Film

Der Pannwitzblick
von Didi Danquart
DE 1991 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 15
15.11.1991

Diskussion
Podium: Didi Danquart
Moderation: Elke Müller, Werner Ružička
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Der erste Teil der Diskussion beschäftigte sich mit dem Stellenwert des Sterbehilfe-Themas im Film. Nach der ‚heiklen Verknüpfung‘ dieses Problems mit dem Phänomen des Pannwitzblicks gefragt, erklärte Didi Danquart, ihm sei es nicht um ein Urteil über die Sterbehilfe als solche gegangen, sondern nur um den Blick eines Menschen wie Herrn Atrott, dem Leiter der ‚Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben‘. Dessen Umgang mit Kranken beraube sie ihrer Würde und lasse sich aus einer aggressiven, auf Liquidation gereichteten Haltung gegenüber Behinderten herleiten. Insofern gehöre das Sterbehilfe-Thema hier in den Kantest des „nicht in der Normalität leben“.

Über den in der Montage hergestellten Zusammenhang von Euthanasie und Sterbehilfe erklärte Danquart, Atrott und der ebenfalls im Film befragte Wissenschaftler Singer böten – ähnlich wie der mit den beiden Interviews unterschnittene Film Ich klage an – eine Legitimation für die Liquidation des Nichtnormalen an. Nicht die Behauptung, es handle sich hier um Faschisten, sondern die Darstellung der „Geisteshaltung der Eugenik“, des Gedankens von der Schaffung eines reinen Menschen, sei sein Thema: Eine solche Geisteshaltung sei eben für die Nazis nutzbar gewesen und setze sich weit über die Zeit des Dritten Reichs hinaus fort. „Die Affinitäten der Bilder reichen von 1920 bis 1991.“

Über den (den meisten Zuschauern) unbekannten Hintergrund der Produktion von Ich klage an erzählte Didi Danqaurt, dieser Film sei 1940/41 als unmittelbare Folge der ersten Euthanasie-Welle, die in der Bevölkerung einige Unruhe und Ansätze zum Widerstand hervorgerufen habe, konzipiert worden. Erst der siebte Drehbuchentwurf sei von Goebbels genehmigt worden. Er habe solche zusätzlichen Informationen nicht in den Pannwitzblick aufgenommen, um den Blick auf Bilder und das Bildersehen frei zu halten, plane allerdings ein Begleitheft.

Klaus Kreimeier lobte den Film insofern, als er es ermögliche, „den ganz normalen Pannwitzblick in uns selbst zu entdecken und darüber zu erschrecken“. Die Zusammenstellung des Archivmaterials mit den Interviews Singer / Atrott benenne die Deutsche Gesellschaft für Humanes sterben als den institutionalisierten Pannwitzblick einer Gesellschaft von Nichtbehinderten. Ihm fehle hier allerdings ein vertiefendes Eingehen auf die hinter solchen Institutionen verborgene, tatsächliche Not, auf den Gedanken des selbstbestimmten Sterbens also. Dieses Problem könne nicht so einfach abgetrennt werden, sei im Film jedoch beinah mit einem „Denkverbot“ belegt. Didi Danquart verteidigte sich dagegen mit dem Hinweis, man müsse nicht „verobjektivierend“ mit dem Thema umgehen; ihm sei es um das Problem der Institutionalisierung gegangen, des bürokratischen Umgangs mit der Sterbehilfe, der eben keine Selbstbestimmung mehr zulasse.

Gefragt wurde im weiteren nach den Fahrtsequenzen, in denen Archivbilder auf einem kleinen Monitor eingespielt werden. Das habe etwas von ‚einen Spiegel vorhalten‘, erklärte Danquart, sei aber in erster Linie Stilmittel, um den Film, der von Bewegung und Körperlichkeit handle, seinerseits in Bewegung zu halten. Ebenso sei die Auswahl der Intervieworte zu verstehen – als Bewegung von innen nach außen.

Auf die Auswahl der Interviews, der Gesprächspartner kreiste die Diskussion im folgenden: Das seien „Edelbehinderte“, die man da zu sehen bekomme, meinte ein Zuschauer. Wie würde man den Film aber aushalten, wenn die Behinderungen schwerer, die Artikulation fast unmöglich sei? Und wo sind die Duisburger Behinderten in dieser Veranstaltung? Daß sie fehlten, antwortete Didi Danquart, zeige, wie gut die Aussonderung tatsächlich funktioniere. Im übrigen habe er Menschen zeigen wollen, die d.ie Kraft zum Widerstand gehabt hätten, insofern auch anderen Kraft geben könnten.

An verschiedenen Stellen wurde auch eine vorsichtige Kritik an der Begrifflichkeit und am Einsatz des Archivmaterials geäußert: zu leicht referiere man auf den Pannwitzblick, als knüpfe sich eine echte, eigene Erfahrung daran. Ihm sei der Film nicht radikal genug, erklärte ein Zuschauer, er führe zu raschem Abtun des „eigenen Pannwitzblicks“. Er habe sich eine radikalere Konfrontation mit den Bildern sich nicht artikulierender Behinderter gewünscht. Ähnlich sei ihm die Verwendung des Sterbehilfe-Films zu “objektivierend“: Man nehme nur noch den Blick auf die Sterbende, nicht jedoch die Frau selbst wahr. Auch die mit schwarzen Blenden versehenen Archivbilder Behinderter hätten zu einer Milderung der Konfrontation geführt.

Nur Augen-Ausschnitte zu sehen belebe seiner Ansicht nach die zu Objekten degradierten Gesichter, entgegnete Didi Danquart, und wirke insofern der Nazi-Dramaturgie entgegen. Er sei allerdings von der Prämisse ausgegangen, „anderen nicht zuzumuten, was ich selbst nicht aushalte“. Nach Betrachtung dieser ‚Lehrfilme‘ habe er sich verschiedentlich betrunken.

Der Kritik, der Film operiere „pädagogisch behutsam“, die Inszenierung stelle sich zwischen die gezeigten Behinderten und den Zuschauer, begegnete Danquart mit dem Bekenntnis zur eigenen Auseinandersetzung mit Bildern, der er auf diese Weise Form verliehen habe.