Film

Freier Fall: Johanna K.
von Klaus Wildenhahn
DE 1992 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
12.11.1993

Diskussion
Podium: Klaus Wildenhahn, Annemarie Lang-Johannsen (Schnitt), Johanna Karnermons (Protagonistin)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Antje Ehmann

Protokoll

Erster Teil der Diskussion:

Wie ist die Begegnung zustande gekommen? Wie erging es Frau Karnermons während der Dreharbeiten? Wie sahen die unmittelbaren Reaktionen des Publikums aus?

Klaus Wildenhahn gibt einen kurzen Bericht über die Vorgeschichte des Films: Sein letzter Dokumentarfilm habe sich der Szene Sankt Paulis gewidmt, ohne auf die diversen Aspekte der Sexualität einzugehen. Frau Kamermans, die den Film gesehen hatte, wunderte sich über diese Lücke und schlug ihm daraufhin postalisch vor, diese Ausklammerung in einem nächsten Film nachzuholen und auch einmal über die „Normalität von Transsexuellen“ Bericht zu erstatten. Was das für sie selbst bedeuten würde, lag zu dem Zeitpunkt natürlich noch im Dunkeln. Sie hoHe auch noch nicht in Rechnung ge· stellt, daß ihr Privates somit vollständig öffentlich werden sollte.

Der Bitte Werner Ruzickas an das Publikum, seine privaten Reaktionen mitzuteilen, wurde in kritischer Weise – vielleicht aufgrund der Anwesenheit der Protagonistin – nicht nachgekommen. Bewundert bzw. gelobt wurde die „liebevolle Offenheit“ , die „liebevolle Neugier“ (in Differenz zum Voyeurismus) des Films. Uneingeschränktes Wohlwollen wurde der gelungenen Dramaturgie der Dokumentation entgegegebracht. Diesem Aspekt hat man sich für den Rest der Diskussionzeit gewidmet.

Zweiter Teil der Diskussion:

Näheres zur Interview- und Tontechnik – Näheres zur Montagearbeit

Auf die ironische, aber Respekt bekundende Frage an die Adresse Wildenhans: „Wie bringen sie Leute dazu, zu reden, ohne Fragen zu stellen ?“, erläuterte Wildenhahn seine Philosophie des Dokumentarfilms, die durch permanente Unterstapelei und kokette Bescheidenheit eine gute Menge Weihrauch verströmen ließ. Denn Herr Wildenhahn ist eigener Aussage nach ein völlig unbegabter Interviewer, und da er seinem Prizip der Egorücknahme beim dokumentierenden Film (natürlich nicht zu verwechseln mit dem Prinzip der Ent-Ichung) stetig folge, sei der Film Dokument eines reines Miteinanders- im übrigen folge er dem Gesetz: „Die Aura des Protagonistin ist unantastbar“. Alles sei zwischen den Beteiligten abgelaufen, das Ganze ein Prozeß der Kollektivarbeit, wobei der Protagonist grundsätzlich das Vorrecht genieße, in sein Material vorzupreschen. Das Dokumentarfilmen, was man nicht vergessen darf, sei ein Handwerk. Gespräche hätten lediglich die Pausen der handwerklichen Arbeit gefüllt, kurz und gut: Interviewkonzepte habe es bei ihm sowieso noch nie gegeben. Das bestätigte auch Johanna Kamermans: „Wir haben gequatscht, gequatscht, gequatscht… am Ende habe ich die Kamera wirklich vergessen“.

Sie sei Klaus Wildenhohn vor ollem dadurch verbunden und dankbar, daß er alle Facetten ihrer Persönlichkeit aufgezeigt habe, wohingegen es ihr mit anderen Berichterstattern so ergangen sei, daß sie sie „in typisch männlicher Weise“ auf eine „Ex-Prostituierte“ reduziert hätten.

Folgende Frage-Antwort-Konstellationen beschlossen die Diskussions.cunde:

– Die Bemäkelung der extremen Geräuschkulisse im Film, die einige Außerungen der Protagonisten schlecht verständlich machten, nutzte Wildenhahn noch einmal dazu, den Sockel, auf den man ihn vielleicht stellen könnte, anzusägen. Er sei ein „absoluter Ton-Laie“ und würde eben mit dem Mikrophon herumschlampern.

Wie der Zuschauer bewundern konnte, manifestierte sich die Offenheit der Protagonistin in einer allmählichen, nach und nach erfolgenden Entblätterung ihrer Persönlichkeit und Biographie.

– Die einen Zuschauer in Verwirrung und Enttäuschung stürzenden fünf potentiellen Filmschlüsse begründet Wildenhahn mit dem heraklitischen Prinzip des ewigen Flusses des Lebens.

Die Frage nach der filmischen Aufbereitung dieser Faceliierung am Montagetisch, erlaubte es Wildenhahn, sein Gegenkonzept zum 11 Steak in der Pfanne“ zu erläutern. Wildenhahns (kriminologisches) Filmmontagekonzept besteht nämlich darin, das Steak nicht gleich in der pfanne auszubraten. (Der Vergleich des Filmthemas mit einem Stück Fleisch ist in diesem Falle wohl ein kleiner faux pas.) Der aufklärerische Anspruch, die Enthüllung der Wahrheit des Films, [kriminologisch ausgedrückt: wer war der Mörder ?) soll nicht an den Anfang gestellt werden. ln Rekurs auf die literarische Erzählweise Foulkners, die ihm ein Vorbild sei, kommt er nocheinmal auf sein mysteriöses Ego-Ausschaltungs-Prinzip zu sprechen. Wem, über den Verbleib dieses Egos nachsinnierend, die Stirn durchfaltet wurde, der konnte nun beruhigt aufatmen: Während der formalen Bearbeitung am Schneidetisch darf es wieder eingeschaltet werden.