Film

Warum starb Nirmala Ataie?
von Inge Buck, Barbara Debus, Konstanze Radziwill
DE 1993 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
12.11.1993

Diskussion
Podium: Inge Buck, Konstanze Radziwill
Moderation: Elke Müller
Protokoll: Annette Bitsch

Protokoll

Mit dem Stichwort Spurensuche leitet Elke Müller die Diskussion ein: was sei der entscheidende Impuls für die Regisseurinnen gewesen, sich auf die Fährte der Nepalesin Nirmala Ataie zu begeben? Konstanze Radziwill und Inge Buck berichten über ihre anfänglichen Recherchen zum Schicksal Nirmalos, die im Januar 1991 in einem Bremer Stadtpark, gleichsam vor der Haustür der Regisseurinnen, von ihrem Mann erstochen wurde. Das Konzept des Films wolle sich in relativer Zurückhaltung auf Wesentliches beschränken und von einer dramatisierenden Uberbelichtung der Person Nirmala Ataies absehen. Daß nicht nur eine programmatische Gesinnung, sondern auch eine nicht realisierbare Nepal-Exkursion die Reduzierung der Darstellungsmittel bedingt haben, kommt nur implizit zum Ausdruck.

Die Etikette des ästhetischen Purismus-Faktors übernimmt man schließlich gern. Wichtig sei für die Regisseurinnen die einheitliche Gewandung des Materials gewesen -in deutlich aristotelischer Reminiszenz spricht lnge Buck von der Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Ohne voyeuristischen Aderlaß und larmoyante Schicksalsbetropfung sollte die Tragik Nirmalas aufleuchten, welche darin bestehe, daß sie den Versuch, ein selbständiges leben zu führen, mit dem Tod hätte bezahlen müssen. Gleichzellig beargwöhne der Film das Vorgehen der Behörden, angesichtsdessen sich die Frage aufdränge, ob man in der heutigen politischen Situation wirklich so weitermachen könne.

Konstanze Radziwill expliziert wiederholt die kommentarlos-asketische, einem metronomischen Monlageprinzip folgende Darstellungsweise des Films. Mit der so entstehenden Distanz zum Gegenstandsbereich habe man einerseits der kulturellen Differenz Respekt zollen und auf der anderen Seite das leben Nirmalas als Asylbewerberin auf eine unsentimentale und wertneutrale Weise facettieren wollen. Und noch einmal prononciert Konstanze Radziwill die gewollte Reduzierung der verfilmten Orte. Er folge einem puristischen Stil ideal, das auf panaramische Bebilderung verzichte und nicht zuletzt dadurch die Eingeschlossenheit und Isolation Nirmalo Ataies evoziere. Inge Buck räumt ein, daß die Porträtierung der Orte, an denen Nirmolo ihr Leben verbracht hat, wohl schon einen gewissen Reiz gehabt hätte, aber dies sei zum großen Teil durch äußere Umstände verunmöglicht worden. Außerdem, so die Regisseurin weiter, habe sich das Nirmala-Atmosphärische aus den entsprechenden Räumlichkeiten zum Zeitpunkt des Filmens bereits verflüchtigt. Der oft betonte Purismus rückt insgesamt eher in den Bereich einer Tugend aus Notwendigkeit.

Ein Diskussionsteilnehmer beschreibt seinen Eindruck vom Film, der ihn zunächst mit einer Phalanx von Köpfen konfrontiert habe, aus der dann aber schließlich doch eine Unsichtbarkeit von Film emergiert sei. Diese, so geheimnisvoll sie auch klingt, habe ihn zu seiner Zufriedenheit die Schicksolhaftigkeil der Geschichte erspüren lassen. Konstonze Radziwill pflichtet dem bei: die Machart des Films erweise sich anfänglich als „D-zugortiges Vorbeibrausen von Bildern“, bis sich dann die Richtung erkennen lasse. Der Film, der sich auf sublime Weise in seiner Thematik vernerve, sei, so Inge Buck, gefärbt von einer Struktur des Beinahe-Entkommens, der sich eine Unterspülung von Liebesgeschichte beimenge.

