Film

Gurke & Brot
von Robert Jäger
DE 1997 | 42 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
16.11.1997

Diskussion
Podium: Robert Jäger, Stefan Kolbe (Kamera), Rainer Schwarte (Ton), Klara Krizova (Produktion)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Niko Ruhe

Protokoll

Zum Thema seines Films „Gurke und Brot“ kam Robert Jäger im Halbschlaf: Morgens um halb sieben weckte ihn sein Radiowecker mit einem Bericht über die besondere Lebenssituation einiger Menschen in der Tiefgarage der Stuttgarter Staatsgalerie. Er schlief wieder ein, machte sich aber später eine Notiz. Einige Monate darauf fuhr der Student der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen dann mit seinen Kommilitonen Stefan Kolbe (Kamera), Rainer Schwarte (Ton) und Klara Krizova (Produktionsleitung) nach Schwaben und besuchte Siggi, Isabella und ihre Mitbewohner in ihrer Tiefgarage.

Sie hatten rasch einen Draht zueinander und verabredeten das Filmprojekt. Zwei Wochen teilten die Jungfilmer dann rund um die Uhr den vom ständigen Lärm der Lüftungsanlagen begleiteten Alltag der modernen Troglodyten. Sie schlugen ihr Matratzenlager neben dem von Siggi und seinen Gefährten auf, tranken mit ihnen, und Stefan Kolbe filmte, wo es den Filmemachern interessant schien. Ein sehr rigides Konzept der Kameraführung hatten sie nicht, wie Kolbe sagt: Insgesamt dreht er, wie er gerne guckt. Die häufige Untersicht war anfänglich mit der später verworfenen Idee verbunden, „die Decke der Tiefgarage runterzuholen“. Nur eine Szene aus der Anfangsphase der Dreharbeiten ist aufgelöst in verschiedene Kameraeinstellungen. Im weiteren Verlauf drehten sie überwiegend in langen Einstellungen und mit Übergängen über Schwenks.

Ursprünglich hatten die Filmemacher geplant, mit dem Kontrast zwischen der Unterwelt der Tiefgarage und der Oberwelt des „pompösen Neubaus“ (Jäger) der Staatsgalerie zu arbeiten. Es gab so zunächst ganze Blöcke von fotografischen Einstellungen nur des Raums. Beim Schneiden stellten sie jedoch fest, daß diese Passagen „übererzählten“, wie Jäger sagt: Das Bild des Kontrastes der Bereiche ergibt sich bereits aus dem Agieren der Menschen. Zudem hätte sich der Eindruck ergeben können, sie wollten einen Raum zeigen, in dem man eigentlich nicht leben kann, und damit hätten sie eine soziale Betroffenheit erzeugt, die sie so gar nicht wollten. Im fertigen Film gibt es nun keine Einstellungen mehr, in denen keine Menschen vorkommen.

Als „Betroffenheitsarie“ hatte Werner Ruzicka den Film gerade nicht empfunden. Keine armen Alkoholiker gab es zu sehen, sondern in selten genauer Darstellung einen Versuch einer kleinbürgerlichen Normalität von Fernsehen, Kochen, Waschen, gemeinsamem Essen am Tisch, Familienstreitigkeiten, Parzellierung des Raums in private Areale für jeden Einzelnen – und sogar das Bier wird ordentlich vom Lieferanten in die Tiefgarage gebracht. Zugleich hängt selbst diese Normalität der Protagonisten des Films noch „am seidenen Faden“, wie Ruzicka sagt: Sie können aus der Tiefgarage rausgeworfen werden, noch weiter abdriften. Die außerordentlich umständlichen und langwierigen Alltagsrituale, von denen Jäger sprach, wirken angesichts eines solchen „Schwebezustands zwischen Normalität und Absturzgefahr“ auch wie Rettungsanker, die die Menschen auswerfen. In solcher Darstellung einer Normalität bekam der Film für Ruzicka auch eine symbolische Funktion: Die Zahl der Menschen, die in Tiefgaragen leben, kann in unserer Gesellschaft in Zukunft durchaus zunehmen, so daß der Film auch mögliche Lebensformen von Arbeitslosen zeigt, die mit ein bißchen Unterstützung auskommen müssen.

Warum freut sich die Potsdamer Film- und Fernsehhochschule nicht über einen Film wie „Gurke und Brot“? Hier gibt es Widersprüche, die er nicht erklären kann, sagt Werner Ruzicka. An den Hochschulen arbeiten sehr viele interessante junge Dokumentarfilmer: Warum tun die Hochschulen nicht ihre Pflicht und bringen deren Filme in die Foren?

Robert Jäger bewilligte die Hochschule einen Zuschuß von 5500 DM für den ohne Kopie insgesamt 10000 DM teuren Film, und kümmerte sich dann nicht mehr um das Projekt. Man zeigte kein Interesse, den Film nach Duisburg zu bringen: Geradezu „unhöflich“ waren die Reaktionen auf seine Anfragen, erzählt Werner Ruzicka.

Ähnlich mußte auch Gerhard Benedikt Friedl, einer der Preisträger der diesjährigen Duisburger Filmwoche, seinen Film „Knittelfeld“ selbst anmelden, und ein Dozent kommentierte seine Aufnahme ins Programm mit den Worten: „Und so einen Scheißfilm zeigen sie in Duisburg“.