Film

Schwester Karin
von Thomas Thümena
CH 1996 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
09.11.1996

Diskussion
Podium: Thomas Thümena
Moderation: Susa Katz
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

„Oh, sister ….“ (Bob Dylan)

Komplimente gab es reichlich für die als Diplomarbeit eingereichte Dokumentation SCHWESTER KARIN des jungen Themas Thümena. Auf „beeindruckende“ Weise und „unheimlich sensibel“ habe der Film sich einem Thema genähert, bei dem die Gefahr von Voyeurismus jedoch recht groß sei. Ein Zuschauer bedankte sich sogar bei Thümena für diesen „großen kleinen Film“.

Die ursprüngliche Absicht des Autors, einen fiktionalen Film zum Thema zu drehen, änderte sich in dem Moment, als Thümena Erfahrungen in einem Krankenhaus im Rahmen seiner „Zivilschutzverpflichtung“ machte. Nun sollte es ein Portrait werden, und lange mußte er suchen, bis er auf die geeignete Person, eben jene Schwester Karin, gestoßen ist.

Susa Katz wollte nun erfahren, ob es Schwierigkeiten im Vorfeld der Dreharbeiten gegeben habe, da die gefilmten, alten Menschen schließlich entmündigt waren. Die Genehmigung durch die Angehörigen sei nicht problematisch gewesen, so Thümena. Die alten Menschen selbst höHen sich auch nicht sonderlich von der Kamera, die häufig lange und von einer Position aus die Situation aufnahm, gestört gefühlt: Das Interesse der Alten habe sich auf ihre nächste Umgebung gerichtet, das Filmteam wurde einfach vergessen. Nur eine Szene des Films dokumentiere Irritation über den anwesenden Kameramann.

Zweifelsohne stand Schwester Karin im Mittelpunkt von SCHWESTER KARIN, und folglich habe es mit ihr während der zweiwöchigen Dreharbeiten auch viele Diskussionen gegeben. Der Film wurde somit für Karin zum erweiterten Reflexionsanlaß über ihre Identität als Krankenschwester. Ein halbes Jahr nach den Dreharbeiten quittiert die „engelhafte Schwester Karin“ ihren Dienst…

Genau in der dokumentierten Problematik einer Zerissenheit der Protagonistin sieht eine Stimme des Auditoriums die eigentliche Thematik des Films angelegt: Es gehe nicht um alte Menschen, die eigentliche Thematik – Identität- eröffne vielmehr eine „metaphorische Dimension von großer Ordnung“. Etwas weniger pathetisch formulierte Thümena seinen Anspruch, mit SCHWESTER KARIN mehr als ein Berufsportrait erstellen zu wollen. Die Auseinandersetzung von Karin, ihre Zweifel über Identität und Zukunft, habe während des Filmens auch in einem Verhältnis zu seinem eigenen Leben Gedanke gestanden.

Sabine Fröhlich befand den Film als „sehr sensibel und komplex“. SCHWESTER KARIN schöpfe aus einer Wahrnehmung, die sich einer genaueren Beobachtung und der Fähigkeit des Zuhörens verdanke. Der Körper der Krankenschwester wirke zunächst „engelhaft und körperlos“, im Verlauf des Films zeichne sich dann ein Rollentausch ab: Die helfende Karin in ihrer ephemeren Gestalt benötigt nun selbst Hilfe, findet später (so eine Zuschauerin) im Tanz zu neuem Körperbewußtein – womit auch eine deutliche Differenz zum dauerhaft beschädigten Körper in Zawadzkis ISOLATOR II markiert sei.

Constantin Wulff wollte wissen, wie sich die Produktion im Hinblick auf einen gegebenen, film-historischen Kontext einordnen läßt: in den 70er Jahren habe es „Krankenhausfilme“ entweder als Kritik an der Funktionsweise der Institution „Krankenhaus“ oder, radikaler; als generelle Ablehnung gegeben. Die Frage der Montage, die Darstellung der Krankenschwester in ihrer gleichzeitigen Hingabe und Destruktion, leite auch über zu einer Frage der Autorenhaltung. Thümena gab an, in der Frage der eigenen Position bei der Organisation des Materials keine größere Ordnung vorgegeben zu haben. In bezug auf die Konfrontation mit Alter und Krankheit (hier wäre ja ein Einstieg in eine politische oder ideologische Lesart denkbar gewesen) habe er sich einer direkten Beurteilung im Film enthalten. So wie Krankenschwester Karin im Film ihre kritische Haltung nicht an der Institution des Krankenhauses festmachte, vertrat nun auch Thümena eine (last schon philosophisch zu nennende) Haltung: „Jeder Mensch ist mit seiner Realität allein.“ Er wüßte nicht, was an der Wirklichkeit des Krankenhauses noch zu verbessern sei – „eine neue Couch vielleicht?“

Die vermiedene Thematisierung institutioneller oder politischer Umstände mache die Situation des Zweifelns jedenfalls auch übertragbar auf andere Lebensbereiche, „verweise auf die Gegenwart“ – so eine Einschätzung aus dem Auditorium.

Die Figur der ‚Krankenschwester Karin‘ reizte in ihrer „totalen Sanftheit“ (Auditorium) auch zu weiteren Fragen und Beschreibungen: Warum Karin niemals im Umfeld ihrer Kollegen zu sehen gewesen sei, wollte man erfahren. Nun, das wäre eine andere Geschichte gewesen, eine schwierige zumal, da die Schwester aufgrund ihres Engagements und einer frühen Beförderung in der Gruppe der Kollegen auch isoliert war – so Thümena. In der kurzen Drehzeit wollte er sich auf die Person Karins konzentrieren, die Thematisierung ihrer Beziehung zu Kollegen hätte den Film auch zu stark in eine „Sozialfilm-Ecke“ gerückt.

Die engelhafte Gestalt der Schwester Karin mag vielleicht in so manchem Zuschauer den Wunsch geweckt haben, einmal in die Obhut eines solchen Engels zu geraten.

Aber bewundern wir die Engel nicht so, weil sie es gelassen verschmähen, uns zu zerstörn?