Ein weiterer Diskussionsteilnehmer hat die Notwendigkeit des Schicksals Nirmals, das Flüstern der Ananke vernommen. Die Aporie der Protagonistin, ihre Verlorenheil in einer fremden, europäischen Welt, umgeben von einer unbekannten Sprache, infolgedessen die Verurteilung zur Kommunikationslosigkeit etc., etc. steht Inge Buck zufolge im Zentrum des Films. Daneben, so komplettiert Inge Buck, müsse man auch ihre Tapferkeit, ihr Engagement, ihren Willen zum Leben beachten.

An dieser Stelle macht die Diskussion eine prosaische Kurve. Fred Prase klagt die Diffusität des juristischen Hintergrunds ein und erweist sich im selben Zug als Strafrechtsexperte. Er legt dem Publikum die juristischen Abtönungen zwischen eiskaltem Mord und harmloserem Totschlag dar. Daneben verweist er auf die Unterschiede zwischen der deutschen und der (schärferen) amerikanischen Rechtssprechung. Daraufhin kommt es zu einem kurzen Wortgefecht zwischen ihm und Thomas Rothschild über die Reinstalletion der Todesstrafe, die nach Fred Prase einer Gesellschaftsverrohung vorbeugt und nach Themas Rothschild einer Staatsverrohung gleichkommt. Noch dem epigrammatischen Ausspruch des letzteren, daß derjenige, der die Todesstrafe einführt, damit rechnen muß, daß er in Bälde exekutiert wird, wendet sich die Diskussion erneut der Präsentationsweise des Films zu.

Es herrscht friedliches Einverständnis darüber, daß ohne großartige Tragödienschöpfung und großartige Aufpeitschung des Themas in bigotte Moralismen eine einfühlsame Porträtierung Nirmalas geleistet worden sei. Gerade durch die reduzierte Struktur (s.o.) werde, so eine wohlwollende Diskussionsteilnehmerin, eine Minimierung der Konnotationsmöglichkeiten erzielt, wodurch die Verschiebung der Welten auf sublime Weise bewußt gemacht werde.

Der Pazifismus allgemeinen Einvernehmens soll dann aber doch noch durchbrechen werden, als ein Zuschauer, der die Kapazität seines Empfindungsvermögens schon während der Sarangio-Diskussion outriert hatte, das Finale der Diskussion an sich reißt. Der Film habe viel in ihm ausgelöst, was in dieser Woge emotionaler Ergriffenheit jedoch noch nicht verbalisierbar sei. Er, der Filme offenbar in erster Linie rezipiert, um sich sentimentalisieren zu lassen, sei erst durch diesen Film, in dem Myriaden von Frauenschicksalen sphärisch aufleuchteten, versöhnt worden mit dem gestrigen grausigen Neonazi-Film. Er verbleibt noch eine Weile, konvulsivisch schimpfend, im falschen Film, um dann der Diskussionsrunde einige private Absonderungen mitzuteilen. Durch Elke Müllers unmißverständliches Einschreiten läßt er sich nicht davon abhalten, auf die Eminenz seiner Person hinzuweisen. Man erfährt, daß es sich um ein verkanntes Genie von Filmautor handelt, in dem der Abgrund von Anspruch und Realität gähnt und das tiefe Loch der Verbitterung des Abgespeisten hinterlassen hat. Die Präsentation seines, konsequent dem Dogma der Rührseligkeit folgenden Films 11Requiem“ über 120 Tote auf europäischen Friedhöfen sei von der Filmwochenleitung- zweifelsohne ein Akt der Konspiration – sabotiert worden. Inge Buck gelingt es dann durch diplomatische Raffinesse, der verbalen Überbordung seines Selbst Einhalt zu gebieten, indem sie sich höflich für sein Lob bedankt und nahtlos auf die Schlußszene des Films überlenkt. In jener sei der Versuch einer Sichtbarmachung Nirmalo Atoies gleichsam von –en heraus, über den Text ihres Briefes, unternommen worden. Die reduzierte Struk-