Film

Die Zukunft hat ein altes Herz
von David Wittenberg
DE 1992 | 135 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 16
1992

Diskussion
Podium: David Wittenberg, Christel Fomm (Kamera)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Christian Berger

Protokoll

Das Filmwochenfest der vorangegangenen Nacht und die 135 Minuten Filmlänge hatten nur wenige abgeschreckt – Film und Diskussion waren gut besucht. Nach erster, noch vorsichtiger Rede und Gegenrede erfuhr die konzentrierte und präzise einen ersten Wendepunkt, als ein Zuschauer bemängelte, Wittenberg würde mit seinen Ausführungen nur den Film fortführen. Er wünschte sich dagegen Auseinandersetzung über das Text/Bild-Verhältnis: die schönen Landschaftsaufnahmen habe er als beliebig empfunden. Habe es eine Methode gegeben?

Diese Thematik hatte Klaus Kreimeier bereits zuvor angesprochen. Während er beim ersten Sehen die Tendenz empfunden hatte, ein Monument für W. Benjamin errichtet, wobei die kalkulierten Landschaftsaufnahmen wie Folien wirkten, habe er beim zweiten Sehen eine kompliziertere Textur, einen neuen Stellenwert der Bilder erkannt.

Für Wittenberg war es wichtig, daß die Bilder ein Spannungsfeld untereinander erzeugten – „man merkt, da stimmt etwas nicht“ – wobei die Bilder nicht immer 100% bewußt gewählt worden seien. Seine Methode sei das Kontrastprinzip. Er wisse nicht, wie man Literatur illustriere im Film, aber habe gewußt, daß er die Steine an einer bestimmten Stelle haben wollte. Die Ablenkung vom Text durch die Bilder sei ihm klar, der Film stehe auf einer Kippe. Es störe ihn nicht, wenn man während einer dreiminütigen Einstellung die Augen schließe, um dem Text besser folgen zu können. Gedreht habe man an Orten, an denen Benjamin nicht gewesen sei. Denn eine Pointe des Films sei, daß Benjamin kein Zuhause gehabt hätte.

Die Zusammenarbeit mit Wittenberg – so beschrieb Christel Fromm – habe das Gefühl der Trauer gehabt, einer Abschiedsstimmung von Gedanken, aber trotzdem habe man sich den ganzen Tag Witze erzählt. Diese Stimmung habe einen bestimmten Blickwinkel erzeugt, ohne daß man Konkretes diskutiert habe. Man habe viel Zeit zum Drehen gehabt. Die Bilder von Paris mit den Rauchschwaden seien einer explodierten Tankstelle zu verdanken gewesen – „ein Geschenk des Himmels“. Sie sei sofort aufs Dach gesprungen um dieses einzufangen, während Wittenberg zunächst nicht begeistert war. Erst später, am Schneidetisch, sei ihm der Benjaminsche Sinn dieser Bilder klargeworden, – daß mit den großen Städten gleichzeitig die Mittel für ihren Untergang entstanden seien. Wittenberg beschrieb sein Werk als einen Film nach dem Weltuntergang. „Ich glaube nicht, daß die Aufklärung gescheitert ist. Schlimmer: sie ist noch nicht angekommen.“

Fritz Breuer berichtete vom jahrelangen „Rumnagen“ am Thema Benjamin. Es sei kein besonderer Kampf notwendig gewesen, den Film in der Redaktion durchzusetzen. Die Fertigstellung im Benjamin-Jahr 1992 sei als Trotz gegen die Benjamin-Inflation zu verstehen.