Film

Die Nordkalotte
von Peter Nestler
DE 1991 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 15
15.11.1991

Diskussion
Podium: Peter Nestler
Moderation: Karl Saurer
Protokoll: Reinhard Lüke

Protokoll

Karl Saurer eröffnete Diskussion mit der Feststellung, daß der Film, der doch mehr Schreckliches als Schönes zeige, mit jener Szene der singen den und tanzenden Frauen einen entspannten, fast heiteren Schluß habe. Etwas erinnere das an einen Sonntagsausflug mit Trachten. Wie die Szene zustandegekommen sei. Peter Nestler: der Kontakt zu den russischen Samen sei über Mitarbeiter des Samischen Fernsehens hergestellt worden. Damals habe man noch für alles eine Drehgenehmigung seitens der sowjetischen Behörden gebraucht. Der Bürgermeister der Stadt habe zunächst nur Aufnahmen in jenem Museum erlaubt, das an anderer Stelle im Film vorkomme. Er habe dann aber doch die Genehmigung bekommen, mit den Samen selbst zu drehen. Zu einem verabredeten Termin seien die Frauen dann von sich aus in Trachten erschienen. Auch den traumhaften Drehort jener Szene hätten diese selbst gewählt. Er, Nestler, halte diese Aufnahme für eine der schönsten Aufnahmen, die er je gemacht habe. Leider habe die Intensität des Lichts und der Farben hier durch die Video-Großbild-Projektion sehr gelitten. Aber der SWF habe sich leider nicht zu einer Filmkopie durchringen können.

Einige Zuschauer bedauerten lediglich, daß die Synchronisation des Gesanges die Intensität der Szene nachhaltig störe. Ob da nicht Untertitel oder ein gänzlicher Verzicht auf eine Übersetzung besser gewesen wäre. Für Letzteres, so Nestler, seien ihm die Texte doch zu wichtig gewesen. Bei einer Untertitelung laufe man immer Gefahr, das Bild zu zerstören. Er habe da auch lange hin und her überlegt. Ob er sich dann richtig entschieden habe, könne er auch nicht sagen. Einem kritischen Einwand, der Kommentar sei manchmal zu behäbig, widersprach Volker Koepp. Nestler: habe in ·seiner Sprache einen „wunderbaren Rhythmus., gefunden, der „Die Nordkalotte“ zu einem sehr literarischen Film mache.

Eine Zuschauerin hatte sich bei einigen Bildern aus der sowjetischen Stadt „wie bei einem Dia-Abend’“ gefühlt. Da sei eine Reihe von Momentaufnahmen aneinandergereiht worden, die jedoch beliebig geblieben seien, da eine Vertiefung ausgeblieben. sei. Einem anderen Diskussionsteilnehmer hatte der Film zwischen „Kostümbildern“ (?) und eindringlichen Aufnahmen der Industrialisierung und ihrer verheerenden Folgen nicht ersichtlich gemacht, wie die Samen in dieser Situation leben. Beispielsweise sei von den dortigen Alkoholproblemen die Nestler nun während der Diskussion erwähnt habe, im Film nie die Rede gewesen. Peter Nestler: er habe sich hier auf den Aspekt. der Naturzerstörung konzentriert. Die soziale Situation der Samen detailliert zu beleuchten, wäre ein völlig anderer Film.

Er habe zwar während der Recherchen geplant dem Film noch weitere Gespräche einzufügen, sich dann aber doch für die dramatische Struktur der Reise-Chronologie entschieden. Definitiv nach dem Dreh jener Tanz-Szene. „Außerplanmäßig“ hineingenommen habe er jedoch die Geschichte mit der Gedenkstätte für die von den Nazis erschossenen Jugoslawien. Davon habe er erst während der Dreharbeiten erfahren. Als Deutscher in den Film verwickelt zu werden, habe er eigentlich nicht erwartet.

Fosco Dubini bemerkte schließlich, daß der Film sich eigentlich keinem dokumentarischen Sub-Genre so recht zuordnen lasse. Er sei weder ethnographisch noch explizit hinter Umweltkatastrophen her. Das gebe ihm zwar eine gewisse Leichtigkeit, andererseits komme er aber auch an viele Dinge nicht nah genug ran, da kein focussiertes Interesse deutlich werde. Davon abgesehen könne ein solcher Autoren-Film im Bereich der Dokumentation aber auch ein interessantes Korrektiv sein. Bei den meisten Fernsehredakteuren habe man heute ja kaum eine Chance, wenn man nicht mit einem primär thematisch fixierten Exposi daherkomme.

 Peter Nestler, Klaus Wildenhahn v.l. © Ekko von Schwichow
Peter Nestler, Klaus Wildenhahn v.l. © Ekko von Schwichow