Film

Und immer wieder mit leeren Händen auf der ganz und gar erhellten Welt
von Manuel Kock
DE 1988 | 55 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
10.11.1988

Diskussion
Podium: Manuel Kock, Caren Langen (Schnitt)
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Anne Schiwek

Protokoll

Der Film ist die Abschlußarbeit des Regisseurs an der Essener Folkwangschule und wurde dort als Teil einer Installation zum Werk Hans Henny Jahnns gezeigt. Die Aufführung während der Duisburger Filmwoche ist die erste in einem öffentlichen Rahmen. Vom Regisseur wurde die Großbildprojektion als ungünstig empfunden, da sie der „Zartheit“ mancher Bilder nicht gerecht wird.

Manuel Kock will mit dem Film Lust an der Lektüre des Werkes von Hans Henny Jahnn wecken. Ihm ging es um eine Annäherung an die Atmosphäre des Werkes mit den „sperrigen filmischen Mitteln“. So ist das im Film immer wieder auftauchende Motiv des Labyrinthes ein durchgängiges literarisches Motiv Jahnns (suchen, in den Untergrund gehen). Auch das wiederholte Herausfilmen aus einem Autofenster – von einer Zuschauerin als ermüdend empfunden – korrespondiert mit der Idee Jahnns der Mensch sitze in einer Kapsel, komme aber mit dem herunterfließenden Wasser nicht in Berührung.

Die vom Regisseur verwendeten Materialien zur Illustration einzelner Lebensstufen sind autobiografische Texte aus der Feder H.H.Jahnn. Gesprochen werden sie von Tom Mega, einem Musiker und Performance-Künstler aus dem Ruhrgebiet. Zur Verwendung der Archivbilder (Zweiter Weltkrieg, Vietnamkrieg, Challenger-Unglück) erläuterte M. Kock, das Thema Gewalt sei ein Leitmotiv Jahnns. Einerseits habe ihn Gewalt fasziniert, er habe ein fast spielerisches Verhälthis zu ihr gehabt, andererseits verurteilte er moralisch rigoros eine Abstumpfung gegen Gewalt schon in einem frühen Stadium. Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre läßt sich im Werk Jahnns ein prophetischer Zug ausmachen; er skizzierte bereits Bilder von einer Zukunft, die für ihn noch im Dunkeln liegen mußten.

Für das Archivmaterial wandte sich der Regisseur an Sendeanstalten, die ihm bei der Beschaffung sehr behilflich waren.

Die neu gedrehten Teile des Films, davon viele Naturaufnahmen, sind auf einer Reise nach Dänemark zu den noch lebenden familienangehörigen Jahnns entstanden. Alle „mit der Lietratur im Kopf“ abgedreht.

Auch die Verwendung der im Film eingesetzten Musik (Meredith Monk, Dietrich Buxtehude’etc.) findet eine Entsprechung in der Biografie Jahnns, der sich ausgiebig mit musikalischen Fragen beschäftigte. Der Regisseur konnte sich vorstellen) daß die von ihm ausgewählte Musik den Vorstellungen Jahnn entgegengekommen wäre. Die jeweils neu einsetzenden Musikthemen und ihre Interpreten haben die Funktion von trennenden Kapitelüberschriften.

Ein Zuschauer verstand den Film nicht nur als Hinweis auf die Literatur Jahnns, sondern wegen seiner komplexen Montagetechnik als ein eigenständiges Werk, deutlich abgehoben von den üblichen literarischen Porträts.

Der Regisseur wies auf die massiven Schwierigkeiten hin, das überreiche und widersprüchliche Werk und die Person H.H.Jahnns auf einen knapp 60 Minuten langen Film reduzieren zu müssen. Genau darin wurden die Mängel des Films gesehen.

So sprach ein Zuschauer von einer gewissen „Penetranz“ der Machart. Das Bild vom großartigen faszinierenden Jahnn sei zu sehr durchgeschlagen. Musik und Text hatten sich gedoppelt, und auch die befragten Experten (Literaturwissenschaftler, Biograf) hätten die Großartigkeit Jahnns bestätigt und wiederholt. Insgesamt fehle dem Film die Brechung, die Ironie und Distanz zum Sujet. Dem Film hafte etwas Missionarisches an. Andere Zuschauer äußerten ähnliche Bedenken. Sie sprachen vom fehlenden Standpunkt des Regisseurs und vom „Pathos“ des Films. Die Darstellung Jahnns sei zu glatt geraten, da seine innere Widersprüchlichkeit nicht genug herausgearbeitet und seine Person zu wenig in den Zeitgeist eingebettet wurde.

Der Regisseur verwies noch einmal auf die geringe Bekanntheit des Werkes von H.H.Jahnn und auf sein Anliegen, ihm eine größere Popularität zu verschaffen. Jahnn war in der Tat eine widersprüchliche Persönlichkeit, einer der großen Selbstinszenierer unseres Jahrhunderts. Jemand auch, der Geschichtsfälschung betrieb; so hat er beispielsweise einen Sachverhalt in drei verschiedenen Briefen in drei Versionen dargestellt. Aber einen Film zu machen, der der Komplexität Jahnns gerecht wird, der die Person bricht – das sei ein anderes Thema und Konzept. Er habe sich ausschließlich vom Werk Jahnns leiten lassen, deshalb auch bewußt auf einen eigenen Kommentar verzichtet. Schließlich seien auch ökonomische Gründe zu nennen; der Film ist fast ohne finanzielle Mittel mit der Hilfe von Freunden entstanden.

Ein Zuschauer hatte zu Beginn des Films Schwierigkeiten, sich auf den komplexen Text zu konzentrieren, da Bilder und Text eine eigene Dominanz beanspruchen. Das sei aber in dem Moment aufgehoben, räumte er ein, wo der Regisseur die Bilder durch slow-motion verfremde. An diesen Stellen war der Text auch ohne große Mühen zu verstehen. Der Regisseur erklärte, die slow-motion-Technik sei von ihm beabsichtigt, da sie der sehr komplizierten Zeittheorie Jahnns entspricht. Nach Jahnn gibt es kein zeitliches Nacheinander, sondern nur ein „Zugleich von Zeitextasen“. Veranschaulichen läßt sich diese Theorie nur in der Musik, in der Gleichzeitigkeit der Stimmen im Kanon. Filmisch kann die Theorie nur unzureichend visualisiert werden. Er habe einen Versuch der Umsetzung in den Vietnambildern gemacht. Der Bomberpilot sieht einmal, wie er sich im Flieger weiterbewegt, d.h. er sieht Zukünftiges. In den Bildern der Zerstörung, die er hinter sich läßt, sieht er aber auch gleichzeitig die Vergangenheit.