Film

Signers Koffer – Unterwegs mit Roman Signer
von Peter Liechti
CH 1995 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 19
11.11.1995

Diskussion
Podium: Peter Liechti, Dieter Gränicher (Schnitt)
Moderation: Constantin Wulff
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Eine elegant fließende Reise nannte Constantin Wulff diesen Film, der dem dokumentarischen Subgenre Künstlerporträt zuzuordnen ist, der aber über das einfache Porträt eines Künstlers weit hinausgeht: Peter Liechti sieht die Möglichkeiten des Films denn auch nicht im einfachen dokumentarischen Abbilden von Wirklichkeit sondern im poetischen Beschreiben seiner Empfindung und Wahrnehmung durch das Medium Film. In der Beschränkung auf ein begrenztes Inventar von Dingen – eben wirklich einen „Koffer voll Material“/Signers Koffer, den Roman Signer auf diese Reise zu seinen Wunschorten mitgenommen hat- konzentriert sich die filmische Wahrnehmung.

Die Musik in diesem Film dient der räumlichen Orientierung, so daß wir nicht durch Schrifttafeln oder Ortsschilder geleitet werden, sondern akustisch an den seltsamen Orten Signers präsent sind.

Das Problem der Anwesenheit einer Kamera stand im Mittelpunkt der Diskussion: ob die Aktionen extra für die Kamera inszeniert sind (wie die roten Bänder, die nur in der Cadrage des Filmbildes einen Sinn machen können), oder ob diese, fast privat zu nennenden Aktionen Signers durch die Anwesenheit einer Kamera verändert werden. Roman Singer will bei seinen Aktionen keine Zuschauer – fast schüchtern verläßt er oft den Ort des Geschehens –, „Zuschauer“ allerdings verstanden als physische Präsenz von Publik~ m am Ort der Aktion. Mit Super 8-Kameras dokumentiert er selbst seit Jahren sein Schaffen: Das Medium Film ist ihm sehr vertraut, um das flüchtige Wesen seiner Kunst festzuhalten. Roman Signer möchte als „Maschine“ und nicht als Performance- Individuum wahrgenommen werden.

Zur Frage der „Zerstörung“ sowie des Problems von „zerstörter“ Landschaft (wie in Bitterfeld): Roman Signer sieht die Zerstörung (und eben auch sog. „Zerstörte“ Landschaft) als Akt der Poesie, aber als eine Poesie, die nicht immer nur liebreizend, sondern auch schmerzhaft sein kann- schließlich zerstört auch der Bildhauer Natur, um etwas sichtbar zu machen. Signers Aktionen sind auf Dehnung & Komprimierung von Zeit ausgerichtet – Ruinen oder andere „verbrauchte“ Dinge sprechen unser ästhetisches Empfinden an, und so ist auch eine „zerstörte“/verbrauchte Landschaft erstmal eine Landschaft. Die nostalgisch wirkenden Aufnahmen in Polen (die Automarke Trabant) sind inspiriert von Signers Grundmelancholie des Verschwindens: Menschen, die Gomulka wiederhaben wollen, hoben die Bedeutung einer (zerstörten) Landschaft.