Film

Arbeiter verlassen die Fabrik
von Harun Farocki
DE 1995 | 36 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 19
07.11.1995

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

ln Aussicht gestellt hat Harun Farocki eine Enzyklopädie filmischer Topoi, deren Vervollständigung er sich indes prophylaktisch von der Nachwelt erhofft: das Vorhaben, ein derartiges Wörterbuch der Kinematographie zu erstellen, sei wohl ein ähnlich zeitintensives wie einst das Grimmsehe Projekt, zu dem Farocki nur den ein oder anderen Beitrag noch zu leisten hofft. Die Legitimation eines solchen Unterfongens steuert Andrej Ujico bei, der mit Verweis auf Ernst Robert Curtius erklärt, der Nährwert der Topikforschung hänge allein von der Intelligenz des Autors ab.

Allerdings möchte das Auditorium nun der Selbstbescheidung des Regisseurs auf die Semmeltätigkeit eines Ikonographen keinen rechten Glauben schenken. Es gehe doch nicht nur um ein beliebiges Motiv, sondern um ein Problem filmischer Repräsentations formen, das am Topos Fabriktor ansichtig werde: das rare Bild der Arbeiterschaft als Masse. Im Anschluß stellt sich eine gewisse Verwirrung darüber ein, wer oder was eigentlich im Verschwinden begriffen oder nur in der Abwesenheit überhaupt repräsentiert sei: Das Bild der Arbeiter oder die (Fabrik-)Arbeit selbst? Farockis Film führt vor, daß das Fabriktor immer wieder nur der Ort ist, von dem man sich entfernt, die Masse der Arbeiter den Hintergrund abgibt, vor dem sich die Kontur des Einzelnen abzeichnet. Werner Dütsch präzisiert seinen aphoristischen Einwurf, das Urbild der Lumieres trage den Keim seines Verschwindans schon in sich, dann aber dahingehend, daß Fabrikarbeit selbst verschwunden sei.

Daraufhin stellt sich unvermeidlich die Frage nach der Wirklichkeit, betont ein widerspruchsfreudiger Zuschauer die zähe Lebendigkeit des Totgesagten: Es gibt sie noch – die Arbeit! die Arbeiter! ·, nicht sie sind die Chimäre, Chimäre vielmehr ihr Verschwinden, und auch die Vorstellung von entfremdeter Fabrikarbeit gehöre eben jenem Reich der Legenden an, denn es gebe gerade in der Fabrik hoch individualisierte Existenzweisen. Nicht verschwunden- nicht einmal vom Verschwinden bedrohtARBEITER VERLASSEN DIE FAo~li( Se·-e 2 sind auch die archivierten Film-Materialien: Farocki beruhigt Ruzickas diesbezügliche Befürchtungen mit dem Hinweis/ daß in Film-Archiven niemand Zeit dazu habe, übers Wegwerfen nachzudenken. Aussterbende Spezies also doch eher der Arbeiter als das Bild von ihm? Es kommt die Rede auf konzertierte Versuche der siebziger Jahre, Arbeitern als Filmhelden zu neuer Geltung zu verhelfen, doch auch die so entstandenen Filme seien – so ein weiterer Kommentar aus dem Publikum – fabrikflüchtig, dem von Farocki umrissenen Topos gemäß. Werner Ruzicka möchte den Topos daraufhin entgrenzen und den Blick auf die nicht-intentionalen Bilder der Amateur-Videokameras richten. Womöglich wäre hier eine unerwartete Fülle von Arbeiter-Bildern aufzutun, doch diese bleibt eben- unsichtbar.

Das enzyklopädische Projekt als ganzes, befindet Andrej Ujico, hänge von einer juristischen Frage ab: der Möglichkeit nämlich, mit teuren Urheberrechten belastete Filmbilder zu zitieren. Diese unangenehmste aller denkbaren Fragen beantwortet Forocki dann doch mit verhaltenem Optimismus: Es sei noch Auffassung ungenannter Fernseh-Jusitiziare ein gewisses Zitatrecht abzuleiten/ nur dürfe man das nicht an die große Glocke hängen.

 © Ekko von Schwichow
© Ekko von Schwichow