Extra

Das Politische
von Klaus Kreimeier

Duisburger Filmwoche 20
06.11.1996

Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

Das Projekt, über den Begriff des Politischen in Bezug zu 20 Jahren Dokumentarfilm zu reflektieren, wollte Klaus Kreimeier angesichts der Komplexität des Themas gar nicht zu abschließenden Bilanzen nutzen. Der Filmwoche einen „politischen Aschermittwoch“ zu bescheren, eine Genese des Begriffs von `68 bis heute aufzuzeigen, Dementis auszusprechen – all das sei denkbar und möglich, aber an diesem Nachmittag nicht sein Anliegen.

Kreimeier wählte einen Annäherungsversuch, der sich dem Anspruch auf Vollständigkeit und den Versuchungen von Bilanzierung und Festlegungen zu entziehen wußte, gleichzeitig die utopischen Implikationen des Begriffs nicht verlieren wollte. Vielleicht läßt sich diese Absicht auch in Anknüpfung an eine (intellektuelle) Tradition beschreiben, welche das „Politische“ als Begriff faßt, es in dieser Abstraktion gegen voreilige, politische Vereinnahmungen abzusichern sucht, ohne dabei einer theoretischen oder zeitgeistorientierten Wendigkeit oder Beliebigkeit zu verfallen.

So wie der im Anschluß des Vortrags gezeigte und von Kreimeier ausgewählte Film Herbert Schwarzes: DAS BLEIBT, DAS KOMMT NIE WIEDER das Politische aus einer ästhetischen Perspektive erschließt, beginnt Kreimeiers Vortrag im Medium des Reiseberichts, nähert sich über eine zweite, literarische Reflexion dann – in einem dritten Schritt – dem Politischen im Film.

Die Reise, vier Wochen Südafrika, ermöglichte Kreimeier (aus Sicht des Protokolls) drei Strategien der Wahrnehmung, nämlich einmal die der Ent-Fernung, zweitens, die Möglichkeit der intensivierten Wahrnehmung und driHens das Wiedererkennen.

Ent-Fernen: Vier Wochen abgeschnitten vom politischen System der BRD, dringt aus Deutschland nur Belangloses (die Fieszmann-Entführung) ins Bewußtsein. Die Distanz ist riesig und gleichzeitig wunderschön, gewohnte Wahrnehmungen von Zeit und Raum ändern sich, Ruanda ist weit entfernt und doch als afrikanisches Land immer greifbar nah.

Intensivierung: Für Kreimeier eröffnet die Fremde einen Raum, in dem sich Aufmerksamkeit und Anspannung steigern. Was das europäische Bewußtsein nicht zusammendenken kann, ist in Kapstadt als großartige Perspektive mit Aussicht auf die riesigen Flächen von Atlantik und Indischem Ozean mit dem politischen Ort „Robben Island“ zusammengeführt. Die geographisch-historischen Perspektiverschiebungen ermöglichen einen „Lerneffekt“ auch über die eigene Geschichte: Das Wiedererkennen des Eigenen im Fremden. Gespräche mit Monty Goldberg über die Ermordung seiner Familie während des Faschismus verweisen in der Distanz auf die eigene politische Geschichte, ebenso wie die Begegnung mit einem Afrikaner, der sich freut zu erfahren, daß Hilter tot ist.

Verbindungen einer Geschichte der Apartheidsgesellschaft zur nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland stellen sich her, Unterschiede in der Bewältigung werden sichtbar. Obwohl im neuen Südafrika die „Nazis“ noch ihren Platz haben, ein „Nürnberger Prozeß“am Kap der guten Hoffnung nicht stattfindet, läßt sich, so Kreimeier, ein „atemberaubendes Projekt“ der Dokumentation beobachten, welches um nichts weniger als die „Wahrheit“ bemüht sei. Das Politische erfährt Kreimeier im Alltag der Afrikaner viel unvermittelter, als in der Abstraktheit der (europäischen) Begriffe.

Im Rückgriff auf den Reisebericht „Rückkehr ins Paradies“ von B. Breytenbach setzt Kreimeier seine eigene Erzählung in den Kontext einer ästhetischen (Re-)Formulierung des Politischen. Die Sphäre des Politischen erscheint hier als Hort von „Macht, Mißtrauen, Mittelmaß und Gefräßigkeit“, selbst „der Sieg des ANC hat Aids“, die Reise Breitenbachs werde zu einer Passion, an derem Ende nur die Rückkehr ins Exil möglich bleibe. Gegen die politische Mediokrität beharre der ästhetisch-literarische Blick auf „Insistenz und Intensität“ des Politischen. Der Begriff erscheint somit noch in den körperlich erfahrbaren Kategorien von „Angriff“ und „Schicksal“, Formen, die Intensität herstellen.

Vor dem Hintergrund der afrikanischen Reise und der Konfrontation mit Breytenbachs literarischem Bericht gewinnt das Politische im Vortrag Kreimeiers neue Aktualität, gerade auch in Bezug zum Dokumentarfilm, für den dieser Begriff, so mag es erscheinen, mittlerweile zu einer recht staubigen Kategorie geworden ist.

Die Annäherung des Vortragenden an das Thema über den „Umweg“ des Reiseberichts und der Literatur hat somit nichts Anekdotisches, sondern verweist auf die Notwendigkeit, das Problem auch über die Frage nach den Formen aufzuschlüsseln. Schwarzes Film DAS BLEIBT, DAS KOMMT NIE WIEDER kann dann als ein Versuch gewertet werden, den abgestanden Besetzungen des Politischen, einer zum „Geplapper“ gewordenen ’oral history’ mit „raffinierten Manövern“ zu entkommen. Geschichte werde so auch als „Psychogeschichte“ sichtbar, Fragen nach dem Verhältnis von Körper und totalitärem Staat tauchen auf.

Die Chance zur Rettung eines Begriffs des Politischen für den Dokumentarfilm, so Kreimeiers Credo zum Schluß seines Vortrages, besteht im Ausschöpfen des „Reichtums der Konnotationen“ dieses Begriffs, ein Reichtum, der sicherlich nicht mit „Beliebigkeit“ zu verwechseln sei.