Film

Sehnsucht nach Sodom
von Hans Hirschmüller, Hanno Baethe, Kurt Raab
DE 1989 | 47 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 13
18.11.1989

Diskussion
Podium: Hans Hirschmüller, Hanno Baethe
Moderation: Didi Danquart
Protokoll: Reinhard Lüke

Protokoll

Die ‚Diskussion‘ war im wesentlichen durch Fragen nach dem Zustandekommen des Films und dem Verlauf der Dreharbeiten geprägt. Die Informationen werden hier im Zusammenhang wiedergegeben, ohne daß jeweils die Frage, die sie veranlaßte, erscheint. Mit den Erläuterungen der Filmemacher wird ebenso verfahren, wo sie nicht an einen bestimmten gebunden sind.

Der Film ist aus zwei voneinander völlig unabhängigen Aufnahmesträngen montiert. Die ‚Spielsequenzen‘ hat Hanno Baethe 1985 bei einem eher zufälligen Zusammentreffen mit Kurt Raab gedreht, ohne daß es eine Vorstellung gab, was damit einmal geschehen solle. Zu diesem Zeitpunkt wußte Raab noch nichts von seiner Krankheit. Als Baethe dann von dessen Aids-Infektion erfahren habe, sei ihm die Idee zu diesem Projekt gekommen, um zu sehen, wie ein Mensch mit einer solchen Situation fertigwerde. Raab habe dem Vorhabe n dann spontan zugestimmt. Der Kontakt zu dessen Freund Hirschmüller sei erst danach zustandegekommen. Der zweite Teil der Aufnahmen entstand dann zwischen Anfang Januar und Ende Mai ’88, einen Monat vor Raabs Tod. Das Buch für die Spielsequenzen des ersten Stranges habe dieser selbst verfaßt, wie er auch an dem des zweiten mitgearbeitet habe, was aber jeweils nur von einem Drehtag auf den anderen entstanden sei.

Die Hauptschwierigkeit innerhalb des Teams habe in der Frage bestanden, wie man mit einer solchen Thematik überhaupt umgehen könne. Es sei im Endeffekt eine ständige Gratwanderung zwischen der Gefahr platter Jovialität, sentimentalen Mitleids und dem Erfordernis einer distanzierten Sensibilität gewesen. Er, Baethe, habe sich immer wieder fragen müssen, was für ihn als Filmemacher in dem Bemühen, der Person ‚Kurt Raab‘ gerecht zu werden, noch (ästhetisch) vertretbar sei. So habe er mit dessen Hang zur Theatralik, seiner Vorliebe für den Kitsch große Probleme gehabt. Da habe er sich des öfteren gegen Raabs Vorstellungen durchsetzen müssen. In diesem Zusammenhang sei ihm, Baethe, die Schlußszene (Ingrid Caven: ‚Ave Maria‘), mit der viele Zuschauer Schwierigkeiten hätten auch problematisch. Andererseits sei sie jedoch adäquater Ausdruck von Raabs eigenwilligem Verhältnis zum Katholizismus.

Man habe sich natürlich während der gesamten Dreharbeiten immer wieder fragen müssen, wie weit man unter Rücksicht auf Raabs Gesundheitszustand eigentlich gehen könne, ohne ihn zu ‚entmündigen‘. Aber schließlich sei es dieser selbst gewesen, der darauf bestanden habe, weiterzumachen, obwohl es für ihn eine ungeheure Kraftanstrengung gewesen sei. Raab habe sich auch immer wieder über den amateurhaften Dilettantismus der Dreharbeiten, sowie die ‚popelige‘ Videokamera beklagt. Doch, wie er bei manchen Szenen gefordert habe, mit fünf Kamerapositionen zu arbeiten, sei in Anbetracht seines Zustandes völlig ausgeschlossen gewesen. Schließlich habe Raab auch noch an der Endmontage des Films mitarbeiten wollen, was jedoch aus demselben Grund nicht in Frage gekommen sei. Man habe ihm noch eine Rohfassung vorgeführt, mit der er im großen und ganzen dann auch zufrieden gewesen sei.

Auch in Fällen, wo die Kamera nach dem Ende einer verabredeten Szene noch weitergelaufen sei, habe Raab immer energisch protestiert. Aber manche Szenen, denen dieser im Nachhinein dann selbst zugestimmt habe (Bs. ‚Dem Virus in den Rachen greifen‘) gäbe es sonst nicht in diesem Film.

Die Tatsache, daß der Leiter der Klinik ihnen irgendwann verboten hätte, dort weiterhin zu drehen, habe man sich zum Teil selbst zuzuschreiben. (Einmal ohne Erlaubnis gedreht.) Begeistert sei dieser von dem Projekt ohnehin nie gewesen. Seine Haltung komme in der ‚Telephon-Szene‘ zum Ausdruck, deren Text das Gedächtnisprotokoll eines Gesprächs mit ihm zugrundeliege.

Man sei sich natürlich auch bewußt gewesen, nicht nur einen Film über das Sterben eines Menschen/Freundes, sondern auch über Aids zu machen. So habe man vor der Fernsehausstrahlung Kontakt zu Aids-Hilfe Gruppen aufgenommen. Eine konkrete Form der weiteren Zusammenarbeit sei zwar im Moment noch nicht vereinbart, werde es aber sehr wahrscheinlich geben. Hans Hirschmüller, der seinen Freund während der letzten Monate auch pflegte, räumte ein,’natürlich‘ die Angst vor einer möglichen Infektion dabei nie ganz losgeworden zu sein, zumal er auch die sonst üblichen Sicherheitsvorkehrungen (wie Handschuhe) für sich abgelehnt habe. Es sei ihm aber schließlich gelungen, mit dieser Angst umzugehen.

Dem Vorwurf eines Zuschauers, der Film sei ja als ‚Andenken ganz o.k.‘, als dokumentarische Arbeit jedoch verfehlt, da er sich der Selbstinszenierung Raabs unterwerfe, vermochte sich niemand im Saal anzuschliessen. Hans Hirschmüller: er könne sich wirklich nicht vorstellen, daß der Film den Eindruck erwecke, man müsse die Person Kurt Raab unbedingt mögen. (allgemeine Zustimmung)

Der Protokollant, der hier mit Erleichterung registrierte, daß sich (Dokumentar-)Filmkritik doch nicht im christlichen Spannungsfeld zwischen Egoismus und Altruismus abspielt, hält desweiteren fest, daß die Art, wie die Filmemacher über die Arbeit an diesem Projekt sprachen, ja manchmal in Erinnerung an groteske Konflikte mit Raab in schallendes Gelächter ausbrachen, nie als Verunglimpfung einer Person oder Bagatellisierung einer grausamen Krankheit erschien. Ganz im Gegenteil vermittelten sie (genau wie ihr Film), in wohltuender Abhebung von der hilflos-mitleidigen Sentimentalität manch anderer Aids-Beiträge, den anerkennenden Respekt vor dieser Person.