Kinder immer noch um ein laufendes Verfahren handelt. Erstaunen erregte beim Auditorium die Tatsache, daß überhaupt‘ erst so spät diese langwährende Skandalgeschichte Aufmerksamkeit provozierte und Handlungsbedarf notwendig erscheinen ließ. Diese Verwunderung richtete sich sowohl auf die offiziellen Reaktionen der Behörden und Gerichte als auch auf die „späte Rebellion“ der Geschwister selbst (Schweizer). Angesichts einer Familiensituation, die Werner Schweizer als „KZ-System“ kennzeichnete, irritiere die heutige „Fröhlichkeit“ und „Gesundheit“ der ehemaligen ,Insassen‘ ebenso wie die Untätigkeit der Behörden.

Ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis dieser halbherzigen, späten und widersprüchlichen Reaktionen bestehe, so Susanne Freund, genau in diesem „intelligenten Konzept“ des Familienvaters – ein Konzept, welches als „faschistoides System“ bezeichnet werden müsse. Nach außen hin habe sich dieses „System des Vaters~‘ in erster Linie als „religiöse Spinnerei“ und als „Anspruchslosigkeit dem Staat gegenüber“ dargestellt und somit die Möglichkeit eröffnet, trotzeindeutiger Aktenlage (die offenbarenden Briefe des Vaters lägen in großer Zahl vor) ein konsequentes Eingreifen zu vermeiden. Diesen Systemcharaktaer deutlich zu machen, sei vordringliches Anliegen von IM NAMEN GOTTES gewesen, betonte Susanne Freund, während die Thematik der Kindesmißhandlung dann eher von den Medien aufgenommen worden sei

Freilich, ein „faschistoides System“ baut nicht allein auf der Gewalt eines Patriarchen auf, sondern äußert sich in einem perfiden Netz von Komplizenschaften und Abhängigkeiten. Kritisiert wurde in der Diskussion, daß davon im Film nichts zu sehen war. So wollte man wenigstens nachträglich bestätigt finden, daß es solche Mechanismen auch in dieser Familie gegeben hat. Susanne Freund unterstützte diese Vermutung: selbst nach der Befreiung aus der Familie bewegten sich die „Kinder“ (mit Ausnahme eines Sohnes, der sich freiwillig und erfolgreich in Therapie begeben hat) immer noch im „System der Eltern“, ein Phänomen, welches seinen äußeren Ausdruck im (gleichermaßen verständlichen wie fragwürdigen) bestehenden Zusammenleben der Geschwister finde. Susanne Freund begründete aber ihre Entscheidung, diese Problematik im Film auszusparen, damit, daß eine solche Fokussierung erstens ein anderes Filmkonzept erfordert hatte und zweitens sie nicht der Gefahr erliegen wollte, die Opfer in die Nähe von Tätern zu rücken.

Eine Stimme des Auditoriums verteidigte diese bewußte Auslassung der Kompliziertheit familieninterner Mechanismen, und so bemühte man sich dann in der Diskussion noch einmal, die Gründe für das langanhaltende und fortwirkende Bestehen des Systems nachträglich zu analysieren: es sei v .a. die Scham der Kinder gewesen und ein Gefühl der Schuld für Zustände, für die man die Betroffenen objektiv nicht verantwortlich machen könne, unter denen sie aber auch jetzt noch immer litten. Thomas Rothschild war aufgefallen, daß diese Leidenserfahrung dabei in einem erstaunlichen Kontrast zur Sprachgewandtheit der Protagonisten stehe· eine irritierende Kompetenz, die sich nach Auskunft von Frau Freund v.a. ihrer Person gegenüber gezeigt habe, während im Gespräch der Geschwister untereinander zumeist sehr widersprüchlich mit der gemeinsamen Erfahrung umgegangen worden sei. Aus dieser Situation heraus habe sich auch die Konzeption der Einzelinterviews ergeben.

Die Filmemacherin also als Therapeutin? Wie weit Susanne Freund in das Leben der Betroffenen eingegriffen habe und wie weit sich diese ihr gegenüber geöffnet hätten, wollte das Auditorium erfahren. Teilweise, so die Antwort, seien die „Kinder“ in ihrer Offenheit ihr gegenüber sehr weit gegangen, gleichzeitig aber sei sie auf ein irrationales, letztendlich aber verständliches Schutzinteresse vor dem Eingriff in die Privatsphäre gestoßen. Mit der öffentlichen Ausstrahlung von IM NAMEN GOTTES freilich wurde diese Privatsphäre, soweit sie sichtbar werden konnte und sollte, zum Anlaß einer öffentlichen Beschäftigung. Dieser Effekt sei durchaus beabsichtigt gewesen, so Susanne Freund, wobei es ihr weniger auf die Sensation einer besonderen und einzigartigen Mißhandlungsgeschichte angekommen sei. Vielmehr gehe es u.a. darum, in einer Gesellschaft, die sich eines prinzipiell fortschrittlichen Fürsorgesystems rühmen darf (darauf verwies Thomas Rothschild), auf eine dennoch vorhandene und skandalöse Ignoranz der Außenwelt hinzuweisen. Das dokumentierte „faschistoide“ System einer Familie mit neunzehn Kindern müsse zwar als Ausnahmefall gedeutet werden. Eine Öffentlichkeit (womit nicht nur die Presse, sondern die direkte nachbarschaftliche Umgebung der Familie gemeint ist), welche die geschundenen Opfer lediglich als exotischen „Kinderzug“ wahrnehme, gleichzeitig aber untätig bleibe, sei dagegen eher der skandalöse Regelfall.

Diese kritische Haltung des Films machte man in Duisburg über den Inhalt des Films fest. Eine kritische Würdigung der formalen Mittel von IN GOTTES NAMEN hätte dem regen und durchgängig wohlwollenden psychologisch-therapeutischen Diskussionsgestus sicherlich zusätzliche und interessante Impulse geben können. Das aber blieb, wie eingangs schon erwähnt, aus.