Film

Die Kandidaten
von Susanne Binninger
DE 1997 | 65 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
10.11.1997

Diskussion
Podium: Susanne Binninger, Susanne Schüle (Kamera), Gordian Maugg (Produzent), Burkhard Althoff (ZDF/Das kleine Fernsehspiel)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Niko Ruhe

Protokoll

Die Kandidaten einer „Wetten, daß…?“-Show mit Thomas Gottschalk, im Vorlauf und der Nachfreude der 90 Minuten, die sie aus anonymen Kleinbürgern zu Figuren des öffentlichen Lebens machen: Susanne Binrunger und ihre Kamerafrau Susanne Schüle wollten dieses Thema nicht journalistisch bearbeiten, wie es etwa in Reportagen über Bewerbungsgespräche von Fernsehshow-Kandidaten bereits geschehen ist. Sie wollten beobachten, den Blick der Menschen sollte die Kamera finden, und im Blick der Freunde, Verwandten und Nachbarn sollte die Wette gezeigt werden.

In den Mittelpunkt ihres Films hat die Filmemacherin Joseph Kratz gestellt, der sich seine TV“Berühmtheit mit der Fähigkeit erschwitzt hat, seinen runden Körper im blau-weiß gestreiften Strampelanzug durch eine schmale Öffnung zu zwängen. Ein Mensch, dem „seine Geschichte ins Gesicht geschrieben steht“, erklärt Susanne Binninger ihr besonderes Interesse an ihm: Mehr als sein mächtiger Rumpf war denn auch das Gesicht des Joseph Kratz ein Thema der Diskussion. Wenn die Kamera lange Sekunden zeigt, wie der Maskenbildner ihm nach seinem Auftritt den Schweiß abtupft, dann erscheint Werner Ruzicka hier im schwierigen Austarieren des Verhältnisses von Distanz und Nähe auch die Würde gewahrt.

Ein anderer Zuschauer verwies auf die Schwierigkeit, bei solchen Filmen mit „Menschen, die auch Opfer sind“ zu vermeiden, daß das Publikum über die Protagonisten lediglich lacht: „Glück gehabt“ sagte in diesem Zusammenhang später Werner Ruzicka zur Wahl des Protagonisten Joseph Kratz: Man könne sehen, daß er weiß, daß er auch clownesk genommen wird. Dennoch bleibe er würdig, auch als der Bürgermeister seiner Heimatgemeinde ihm in Anerkennung seiner Verdienste als Wettgewinner eine Urkunde verleiht. (In dieser Zeremonie, so Ruzicka, könne man im übrigen auch sehen, „wie sich die Sphären verschieben“: Nicht mehr nur Sportstars, sondern auch Fernsehshow-Kandidaten werden als besonders verdiente Bürger angesehen.)

Susanne Binninger hat, wie sie sagt, die „Gratwanderung“ dieses Films sehr bewußt unternommen, da sie gerade die schwankenden Emotionen interessierten. Es sei schwierig gewesen – etwa Kratz in seiner außergewöhnlichen Körperlichkeit nicht schon durch die Wahl eines Kamerastandpunkts zu denunzieren.

Im Publikum fand man ihre Gratwanderung teilweise sehr gelungen: Es gäbe eine tatsächliche Entwicklung im Film und man käme dem Protagonisten näher. Das Lachen über ihn sei kein gemeines, sondern ein zunehmend sympathisierendes. Ein anderer Zuschauer hingegen fand in der Geschichte von Joseph Kratz und seinen Mitstreitern die „Wetten, daß“-Dramaturgie von Exposition und Showdown einfach übernommen. Darin sah er zugleich eine Anlehnung an die Formen des klassischen Erzählkinos, wie sie auch für das „direct cinema“ typisch war. Den Protagonisten fühlte er sich bei solcher Assimilierung des Materials an etablierte Formen nicht nähergekommen: Menschen in Extremsituationen habe er gesehen, mehr nicht. Susanne Binninger verteidigte ihren Zugriff: Sie und Susanne Schüle wollten die Gefühle der von ihnen gezeigten Menschen miterleben und miterlebbar machen, und da war der Stil des „direct cinema“ durchaus angemessen. Eine Reportage oder einen essayistischen Zugriff auf ihr Thema hätte sie nicht gewollt.

Getürkt war bei ihr jedenfalls nichts: Daß man in einigen Szenen soviel vom Hintergrund der Personen erfuhr, war reines Glück. Es sei ihr dabei auch wichtig gewesen, sich von der Behandlung der Kandidaten bei „Wetten, daß…?“ zu distanzieren. Sie wollte die Kandidaten nicht zurichten, mit ihnen proben. Insofern man den Menschen im Dokumentarfilm eine Bühne gibt, so die Regisseurin, könne man natürlich keine hundertprozentige Authentizität erwarten. Aber wo ein Protagonist zu Beginn ihrer Dreharbeiten noch gefragt hatte, ob er es denn auch recht gemacht hätte, wurden das Drehteam bald zwar nicht vergessen, aber doch akzeptiert.

Die am direktesten Betroffenen jedenfalls waren überwiegend zufrieden mit dem Film. Die Fernsehausstrahlung haben sie in der Stammkneipe von Kratz mitverfolgt. Dort sah man den Film einerseits als eine Art Horne-Movie, es gab aber auch Stimmen, die kritisch fragten, ob Jupp Kratz hier denn auch wirklich anständig behandelt worden ist. Zum ersten Mal, so Produzent Gordian Maugg, sei Joseph Kratz in seinem Heimatort nicht mehr nur als Witzfigur, sondern auch als tragisch angesehen worden. Kratz, so die Regisseurin, war insgesamt jedenfalls sehr gerührt: Für ihn war es vor allem wichtig, daß er der Held des Films war. Und Held bleibt er auch – auf Video: Warhols Diktum, daß für fünf Minuten jeder zum Star werden kann, so Ruzicka, stimme nicht mehr ganz, wo jeder seine fünf Minuten archivieren kann.