Film

H Eiter
von Michael Rauch
CH 1992 | 63 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 16
1992

Diskussion
Podium: Michael Rauch
Moderation: Pia Neumann, Elke Müller
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Den Begriff der „Komplizenschaft“ zwischen Filmemacher und seinen Darstellern brachte Elke Müller gleich zu Anfang in die Diskussion. Michael Rauch hatte mit den beiden Hauptdarstellern schon längere Zeit über einen Film gesprochen, und diese haben ihn dann regelrecht gedrängt, endlich mal damit anzufangen. Das Video entstand ohne Fördergelder, was sich auf die Dreharbeiten positiv auswirkte, ansonsten hätten ihm seine Darsteller „wohl das Geld aus der Nase gezogen“ -so war es eher eine „finanzielle Komplizenschaft“ (aus der später eine Freundschaft wurde): Ein Dokumentarfilm nicht über sondern mit einer „Szene“.

Die große Lebendigkeit, die dieses Video ausstrahlt, entsteht einerseits durch das filmische Interesse der Akteure, denen das ganze Spaß gemacht hat (sie provozieren Leute vor der Kamera genauso gerne. wie ihre späteren Zuschauer}, und die auch mal die Kamera selbst in die Hand nehmen (Hegi filmt ihren Freund Bronski), andererseits hatte Michael Rauch im vorhinein eine sehr genaue Vorstellung von der filmischen Form (die „Wisch“-Effekte beispielsweise oder das bewußt „offene“ Filmen mit der Kamera nah an den Akteuren statt heimlicher Aufnahmen aus Büschen heraus). Auch die Form des Tagesablaufs, also den Ablauf eines Tages zu zeigen (analog zu Zeitungsreportagen im Stil von „Ein Tag im Leben des … “ – nur daß dort ausschließlich Politiker, Medienstars oder Wirtschaftsbosse porträtiert werden) war vorher festgelegt. Diese brilliante filmische Form wie auch der musikalische Schnitt und die kleinen Ironismen in den Untertiteln (die Verwendung eines Fragezeichens bei allzu unverständlichem Gestammel“ … ? … ) wurde gelobt.

Als „sehr spannend“ wurde die subjektive Kameraführung empfunden, weil es trotzdem ein „Blick von Außen“ bleibt, sich das Video den Akteuren nicht anbiedert und gleichzeitig zu einem „Blick von Innen“ wird: Man sieht die Drogen-„Szene“ nach dem Film anders als man sie sieht, wenn sie einem tagtäglich auf der Straße begegnet; es wird „ein Blick geöffnet“ (hingucken statt weggucken); hinter Stereotypen („Drogenabhängigen“) erkennt man wieder Menschen – deren Lebensweise man aber trotzdem ablehnen kann.

Auf die bekannte Frage, ob es nicht mehr helfen würde, die Ursachen für solche Drogenabhängigkeit zu zeigen (statt Blicke zu öffnen), und ob der Filmemacher denn ein „Verantwortungsgefühl“ besitze, antwortete Michael Rauch, daß er bewußt mit Vorurteilen seiner Zuschauer spielen, sie verstärken und auf den Punkt bringen will, sodaß sie den Zuschauern ins Bewußtsein kommen: Ursachen-Filme gäbe es genug, und es nütze wenig, „Wege aus der Sucht“ zu zeigen.

„H Eiter“ ist ein ethnologischer Film, der den Drogenabhängigen ein Recht auf ihr „exotisches“ Leben und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zur Selbstreflexion gibt: Sie bestimmen selbst, was sie im Film (und im Leben) machen. „H Eiter“ zeigt die Normalität des Drogenkonsums (Bronski und Hegi als ganz normales Ehepaar, mit Beziehungsproblemen und allem anderen) und „H Eiter“ ist der Abschied vom Mythos, daß Drogenabhängigkeit etwas Besonderes sei, etwas, das sonst nur Dichtern, Schriftstellern und Künstlern zugebilligt werde.

Eine Sachfrage nach dem Warum der vielen offenen Wunden an den Körpern der Darsteilem wurde erklärt mit bakteriellen Infektionen und schlechtem Immunsystem, verursacht durch mangelhafte Ernährung. Das Ausquetschen der Eiterbeulen verursacht ihnen auch kaum Schmerzen) da Heroin ein starkes Schmerzmittel ist.