Film

Gasser + „Gasser“
von Iwan Schumacher
CH 1994 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
11.11.1994

Diskussion
Podium: Iwan Schumacher
Moderation: Werner Ružička, Werner Schweizer
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Eigentlich ist mit dem Film wohl olles gesagt worden – so der Eindruck noch einer Diskussion, die eher als von Stille durchsetzte Serie wohlwollender Äußerungen zu beschreiben wäre. Es gab viel zu loben: Zuerst das Unterfangen selbst, eine in medialer Überpräsenz am Ende erstickte und zerstäubte Affäre noch einmal zum Thema gründlichen Nachdenkens zu machen, ferner die Kameraführung sowie das durchkomponierte Kalkül der Musik, die Nähe zu den Befragten und dann den Glücksfall der Gleichnamigkeit zweier Protagonisten. Endlich hat sich gezeigt, so artikuliert ein Duisburgerfahrener Zuschauer, daß auch Harun Farockis Traum, LUX-Filter auf LUX-Seife zu schneiden, in Erfüllung gehen kann: Ähnlichkeit produziert Sinn. Verhaltene Kritik (die sich dann selbst wieder zurücknimmt unter dem bekannten Motto „das wäre ein anderer Film gewesen“) richtet sich auf die strenge Zweiteilung von Gasser + „Gasser“, während sich mancher eine Vernetzung beider Geschichten gewünscht hätte. Werner Schweizer fragt, ob die polierte Perfektion des 35mm-Films, die Ruhe seiner anmutigen Bilder für den ausbleibenden Erfolg im Kino verantwortlich zu machen wären, ob das Publikum nicht etwa eine filmische Gebärde der Empörung erwartet habe. Eine Zuschauerin findet die in der Konsonanz von skandalösen Aussagen und hübschen Vorgärten sich spiegelnde Scheinidylle dagegen „besonders traurig“.

Ergänzend/beschreibend wünscht sich der Regisseur, daß die eine Geschichte (die tragische) in der zweiten (der Force) ihren Widerhall und eine Aufladung mit neuen Bezügen erfahren möge – trotz jener aus Übersichtlichkeitsgründen scharf gezogenen Trennlinie zwischen Gasser 1 und Gasser 2. Letzteren habe er zwar aufzuspüren versucht, aber die Effekte der Spitzeltätigkeit bei „Gassers“ Opfern könnten wohl für sich selbst stehen. Versuchen, dem Film und seinem Gegenstand Abstraktionen und weitausgreifende symbolische Gehalte abzugewinnen (Könnte nicht jeder von uns ein Gasser sein? Bezeichnet ‚Gasser-Sein‘ – der eine oder der andere – zwei Optionen, sich in einem Staat zu verhalten? Hat die Fichen-Affäre einen Schweizer Mythos ruiniert ?) hält Schumacher stets die Konkretheil des eigenen Interesses entgegen. So bleibt dem Nicht-Schweizer die Erkenntnis: „Auch die Schweiz ist ein moderner Staat“. Es ging also um dies: den Schaden zu benennen, den ein bürokratischer Apparat umfänglichster Bespitzelung anrichtet, auf der einen und der anderen Seite. Allerdings wird im Verlauf des Gesprächs immer deutlicher, daß die im Menschen konkret verursachte Beschädigung niemanden so recht hat schockieren können, daß das Eigentliche dieses Schadens ein heimlicher Nutzen ist, die Reformation des Staatsschutz-Apparates durch seine Krise nämlich. Die These, der Staatsschutz habe tatsächlich zum Zwecke der eigenen Wiedergeburt bei der Zeugung dieses Skandals assistiert, sei berechtigt, befindet Schumacher: Apparate sind resistent.

Im übrigen provoziert das bedächtige Schweigen des Regisseurs bei redefreudigeren Diskutanten emphatische Nachfragen – Verstehen Sie? – und Selbstbefragungen – Vielleicht habe ich ja nicht alles verstanden? – bis zum erneuten Ausruf: Verstehen Sie, was ich meine? Erheiterung macht sich breit: Es muß nicht immer olles, was zu sehen war, in extensiven Redebeiträgen um- und umgedreht, befragt, verdichtet, zerstreut werden, soll das wohl heißen. Werner Ruzicka, von einem Zuschauer bereits jovial als ‚Chef des Hauses‘ apostrophiert, verabschiedet das Gespräch mit der Bemerkung/ der Film habe neue Einblicke ins Innenleben der Schweiz eröffnet, aber· den Reich-Ranicki-Topos knapp umschiffend- bestimmte „Vorhänge“ seien geschlossen geblieben. Fremde Schweiz so nah…