Protokoll
Eine nächtliche Diskussion in kleiner Runde, deren größere Fraktion von Österreichern gebildet wird: So kommt es rasch dazu, daß das Gespräch um Wien kreist … Wien-Mythos. Wiener Avantgarde, Wien und der Tod … Klischees …
Werner Ružička, der KOBALEK eingangs für seinen ambitionierten Umgang mit dem Medium Video gelobt hatte (hier werde der Verdacht ausgetrieben, daß mit Video artistisch nicht zu arbeiten sei), hob dann auch die beeindruckende Form, in der Tod, Verfall, Vergänglichkeit zum Ausdruck gebracht seien. hervor: Kobalek, ein Mensch, der ‚mit dem Leben abgeschlossen. dabei aber seine Wür.de und Ironie bewahrt habe‘. Während die Regisseurin Einwürfe Egon Humers über die „Blitzlichter“, die ihr Film auf „Wien und den Tod“ werfe, zurückwies, da Humer ihren Film nur ausschnittweise gesehen habe, verteidigte sie ihre Entscheidung, der Echtheit Kobaleks die künstlichen Bilder von Jahrmarkt. Puppen, Automaten entgegenzusetzen. Den „Wien-Bonus“, den Christa Blümlinger diesem Film zusprechen wollte, wies auch Werner Ružička zurück: Jene Bilder vom Prater, die dunstigen und düsteren Momente Wiens seien zwar als Klischees bekannt, KOBALEK befreie jedoch gerade von solcher Klischeehaftigkeit, indem zugleich das Dahindämmern und Abdanken der Avantgarde, die Kobalek, ihren „Ideenmakler“, ins Altersheim abgeschoben habe, dargestellt werde. Der Film werfe ein Schlaglicht auf die Wiener Avantgarde in der Selbstinszenierung ihrer Überlebenden, hole diejenigen de auf der Strecke geblieben seien, zurück: Das kenne man auch aus der Bundesrepublik (Beispiel: Wolfgang Neuss).
Susanne Freund beschrieb ihr Interesse an Kobalek mit dem Hinweis darauf, daß der Weg zu ihm sich über die Geschichten anderer definiere: „Jeder weiß alles von Kobalek und redet doch nur von sich selbst.“ Kobalek selbst sei dabei am allerwenigsten wehleidig, das habe sie fasziniert.
Andrei Ujica stellte eine zusätzliche Verbindung zwischen filmischer Thematik und Jahrmarktbildern her: Der Zirkus sei eins der zentralen Motive der Vorkriegsavantgarde gewesen, die zweite Avantgarde der Nachkriegszeit wirke dagegen eher selbst wie ein Jahrmarkt (der Eitelkeiten?). Besonders gefallen habe ihm in diesem Zusammenhang der Wochenschau-Ausschnitt, der den Besuch Cocteaus in Wien bejubelt. Hier, so schloß sich Werner Ružička an, zeige sich Glanz und Elend der Avantgarde am deutlichsten: Man wolle glänzen und suche Selbstbestätigung doch im konventionellsten aller Medien, der Wochenschau. Vielleicht sei dies ja die Zeit gewesen, in der die „wahre Provinz“ in den Metropolen zu finden gewesen sei … Ružička sprach von einer „großartigen Beschränktheit“ und explizierte diesen Begriff (auf Wunsch Egon Humers, der sich besorgt um eine unreflektierte Wiedergabe solcher Schlagworte im Protokoll zeigte) mit Verweis auf die Historisierungsbedürfnisse der Avantgarde, die ihren Fluchtpunkt im gestrandeten Kobalek findet.
Susanne Freund, die die Zusammenarbeit mit ihrem Kameramann als wortloses Einverständnis beschrieben hatte, erklärte die Bilder von Automaten auch im Blick auf Kobaleks Lebensweg: Er habe sich vom großen Theater abgewandt, um auf anderen Bühnen – in Kneipen etwa – sein Spiel fortzusetzen. Sie habe ihre Filmbilder, deren mögliche Wirkungen gründlich durchdacht, um zuletzt zu einfachen Schlüssen und Assoziationen zu gelangen. Diese Bilder und die Person Kobaleks, so sagte Andrei Ujica zum Schluß des Gesprächs, seien es, die eine bekannte Typologie von Weggefährten, wie man sie in zahlreichen filmischen Portraits finde, zu etwas besonderem werden ließen.