Film

Ein Tag im Leben der Endverbraucher
von Harun Farocki
DE 1993 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
13.11.1993

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Dietrich Leder, Werner Ružička
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Vielleicht ist es in Teilen gelungen, aus dem vorhandenen Material etwas anderes zu machen, den Traum zu verwirklichen, daß sich oll diese kohärenten Bilder des Werbeuniversums auch ganz anders zusammensetzen ließen. Widerstand, wenigstens imaginär. Farocki berichtet über die Schwierigkeit, sich in diese Bilder hinein- und wieder herauszuschneiden. Man ackert da nämlich mit einem Beil gegen eine hochtechnologisierte Fabrik. Das Spiel mit den Reimworten bleibt übrig, den isolierten Farben, Begriffen, Motiven, die zusammengesetzt etwas beweisen könnten, eine innere Verbindung preisgeben – oder auch nicht. Eine Anthologie, die es erlauben soll, das Material anders zu lesen.

Der Fundus: nach Archivlage, welche so verworren ist, daß man nur blind anfordern kann. (Die Firma 4711 scheint ein musterhaftes Gegenbeispiel der historischen Totalordnung abzugeben.) Das erste Geheimnis wird verraten: Alles Nachdenken hat nichts genützt. Motivklassifikation und topische Systematisierung der fünf bis zehntausend Spots sind ohne einen entsprechenden Verwaltungsapparat nicht zu leisten. Stattdessen: Sammelkassetten, z.B. zum Baden, Nasebohren, Frühstücken. Entsprechend erklärt sich die Idee des Tagesablaufs, doch im Prinzip wäre jede narrative Spielerei möglich gewesen. Farocki hofft auf eine Parodie des Erzählkinos.

Was ist der neue Text – frei nach Burroughs –? Die Kombinatorik muß mehr sein als nur die Ironisierung eines vorhandenen Textes. Hier kann man sich auf die amerikanische Pop-Art als Referenzpunkt einigen. Später präzisiert Dietrich Leder noch, daß, wo kein heterogenes Kombinationsmaterial vorlag, der ‚neue Text‘ der  „Endverbraucher“, dessen Gegenstand sich in der Diskussion nur vage konturierte, auch ein anderer sein müsse als der von Burroughs gewollte.

Der Spielraum der Kombinatorik endete am Prinzip der Synchronizität: Eine gänzlich freie Behandlung von Bild und Ton hätte die Spielregel des Dokumentarischen gebrochen und dann hätte Farocki am Ende auch eigenes Material erfinden, produzieren, hineinschneiden können. ln der Arbeit mit vorhandenen Bildern, deren Herkunft nicht aufgehoben ist, spiegelt sich der Umstand, daß man nicht mehr davon träumen kann, die Kamera an der richtigen, der neuen Stelle aufzustellen. Das ist aber nicht tragisch, denn mit der Sprache verhält es sich bereits seit längerem so.

Das Geheimnis des Ursprungs wird veröffentlicht: Einmal, vor langer Zeit, als der Fernseher nur zwei Knöpfe hatte, ergab sich im Umschalten die Kombination von LUX-FILTER und LUX-SEIFE. Ein Zuschauerbeitrag enthüllt, daß fast jeder schon von einem solchen Film geträumt hat, nur keiner hat ihn bisher gemacht. Das utopisch Erträumte ist hier ganz nah, es ist ein sehr demokratischer Film, an dem mit dem kollektiven Phantasma jeder beteiligt, für dessen Besprechung folglich jeder kompetent ist.

„Endverbraucher“ funktioniert, sagt Klaus Kreimeier, so wie die Kollisionen in Werbeblöcken durch ihre blind-mechanische Addition eben manchmal auch funktionieren. Die Mühe, solche Kollisionen zu erzeugen, wiewohl ihr Ergebnis von unterschiedlicher Qualität ist, bleibt respektabel. Hat aber nicht am Ende doch die Werbung triumphiert? Ein anderer Zuschauer sieht den Film in noch zu naher Konkurrenz zur Cannes-Rolle, weil seine Komik meistenteils eben doch jene im Material strategisch verankerte sei. Dagegen stellt sich ein Redebeitrag, der neben den Spuren von Zeitgeschichte (was der Film nicht ist: Rekonstruktion der BRD-Historie anhand von Werbeselbstbildern) die Frage nach dem Zusammenhang von Werbung und Narrativität erkennt: Die Abgrenzung von Film, der narrativen Kunst, und der verächtlichen Werbung löst sich auf.

Hierarchie von Copyright Globalisierung Young & Rubicon Advertising Hauses? (Zugegeben: hier fehlen die sinnstiftenden Zwischenworte, doch sind sie bei der Niederschrift und folglich auch dem Gedächtnis verlorengegangen.) Die Frage also war: Hat nicht der SWF unter Fremdsteuerung weltfressender Konzerne – ich übergehe alle weiteren Ausschweifungen der Konspirationstheorie – zum wenigsten den Feinschnitt bestimmen wollen?

Rückfrage: Überschätzung des Klassenfeindes?

Und dann: Bist Du froh über Ballantine’s?

Trotz der unentschiedenen Frage nach dem Triumph der Werbung war das Jahr Filmarbeit nicht verloren, denn es stand ia nicht fest, ob dem Material noch etwas hinzuzufügen war, und solche riskanten Kippsituationen reizen Harun Farocki.

Dietrich Leder zustimmend und munter: Kein sicherer Film. Kein Experimentalfilm, richtig?

Aus heiterem Himmel legt sich nun das Zelofan der wirkungsmächtigen Backfolie über die Runde (ein Reflex des draußen seiner Enthüllung harrenden Buffets ?): Was soll die Backfolie? Da war doch kein Mensch zu sehen in dieser Backfolien-Repetition! Bevor Farocki seine Ankündigung einer ganz banalen Begründung in die Tat umsetzen und jeder Zeichenhaftigkeit der Backfolie den Garaus machen kann, schleust Christo Blümlinger noch einige Sätze über die Backfoliendramaturgie ein. Nach der quälenden Quizfrage der allerersten Diskussion (Wer ist der Rumäne?) nun die Auflösung der letzen: Die Backfolie also verkörperte -?- den Essenszauber am besten und hat zudem akustisch schön gepaßt, die Oper und das backfolienuntermalende Konzert folgten mithin ihrem eigenen Magnetismus. Das letzte Geheimnis ist gelüftet: Es gibt einen sich automatisch erzeugenden Sinn. So auch hier.