Film

Hai Muoi Nam Sau – 20 Years Later
von Tien Tran Dung
DE 1995 | 50 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 19
08.11.1995

Diskussion
Podium: Tien Tran Dung, Katja Hofmann (Co-Regie)
Moderation: Stefan Reinecke
Protokoll: Lars Henrik Gass

Protokoll

Dies sei kein klassischer Dokumentarfilm, aber ebensowenig ein klassischer Feature-Film, sondern eine interessante „Mischform“ vielmehr – läßt Moderator Stefan Reinecke in das klaffende Loch des unterbesetzten Saales fallen und befragt den Regisseur sogleich nach den Produktionsbedingungen seiner Arbeit. Tien Tran Dung berichtet daher von einer anhaltenden Tabuisierung des Krieges in Vietnam, der nur unter ganz bestimmten, d.h. zensierten Sichtweisen öffentlich diskutiert werden könne. So sei eine Drehgenehmigung nur aufgrund des zeitgleichen Besuchs des ehemaligen US-Admirals, dessen Sohn ebenfalls Agent-Orange-Opfer ist, zu erwirken gewesen. Die Aufnahmen wurden ständig von Behördenvertretern beaufsichtigt, denen das gesamte Material auch zur Ansicht vorgelegt werden mußte. Eine gewisse Unabhängigkeit sei nur durch eine Kooperation mit „Saigon-Film“ entstanden, sowie durch eine vorzeitig außer Landes geschmuggelte Kassette mit gedrehtem Material. Zudem hatten die US-Behörden das Einreise-Visum für ihn als vietnamesischen Regisseur verweigert, so daß er ein Team mit genauen Instruktionen dorthin habe schicken müssen. Der Film – ein Ergebnis also vor allem der Montage-, so der Regisseur, stelle im übrigen seine „Abrechnung mit dem Krieg“ dar, ohne daß er damit eine moralische Position einnehme.

Reinecke bezieht sich auf die für ihn erstaunliche Verknüpfung der Geschichten und Elemente und erwähnt besonders lobend das Zoom, das die verschränkten Hände des Admirals und des ehemaligen nordvietnamesischen Oberbefehlshabers isoliert und so das Zurückweichen des Admirals dokumentiere. Reinecke fügt die Frage an Katja Hofmann hinzu, wie der Kontakt zu dem Admiral zustande gekommen sei. Der habe, so Hofmann, bereits in einer Autobiographie, an der die gesamte Familie mitgewirkt habe, seine Sicht der Dinge dargestellt. Es habe dabei auch keine Schwierigkeiten mit ihm gegeben, da er sich als außerordentlich öffentlichkeitsbewußt erwiesen habe. Der Admiral habe auch bereits Jahre zuvor, noch während des Vietnam-Boykotts der USA, um eine Ausreiseerlaubnis nach Vietnam ersucht, die ihm aber erst zur Zeit der Dreharbeiten genehmigt worden sei. Trotz seiner chauvinistischen Äußerungen könne man ihm deutlich die Schuldgefühle anmerken, die ihn bewegten. Er fördere deshalb auch zahlreiche Spenden- und Hilfsaktionen für AO-Opfer. Das alles müsse unter den Vorzeichen einer veränderten US-Politik gesehen werden; denn jeder amerikanische Präsident habe mehr als sein jeweiliger Vorgänger im Amt Krankheiten als AO-Folge anerkannt. Die Situation in den USA stelle sich heute so dar, daß fast jeder vierte GI Folgewirkungen von AO zeige.

Reinecke bemerkt die anti-spekulative Tendenz des Films, die „Geschichten nebeneinander stehen zu lassen“. Ja, sagt der Regisseur, der Schock komme sozusagen „von hinten, leise“. Es folgen verschiedene Verständnisfragen. In diesem Zusammenhang erklärt Hofmann, daß der zweite Sohn des Admirals, der als Rechtsanwalt arbeite, während der Interviews – offensichtlich aus juristischen Gründen – stets anwesend gewesen sei. Dung dagegen erklärt, daß für ihn die Schuldfrage immer weniger wichtig geworden sei. Er habe den Haß auf die Amerikaner fast vollständig überwunden, und er glaube auch, daß dem Buddhismus in der vietnamesischen Kultur der Haß ohnehin nicht derart bekannt sei.

Reinecke weist darauf hin, daß die Täter sich im Gegenteil eigentlich als Opfer fühlten und Rachephantasien entwickelten, wie „Rambo“ und andere Figuren zeigten. Eine solch regressive Art der Problembewältigung habe dieser Film auf eine sehr subtile Weise überwunden. Hier sei das Vergangene völlig durchgearbeitet, während der Admiral andererseits weiterhin mit seiner Dolchstoß-Legende und Watergate beschäftigt sei. Dung beurteilt jedoch die Möglichkeiten einer öffentlichen Projektion des Films in Vietnam als nahezu aussichtlose. Es gebe da weiterhin eine Zwangssolidarisierung in der vietnamesischen Gesellschaft, die nur ein Entweder/Oder zulasse.

Bei so viel Empathie und Konsensfähigkeit im Auditorium entfuhr dem Regisseur dann doch noch selbst die Frage, was in seinem Film „nicht aufgegangen“ sei, und drohte damit im Treibsand des Schweigens unterzugehen, wären nicht noch Detailfragen rettend herbeigeeilt und auch nochmal Reinecke mit der erneut lobenden Bestätigung eines Films, der glücklich das Gefühl der Rache durchgearbeitet habe.