Film

Manchmal habe ich Angst
von Brenda Parkerson
DE 1994 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
12.11.1994

Diskussion
Podium: Brenda Parkerson, Inge Classen (Redaktion)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Annette Bitsch

Protokoll

Auf Werner Ruzickas gnomische Einleitung der Diskussion: dem Tod bei der Arbeit zusehen, reagiert das Publikum zunächst nicht. Auch der Mitteilung Brenda Parkersons, daß die Mutter Shaunas, des im Film porträtierten Belfester Mädchens, im Juli dieses Jahres von der IRA entführt, gefoltert und ermordert wurde, schweigt man eher ennuyiert als erschüttert entgegen. Das noch im Schatten eines im Zuge der Duisburger Filmwochentradition kurzen aber todesartigen Nachtschlafs stehende Publikum kann sich derart thanatoider Kontemplation wohl noch nicht zuwiegen. Statt dessen investiert man die ganze Redseligkeit in ein profaneres Thema: die 30 Minuten, die der Film gedauert hat.

Die Stunde des Konjunktivs hat geschlagen: man hätte/ man könnte/ was wäre wenn/ was ergebe sich aus/ was profiliere sich/ was konkretisiere/abstrahiere/artikuliere/ konstruire/ konturiere/kondensiere/kolportiere sich, wenn …. der Film nun 45 oder 60 oder 90 Minuten gedauert hätte. Unaufhaltsam formiert sich im Publikum die Fraktion der Zerdehnungswütigen, der Überlängenanankasten, der jede friedliche Akzeptanz, daß es Iange und kurze Autos, Menschen, Filme nun mal einfach gibt, für immer und symptomatisch verwehrt bleiben muß. Der Inhalt, die Intention, das Signifikat des Films sei das Sesam oller Regisseure. Es ist gierig, es frißt, es darf fressen, es soll fressen olle Zeit und verschlingen die Unendlichkeit selber bis zum abendfüllenden Programm. Exegetischer Wohn, obsessioneller Wille zum Ausdruck, der Voluntarist des Zeigens und die unendliche Zeit, das Ego und seine Dokumentation. Schließlich beendet Werner Ruzicka die etwas mißglückte Reverie über die Zeit des Dokumentarfilms mit dem Verweis auf ein Godord-Zitat. Welches besagt, daß zuerst der zur Verfügung stehende finanzielle Etat die Filmdauer und jene dann die Filmidee determiniere. Nicht der Mensch, sondern das Geld präfiguriert den Film.

Zwischen oll den temporalen Spekulationen interveniert immer wieder tupfenweise die Streitfrage, ob der Film den Bürgerkrieg innerhalb der Darstellung Belfester Alltagsrealität nicht zu sehr verharmlose. Pro und Contra halten sich jedoch artig die Waage. Einerseits und Andererseits werden brav äquilibriert.

Einerseits empört sich über eine benigne Bilderflut, die um ein relativ sorgloses Kleinmädchensystem zirkuliere. Jene Bilder dementierten die politische Aktualität und suggerierten Gewöhnungserscheinungen gegenüber Soldat und Waffe, Krieg und Blut und leid. Stattdessen müsse mit wilden Bildern jongliert, müsse die Gewalt des Krieges als Gronatenflug, Donnerschlag und existentielle Eruption extrovertiert werden.

Andererseits vermag angesichts der Bilder gerade die subtile Dämonie der Lage zu erleben: zu jedem unvorhersehbaren Moment kann eine Bombe an jeder unvorhersehbaren Stelle losgehen, jede Sekunde kann der nächste Anschlag seine Opfer fordern nicht endender Wartestand des Unglücks, Unwägbarkeit der kriegerischen Macht, Überallheit der Gefahr, Leben auf dem Vulkan, Paranoia in Hauseingängen, Hinterhöfen, Schulbussen. Werner Ruzicka charakterisiert diesen Zug· des Films durch seinen Verweis auf die -Rollschuh-Szene sehr prägnant und tituliert sie treffend als „Alice im Kriegsland“.

Schließlich meldet sich noch der Verleiher des Films zu Wort, um zunächst, dem Gebot der Diskussion folgend, sein Plädoyer für den Zeitraster auszusprechen. Des weiteren begibt er sich daran, den Film an dessen emotionale Intention als eine betroffenmachende zu ketten, über welche er ihn denn auch zu vermarkten gedenke. Das ist sein· gutes Recht. Anders als im vertreterhaften Stil kann man Innerlichkeit ja auch heutzutage nicht mehr lancieren. Schließlich ist es ja das Geld, welches die initialen Strukturen einschreibt.

Eine weitere Stimme aus dem Publikum deklamiert ein emphatisches „wir machen uns nicht klar…“ und erweist mit Losungen vom Schwarz-Weiß-Feindbild über bösartiges Kriegsspielzeug bis hin zur Unmenschlichkeit selber seine Zugehörigkeit zu einer alten anthropologischen Seniorengarde. Nachdem dies überfrühte Wort zum Sonntag glücklich zu Ende gebracht worden ist, wird die Diskussion beendet.

Ein guter und unprätentiöser Film, einer, der nicht in monomaner Kameraführung die xte Dimension des neuen Blicks zu kolonisieren sucht. Einer, bei dem man das Gefühl hatte, daß er irgendwie genau die richtige Länge hatte. Was soll man da diskutieren? Man soll ja auch nicht.

 Brenda Parkerson, Inge Claßen v.l. © Ekko von Schwichow
Brenda Parkerson, Inge Claßen v.l. © Ekko von Schwichow