Film

Die Bewerbung
von Harun Farocki
DE 1997 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
12.11.1997

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Herbert Schwarze
Protokoll: Niko Ruhe

Protokoll

„Rollenspiel zerfleddert die Persönlichkeiten“, sagte eine Frau im Publikum. Irgendwie sah sie in „Die Bewerbung“ von Harun Farocki eine ähnliche Zerfleddertheit Aber alles wirkte irgendwie etwas zerfleddert in dieser Diskussion – und war es dann vielleicht auch wieder nicht.

Wir müssen unsere eigenen Bildproduzenten werden, unsere eigenen kleinen Selbstdarsteller: Moderator Herbert Schwarze fragt sich, ob nicht dies das oberste Erziehungsziel einer sich entwickelnden neuen virtuellen Erziehungsinstanz ist, die überall in das Leben eindringt. Instanz einer Erziehung nicht mehr im Sinne traditioneller Disziplinargesellschaften durch einzelne Institutionen wie Schule und Militär, sondern Erziehung durch das Gesamt der Einzelinstitutionen, die uns alle gleichermaßen davon zu überzeugen versuchen, daß wir (Bilder von) uns produzieren müssen, um uns erfolgreich zu verkaufen.

Herbert Schwarze fragte sich weiter, ob Harun Farockis „Die Bewerbung“ nicht auch vor diesem Hintergrund verständlich wird: Wo der Regisseur sich zuvor ganz mit von Menschen produzierten Bildern beschäftigt hatte, sieht Schwarze bei Harun Farocki seit „Leben – BRD“ zunehmend wieder auf eine fast klassisch dokumentarische Weise Menschen direkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Ob dieses Interesse Farockis etwas damit zu tun hat, daß die Menschen sich immer mehr bzw. immer unmittelbarer mit der Bildproduktion beschäftigen? In der Tradition des Dokumentarfilms hat man die Menschen viel bei der Arbeit mit ihren Händen gezeigt – nun zeigt ein Film wie „Die Bewerbung“ sie zwar bei der Arbeit, aber produziert wird nicht mehr mit den Händen.

Menschen zu porträtieren, so Harun Farocki zum Aspekt seiner jüngsten „Zentrierung auf den Menschen“, kommt ihm zu direkt vor. Von einer indirekten Methode erhofft er sich mehr: In den in dem Film gezeigten Rollenspielen machten Menschen in Gesten, Gebärden und anderen Kleinigkeiten Entäußerungen, wie man sie sonst nicht hätte. Insgesamt sah er das Filmgeschehen als eine endlose symbolische Wiederholung der Vorbereitung ins Ewige, ins Angstlose – was dem Gegenstand des Films ja sehr gut entspräche: Übervorbereitetheit auf der einen Seite, „man schafft es sowieso nicht“ auf der anderen Seite (die einzige Perspektive der Kursteilnehmer sei offenbar, selbst Kursleiter zu werden).

Einerseits das Krisengerede, andererseits der Psychohaushalt der Leute, die darauf reagieren müssen, meinte später Werner Ruzicka: Ob die in dem Film gezeigten Schulungen da nicht auch Lücken schlössen, insofern die Leute in einer Art Wartezustand gehalten würden? Die Schulungen nicht nur Kalkül der Geldverdienenden, sondern auch Psychotherapeutikum derer, die mit ihrer Lebensangst klarkommen müssen?

Das Thema ein wenig leichter nehmend, vertiefte Thomas Rothschild – weitergehend als Herbert Schwarze – (kunst)ästhetische Aspekte des besprochenen Zusammenhangs (und machte sich dabei „auf den Vorwurf des Formalismus gefaßt“). Er hatte in dem Film die Annäherung des soziologischen Rollenbegriffs an den dramindaturgischen gesehen: Im Spielfilm spielen die Leute Rollen, die sie selbst nicht sind. Da man sophisticated ist, sagt man: Das tun die Leute doch auch im Dokumentarfilm, wo sie ebenfalls einer Kamera gegenüberstehen. Nun jedoch schaut man in einem Dokumentarfilm auf Leute, die soziale Rollen vorbereiten, als wären sie Theaterrollen – aber nicht für die Bühne, sondern für die Arbeitsrealität.

Mehr als die Hälfte der gezeigten Bewerbungsvorbereiter kamen aus den neuen Bundesländern: Ein Zuschauer fragte sich, ob Farocki nicht einen fundamentaleren Unterschied zwischen Ost und West unterschlägt. Was in der alten Bundesrepublik eine logische Folge gewesener Entwicklungen sein mag, sei in den neuen Bundesländern als eine Form der „reeducation“ anzusehen, in der den Leuten alles umgekehrt wird, was sie zuvor gelernt haben. Ob es von daher nicht statt einem Film zwei hätte geben sollen?

Die Verwerfungen hätten aber doch auch einen systematischen Charakter, es gäbe Berührungspunkte, gab Farocki zu bedenken: Durchgehend gehe es um „Selbstbewußtseinsübung“ und „Icherfindung“. Daß hier nicht so leicht generalisierbar ist, fand er gerade interessant: Er wollte nicht von sauberen soziologischen Erhebungen ausgehen. Aber natürlich sei es etwas anderes für die Menschen der ehemaligen DDR, für die das „Ende der Kriegszeit“ („oder irgendwie so?“) einen Einschnitt von einer ähnlichen Radikalität bedeutete, wie das Ende des agrarischen Lebens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Genug Drama, als daß man noch zusätzlich dramatisieren müßte, meinte ein Zuschauer zur Musik von „Dead Man“, die in dem Film gespielt wird- warum Farocki meinte, diese benutzen zu müssen? Wenn sein Verhältnis zur Musik im Dokumentarfilm auch nicht uneingeschränkt positiv ist, so Farocki, ist ihm doch auch der „cineastische Purismus des Weglassens“ zweifelhaft: Heute dürfe man ja glücklicherweise zwischendrin auch einmal lachen: „Wenn ich mit jemand lange rede, möchte ich auch einmal pfeifen dürfen“. „Ein ironisierender Kommentar“ sei die Musik, meinte ein Zuschauer in diesem Sinne.

Aber auch Einsamkeit assoziierte man im Publikum mit Neil Youngs Musik. Und von ihrer Referentialität her, wie Schwarze bemerkt, wirkt sie ebenfalls: Der letzte Weg eines toten Dichters, eines Untaten- wie, so ein anderer Zuschauer, auch die Menschen in den entfärbten Bildern der Videokamera wie Untote wirkten. Die Musik, so Schwarze, schafft eine Öffnung hin zu einem weiten Raum – Momente der Ausflucht aus dem System? In vielen, vom Regisseur möglicherweise gar nicht direkt intendierten Weisen fand summa summarum ein Zuschauer die Musik jedenfalls gut verwendet, die „unbewußt“ erfolgte Wahl sehr gelungen. Ich habe kein Unbewußtes, sagte Farocki.