Protokoll
Die Frage, warum Enno Patalas, Filmkritiker, -historiker und Redakteur, sich dazu entschlossen habe sein Metier zu wechseln und selbst einen Film zu drehen, nutzte dieser in erster Linie dazu, gegen das Fernsehen zu polemisieren. Er gab zu verstehen, daß „Stalin“ gar kein Film sondern eine Fernsehsendung sei. Einen Kino-Dokumentarfilm hätte er vollkommen anders gestaltet, die Filmaufzeichnung seiner Videobilder sei doch grauenhaft, die Interviewer säßen da „ja selbst wie vor’m Fernseher“.
Da Duisburg diese Differenz zu bedenken gewohnt ist, versuchte Klaus Kreimeier das Gespräch wieder auf die Person Patelas zurückzubiegen. Ob die archivarische Leidenschaft des Such- und Semmelfreundes Patalas, der ja auch Direktor eines Filmmuseums sei, das Hauptinteresse zum Film gebildet habe?
Der redefreudige Filmemacher perlte daraufhin ein Andekdötchen ans andere, womit er der stilfacettenreichen Diskussionspalette des Festivals an diesem letzten Tag und dessen letzter Debatte noch eine weitere Färbung beigemischt hat: hinzugefügt wurde das Prinzip des informativen monologischen Entertainements.
Dem interessierten Zuhörer flockte einiges entgegen: Moskauer Frühstücksszenen, biographische Daten des patelossehen Lebens, kokette Invektiven gegen verstaubte Archivierungsprozesse und Plädoyers für gelebte, bewegte Bilder, Filmmaterialbeschaffungs-Geschichten etc.
Irgendwann war es dem Zuhörer auch möglich, die Antwort auf Kreimeiers Frage herauszudestillieren: Ein persönliches und nicht etwa archivarisches Interesse war Hauptmotor für die Entstehung des Films (Patalas befand sich zu Zeiten Stalins gerade auf dem Höhepunkt seiner Pubertät, nun gereift, walke er das Ganze noch einmal mit erwachsenen Augen betrachten).
Werner Ruzicka wollte doch noch genaueres über Patales Perspektive auf das Fernsehen erfahren und warf die Frage auf, ob dieser auch der Meinung sei, daß das Fernsehen mehr Flüchtigkeit erlaube als das Kino. Dieses bejahend, hob Patelos zu einem erneuten Lob der Lebendigkeit an. Er habe eine gute Anzahl von Profi-Fernsehsendungen gesichtet und sei dabei über deren Siechheit entsetzt gewesen. Alles, die Bilder, Töne und Szenen wären ihm allesamt medioker vorgekommen. Er habe aufgrund dessen in seiner Sendung bewußt etwaige Fehlerchen und Flüchtigkeitsphänomene in ihrer Spontanität belassen. Das Amateurhafte des Fernsehens gebe einem auch eine Chance…
Oskana Bulgakowa, die Stalin noch als Doktrin erlebt hatte, wurde gebeten ihre diesbezüglichen Erfahrungen zu umreißen.
Den Begriff „Doktrin“ wollte Bulgakowa zurückgewiesen wissen, da Stalin weniger eine stählerne Doktrin, als eine mit einer doppelbödigen Aura vesehene Figur gewesen sei. Diese Ambivalenz führt sie darauf zurück, daß Stalin auf eine sonderbare Art und Weise präsent und absent zugleich gewesen sei. Er sei stets „da und nicht da“ gewesen.
Die Stalin-Kinofilme seien die einzige Quelle gewesen, wo man ihn in bewegtem Zustand hätte sehen können. Ansonsten habe es lediglich statische Bilder und Statuen gegeben, die ab irgendeinem Zeitpunkt auch nicht aktualisiert wurden, also veraltet gewesen seien. All dies habe Stalin eine von ihm bewußt inszenierte „mystische Dimension“ verliehen. Die einzigartige Verquickung von Personen- und Kino-Kult um Stalin herum aufzuzeigen, sei ihr wichtig gewesen. Da die „reele Filmgeschichte“ in der UDSSR nicht geschrieben würde, hätte sie es außerdem sehr spannend gefunden, die orale Überlieferung dieser Geschichte zu konservieren.
Patelas schloß hier weitere, sprudelnde Ausführungen bezüglich seiner Motive zum Film an: Ihn interessiere die moderne Form von Geschichtsschreibung, die mit dem Auftreten der reproduzierenden Medien eingeleitet wurde. Insofern sei „Stalin“ auch ein Film über das Verhältnis von Medium und Öffentlichkeit geworden.
Darüberhinaus habe er eine Filmgeschichte angestrebt, die aufzeigt, wie Stalin durch Sergej Eisenstein eine Lektion erteilt wurde, wie dem Wortfetischistsen Stalin die Macht des Bildes offenbar wurde. Indem das in den Film integrierte ausladende Filmzitatmaterial über das Fernsehen lanciert wurde, so betont er, handele es sich hierbei nicht um eine „Rekonstruktion dieser Filme“, sondern um eine „andere, lebendige Geschichte“ (auch) dieser Filme.
Nach diesem schönen Gespräch verabschiedete Werner Ruzicka das Publikum mit der Bitte um ein, der Sache angemessenes, neues Wort für „Protokoll“!!!!!