Film

Titanica
von Harry Rag
DE 1988 | 11 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
11.11.1988

Diskussion
Podium: Harry Rag
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Conny E. Voester

Protokoll

Diese Bilder, wendet sich zu Beginn der Diskussion der Kameramann Wolfgang Jost an den Filmnachwuchs Harry Rag, wollten sie in ihrem Film vermeiden. Jeder, der im Ruhrgebiet Filme mache, kenne diese Verführung zur bildfüllenden Industrielandschaft. Der Umgang damit sei für sie normal, ja schon fast ausgereizt und insbesondere fühle man sich provoziert durch die Fernsehbilder, in denen die Arbeit eigentlich nicht anwesend sei.

Ob er wirklich diese Bilder meine, fragte der Moderator und sah Ähnlichkeiten zwisehen den Aufnahmen aus Belgien in „Stillegung“ und denen aus „Titanica“. Ja, da habe er wohl recht, pflichtete ihm Wolfgang Jost bei.

„Was wollt ihr hier, es arbeitet doch gar keiner“ wurde Harry Rag mit seinem Team bei den Dreharbeiten zu „Titanica“ gefragt. Er hatte sich eher intuitiv als geplant systematisch für Rheinhausen als Drehort entschieden. In seinem Abschlußfilm für die DFFB, erklärte er auf die Frage; wie man denn auf die Idee komme, von West-Berlin nach Rheinhausen zu fahren, beabsichtigte er, eine Atmosphäre wie in Fritz Lang’s „Metropolis“ zu schaffen und ließ sich dann von seinem Kameramann Frank Blasberg raten, Rheinhausen sei wichtig. „Also entschieden wir uns für Cinemascope.“

Als sie dann die bestreikten leeren Fabrikhallen vorfanden, waren sie mit ihrer schweren, schier unbeweglichen Kamera („Nur ein paar Schwenks waren drin“) und 4 Drehtagen a jeweils 2 Stunden sehr froh, weil sie gefunden hatten, was sie suchten: leere Bilder und zugleich ein Synomym für das was sie empfunden haben: Daß eine Geschichte untergeht und daß daraus eine neue entsteht, die aber keinem auffällt. Seine Absicht zielte nicht darauf, einen Film aus der Gewerkschafts- oder Politiker-Perspektive zu machen. Er wollte andeuten, daß es um einen Kampf zwischen Giganten geht. „Es sollte mich nicht wundern, wenn Mercedes in zwei Jahren Krupp kauft.“ Im Film sieht er dies durch den Mercedes-Stern angedeutet.

Deshalb auch die aggressive Grundstimmung, die eine Zuschauerin besonders in der Gestaltung der Tonspur aufgefallen war. Harry Rag wollte damit eine „eigene Stahl-Vertonung“ versuchen unter dem Aspekt, daß darin „der Lärm und die Gewalt von· Stahl enthalten sein sollten.“

Warum zwischen den Fabrik- und Stahl-Bildern auch Naturaufnahmen montiert seien, wollte eine weitere Zuschauerin wissen. „Ich habe erstmal nur Bilder gesammelt. Und dann wollte ich elementare Zusammenhänge darstellen: zwischen Wasser und Feuer, Tieren und Menschen.“ Er wollte Bilder haben, die zwar Assoziationen auslösen, dennoch unbesetzt sein und keine zwingenden Schlüsse nahelegen sollten. Dies sei jedoch anders, wurde eingewandt, bei der Text-Bild-Montage von dem gesprochenen Satz „Gewogen und für zu leicht befunden“ in Kombination mit den Schafen einerseits und den Kollegen auf der Brücke andererseits. Daß er sich dafür entschieden hat, begründet Harry Rag mit dem Wissen darum, daß dies das letzte Mal war, daß die Kollegen über die Brücke gingen und er deshalb dieses Bild nicht einfach habe weglassen können. Er sieht darin ein Sinnbild für die Tatsache, daß die Gesellschaft im Umbruch ist. „Ein Koloß geht unter und damit eine Geschichte von 80, 100 Jahren und keiner merkt es. Manche Leute sind sogar froh, daß endlich alles so sauber wird.“ Und dabei, meint Harry Rag, findet nun doch eine gigantische „Kopfverschmutzung“ statt.

Vielleicht nicht unbedingt in den Schlußfolgerungen, wohl aber in der Arbeitsweise und in der Gestaltung unterscheidet sich „Stillegung“ von „Titanica“ enorm. Der Kameramann Wolfgang Jost berichtete zunächst von den Produktionsbedingungen, die u.a. für ein Fernsehteam so aussehen, daß sie üblicherweise immer nur einen Tag in einer Fabrik drehen können und nur in Begleitung der Geschäftsleitung. Sie seien mindestens einen Monat am Drehort, um „immer präsent zu sein und schließlich nicht mehr wahrgenommen zu werden.“ Das Interesse für Oberhausen sei für Klaus Wildenhahn und sein Team darin begründet, daß Oberhausen im Windschatten von Hattingen (darüber hat ein WDR-Team einen Film gedreht) und Rheinhausen stattgefunden habe und im Unterschied zu allen anderen ,.vernarbter,. sei. „Die Leute sind müde, von all den Niederlagen. Deshalb ja auch am Anfang diese schlecht besuchte Solidaritätsveranstaltung.“ (Jost)

Ein zweites Thema, die Frage nach einer zeitgemäßen Gewerkschaftsstrategie, war für Klaus Wildenhahn aber ebenso wichtig und deshalb hat Herbert Mösle ein eigenes Kapitel. in dem die beiden Generationen aufeinandertreffen. Das Porträt des alten Gewerkschaftlers sei gut gelungen, fand eine Zuschauerin; Herbert Mösle verkörpere einen „untergehenden Typ von Gewerkschaftsfunktionär und Mensch“ und in diesem Aspekt seien sich der Kurzfilm und „Stillegung“ doch recht verwandt. Die anderen, jüngeren Gewerkschaftsfunktionäre, die zu sehen sind, seien menschlich genauso sympathisch, bemerkte Wolfgang Jost, im Unterschied zu H. Mösle wollten sie aber diese Funktionärsarbeit eigentlich gar nicht machen – und das mache sich eben bemerkbar. Sie seien durch diese Betriebsrats- und Vorsitzenden-Arbeit so geworden, wie man sie im Film erleben kann.

Industrielle Arbeit, erkannte der Moderator in diesem Zusammenhang, sei dem Design von Worten gewichen und der Leitstand-Computer-Arbeit. „Ja, und diese Arbeit bildlich zu erfassen, ist kaum machbar.“ (Jost)

Im Unterschied zu früheren Wildenhahn-Filmen, bemerkte ein Zuschauer, sei „Stillegung“ komplizierter konstruiert und erwecke nicht den selben strengen Eindruck. Ob sich darin ein Wandel der Konzeption abzeichne? Die strengen Beobachtungen, die diszipliniert und chronologisch verfolgt werden, „sind alle noch da. Sie sind bloß noch mehr verschachtelt. “ (Jost)

Für die virtuose Montage gab‘s daraufhin gleich nochmal Beifall.