Protokoll
Genau wie der Film eröffnete auch die anschließende Diskussion kleine Einblicke sowohl in den Boxsport (als Amateur boxt man 3, als Profi 10 Runden), als auch in die Lebenseinstellung der Hauptdarstellerin. Sabine Fröhlich beginnt das Gespräch mit dem Statement, ihr persönlich habe der Film sehr gut gefallen, weil er so etwas Schwereloses habe. Die beiden Ebenen (Sport und Lebenssituation von Fikriye) würden vereint. Dem Zuschauer werde ein Mädchen präsentiert, das sich ebenfalls außerhalb des Rings „freizuboxen“ versuche.
Regisseurirr Aysun Bademsoy erzählt, daß ihr die sehr klare und persönliche Art von Fikriye sofort bei der ersten Begegnung gefallen habe, ebenso wie die Tatsache, daß diese junge Frau – obgleich sehr selbstbewußt – in einer familiären Gebundenheit lebe, in einem „kleinen Mädchenzimmer“ in der elterlichen Wohnung. Im Kompromiß mit den Eltern, innerhalb der türkischen Familienstruktur, schaffe diese Frau etwas. Eben dies habe sie in dem Film erzählen wollen.
Die Protagonistin, die etwas verspätet in Begleitung ihrer Eltern zu der Diskussionsrunde stößt, beginnt bereitwillig und mit ihrem „straighten“ Charme, die Fragen des Auditoriums zu beantworten. So berichtet sie, daß man, sobald man im Ring stehe, gleichsam „mitten drin“ sei, das Außen vergesse. Generell sei es ihr Bestreben, einen Mittelweg (im Leben?) zu finden, „alles miteinander zu vereinbaren“. Auf Sabine Fröhlichs Einwurf, im Film tauchten wenig Konflikte auf, erwidert Fikriye, daß sie eben nicht in einem sozialen Brennpunkt aufgewachsen sei und es an ihrem Umfeld, an ihren verständnisvollen Eltern liege, daß sie einfach keine Konflikte habe: „So etwas wie Jugendheim kannte ich nicht“.
Auf Jutta Dobersteins Frage, wie es denn für sie gewesen sei, sich selbst kämpfen zu sehen, antwortet sie, daß sie mit ihrer Leistung in diesem Kampf nicht zufrieden gewesen sei – ansonsten sei sie es jedoch trainingsbedingt gewohnt, sich in „Kampfvideos“ anzuschauen. Auf eine Nachfrage aus dem Auditorium, ob sie in dem Verein, in dem sie zur Zeit der Produktion des Filmes trainiert habe, eine Art Vorbildfunktion innegehabt habe, erzählt Fikriye von dem Gefälle, das natürlich existiere zwischen „Abitur-Türken“ und „Nicht-Abitur-Türken“. Neben diesem üblichen Konflikt sei ihr aber immer mit sportlichem Respekt und Freundschaft begegnet worden. Die Regisseurin ergänzt zu diesem Punkt, daß die „Jungs“ im Verein Fikriye sehr bewundert hätten, nicht nur aufgrund ihrer sportlichen Leistungen, sondern einfach auch, weil sie schön und intelligent sei. Dennoch sei in den Äußerungen der Jungen in Bezug auf Fikriye bzw. auf „Mädchen im Ring“ generell stets auch durchgeschimmert, daß es nicht leicht sei zu beobachten, daß es da ein Mädchen gebe, welches etwas könne, das doch eigentlich „Männer-Metier“ sei, das doch eigentlich nur sie selbst richtig könnten.
Das Frauenbild der „türkischen Chauvis“ werde dadurch halt erschüttert, fügt eine Frau aus der Runde hinzu, die Männer hätten eben Angst um ihren Nachwuchs. Das sei doch in allen Kulturen so, erwidert Fikriye.
Den deutschen Mädchen gehe es doch sicher nicht anders, meint eine Frau zu diesem Aspekt, auch diese müßten doch um Anerkennung innerhalb des Boxsports kämpfen. Es habe sich einiges geändert, seit sie in die Profiliga übergewechselt sei, stellt Fikriye fest, sie sei nun Profi und werde auch so behandelt.
Einer Zuschauerin tut es leid, daß die Gegnerin im Film nicht mehr „aufgebaut“ worden sei, was nämlich die Spannung erhöht hätte. Aysun Bademsoy meint dazu, man müsse sich eben entscheiden, was man zeigen wolle, wenn man nur 30 Minuten Zeit habe, und sie habe sich eben entschieden. Daß Fikriye studiert, habe ja auch nicht dazu geführt, „Unibilder“ für den Film zu produzieren. Das hätte einfach nicht viel hergegeben.
Thomas Rothschild, der einräumt, daß ihm der Boxsport sehr fern liege, formuliert, daß auch er gern mehr über die Gegnerin erfahren hätte und fragt, ob Fikriye denn eine Art Beziehung zu dieser Frau aufgebaut habe. „Im Ring gibt’s keine Freundschaft!“ erwidert diese daraufhin, es gehe schließlich ums Gewinnen. Nur insofern, als man die Gegnerin, ihre Schwächen analysieren müsse, werde eine „Beziehung“ aufgebaut. Werner Ruzicka möchte wissen, ob die Geste, die Fikryie der Gegnerin gegenüber nach dem Kampf gezeigt habe, in dieser Form selbstverständlich sei im Ring. Es handle sich um ein Zeichen von Wertschätzung und Respekt, sei aber natürlich in keiner Weise obligatorisch, antwortet Fikriye.
Sie sei ja nun, neben ihrem Leben als Studentin und Sportlerin, so etwas wie ein Filmstar, sagt Rothschild und stellt die passende Frage, ob sie BLUT GELECKT habe, worauf die junge Frau antwortet, daß bislang keinerlei Filmangebote vorlägen und sie sich zu gegebenem Zeitpunkt ja immer noch Gedanken darüber machen könnte.
Harun Farocki, der den Film produziert hat, weil die Regisseurin eben einen „bekannten Namen als Unterstützung“ brauchte, sagt, daß Boxen im Film interessant sei, weil sichtbar gemacht würde, wie man sich verausgaben und gleichzeitig unter Kontrolle haben müsse, was eine ständige Begrenzung schaffe.
Neben diesen inhaltlichen Fragen wurde durch einen Einwurf das Gespräch schließlich noch auf einen formalen Aspekt des Films geleitet, der sich auf die Kameraführung bezog. Bademsoy erklärte, daß sie ganz bewußt im Ring die Handkamera benutzt hätte, um der Dynamik des Sports gerecht zu werden. In den privaten Räumen der Familie und unter Freunden habe sie es richtig gefunden, das Stativ zu gebrauchen, um Ruhe zu erzeugen. Das – sehr symbolträchtige – Bild, welches die wegblickende Fikriye zusammen mit ihrer Mutter zeigt, erntete Lob. Leider konnte die Mutter sich nicht an diese Einstellung erinnern, um diesbezüglich einen Kommentar abzugeben.
Überhaupt wäre es sicher spannend gewesen zu erfahren, was denn Fikriyes Eltern von der Boxleidenschaft ihrer Tochter halten.
Insgesamt war die Diskussion von der Präsenz der Hauptdarstellerin getragen und möglicherweise ein wenig gehemmt. Denn wer möchte schon in unmittelbarer Nähe eines potentiellen angehenden Stars um schnöde formale Filmästhetik streiten?
Sabine Fröhlich, Aysun Bademsoy, Fikriye Selen v.l. © Ekko von Schwichow